Männer bekommen keine Depression – weiß ja jeder. Frauen und Kopfschmerzen – ist wohl Migräne. Diese Ungleichbehandlung in der Diagnostik nennt sich Gender Health Gap. Warum sie für beide Geschlechter gefährlich sein kann, lest ihr hier.
Der internationale Weltfrauentag ist bereits eine Weile her – die Zeit, um auf Ungleichbehandlungen hinzuweisen, ist jedoch das ganze Jahr. Bei diesem einleitenden Satz mögen sich viele denken: „Nicht schon wieder so ein feministischer Mimimi-Artikel!“ Keine Sorge. Ich trete gerne für Feminismus ein, aber heute schreibe ich keinen feministischen Artikel, sondern einen Text, der auf die Unterschiede von Mann und Frau in der Medizin hinweisen soll. Gender-Health-Gap nennt sich das. Neulich wurde ich nämlich gefragt: „Was kann ich denn als Patientin tun, damit ich mit meinen Beschwerden vom Arzt oder der Ärztin ernst genommen werde?“
Tatsächlich musste ich etwas überlegen. Wie nehme ich selbst Patienten und Patientinnen im Sprechzimmer wahr? Gibt es Momente, in denen ich jemanden nicht ernst nehme, weil er oder sie „jammert“? Und stemple ich Frauen mit Beschwerden eher als psychosomatisch ab, wohingegen Männer eher somatische, also körperliche Beschwerden haben und psychisch gar nicht krank sein dürfen? ... Weil Männer stark sind und Frauen schwach?
Denken musste ich dabei an eine Geschichte aus der Notaufnahme vor vielen Jahren. Eine junge Frau kam mit sehr starken Kopfschmerzen zu uns. Nichts half, berichtete sie. Weder Ibuprofen noch Paracetamol und auch keine Entspannungsübungen. Sie habe ein kleines Kind, klar sei sie gestresst. Aber so – nein, so intensive Schmerzen kannte sie vorher nicht.
Sie war matt und verzweifelt und scheute jede Bewegung. Meine Alarmglocken klingelten sehr laut, denn ich dachte an eine Subarachnoidalblutung, die ja durchaus auch einmal bei jungen Menschen vorkommen kann. Also ordnete ich eine CT an — und erntete dafür Spott und rollende Augen. „Das ist Migräne, sie ist bestimmt überarbeitet, soll zum Hausarzt gehen!“
Ich setzte mich aber durch und siehe da: Es war keine Migräne. Es war eine Gefäßmalformation, die umgehend in der Neurochirurgie behandelt werden musste. Von wegen Migräne.
Hätte man sich bei einem Mann so zügig auf die Diagnose Migräne festgelegt? Das Häufige ist häufig, das Seltene ist selten – Sie kennen das Sprichwort und das stimmt ja auch. Meistens sind Kopfschmerzen einfach nur Kopfschmerzen und eine Migräne kommt häufig vor. Eine Gefäßmalformation nicht.
Dennoch vermute ich, bei einem Mann hätte man nicht ohne weiterführende Untersuchungen die reine Überlastung als Ursache seiner Kopfschmerzen angenommen. Wenn ein Mann Schmerzen hat, dann muss es schon eine körperliche Ursache haben, oder?
Das ist für Männer nicht von Vorteil. Man muss einen Menschen ganzheitlich betrachten und ein Mann darf auch psychische Probleme haben. Ein Mann darf eine Depression entwickeln und ein Mann darf schwach oder niedergeschlagen sein. Es droht bei sofortiger Festlegung auf die somatische Schiene eine Überdiagnostik, die zu einer somatischen Fixierung führen kann. „Wenn die Ärzte so viel Diagnostik machen, dann müssen sie ja auch etwas Schlimmes vermuten!“ Der Schuss kann nach hinten losgehen.
Es geht also nicht um den feministischen Mimimi-Artikel, sondern darum, dass wir uns als Ärztinnen und Ärzte dem ganzheitlichen Mann-Frau-Aspekt widmen und auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede eingehen. Sowohl somatisch, als auch psychisch und physiologisch, denn auch Medikamente wirken bei den Geschlechtern unterschiedlich.
Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen, was im Arzt-Patienten-Gespräch hilft, um erst genommen zu werden: Gar nichts. Und zwar deswegen, weil Patienten einfach so sein sollen, wie sie sind. Sie sollen sich nicht verstellen. Wenn sie weinen, sollen sie weinen, wenn sie jammern, sollen sie das tun. Wenn sie leiden, sollen sie das zeigen. Es ist an uns Ärztinnen und Ärzten, die Ursachen hierfür herauszufinden und zuzuhören, damit wir die richtigen Schritte einleiten können.
Leider gibt es dafür im Sprechstundenalltag oft zu wenig Zeit, dies führt dann auch mal zu den beschriebenen Missverständnissen. Eine Frau mit Kopfschmerzen wird schon irgendwie Migräne oder Hormone haben. Ein Mann mit Niedergeschlagenheit hat doch keine Depression, das wird ein externer Einfluss sein, schließlich bekommen Männer keine Depression.
Wir müssen zwischen den Zeilen lesen und es wäre schön, wenn wir auch die Zeit dafür hätten.
Bildquelle: Juliana Romão, Unsplash