Gerade bei Hoden- und Prostatakrebs ist der psychische Leidensdruck hoch. Sollte zur Therapie daher eine psychologische Begleitung gehören? Wie Spezialisten bei Verlust- und Versagensängsten helfen können.
Während Hodenkarzinome als Krebs des jungen Mannes bekannt sind, kommt das Prostatakarzinom überwiegend bei älteren Männern ab dem 70. Lebensjahr vor. Nach aktuellen Zahlen ist erst genannte Krebserkrankung mit 22,7 % aller Karzinome die häufigste Krebserkrankung von Männern in Deutschland, vom Hodenkarzinom sind nach Angaben des Robert-Koch-Instituts jedes Jahr gut 4.000 jüngere Männer im Alter zwischen 25 und 45 Jahren betroffen.
Auch wenn die Überlebenschancen durch moderne Roboter-gestützte Operationsverfahren, lokale Strahlentherapie und die Cisplatin-basierte Chemotherapie im Fall des Hodenkarzinoms in den letzten Jahrzehnten immer größer geworden sind, bleiben nach dem Durchlauf eines schulmedizinischen Therapieprogrammes nicht selten seelische Narben zurück. Um betroffene Männer mit ihren Ängsten und Sorgen begleiten und psychiatrischen Folgeerkrankungen vorbeugen zu können, hat sich in deutschen Krebszentren zunehmend eine relativ junge psychologische Disziplin etabliert, die Psychoonkologie. Dabei geht es weniger um Details einer Krebsbehandlung, sondern vielmehr um die Befindlichkeiten der Patienten und ihrer Angehörigen – einschließlich aller Verlust- und Versagensängste.
Aber warum braucht der moderne Mann im Rahmen einer Krebstherapie eine geschulte psychologische Begleitung? Sollten starke Männer nicht eigentlich darüber lachen? Glücklicherweise werden alte Klischees zunehmend aufgebrochen, sodass gleichzeitig immer mehr Männer entsprechende supportive Angebote in Anspruch nehmen. Gegenstand entlastender Gespräche mit einem Psychoonkologen beziehen sich in der Urologie nicht selten auf Verlust- und Versagensängste.
So sehen sich junge Männer vor der Operation eines Hodentumors mit dem möglichen Verlust ihrer Zeugungsfähigkeit und dem Abschied von einer eigenen Familie konfrontiert. Ältere Männer fürchten Erektionsstörungen als operative Nebenwirkungen im Rahmen einer Totaloperation und haben Angst um ihr Liebesleben und ihre Männlichkeit. Obgleich psychoonkologische Beratungen etwaige Nebenwirkungen und Komplikationen natürlich nicht vermeiden oder rückgängig machen können, wirken die meisten Gespräche dennoch akut entlastend und zeigen Alternativen oder weitere Hilfsangebote auf. Auch Angehörige können im Rahmen der Gespräche mit einbezogen werden und lernen mitunter, besser mit den Sorgen der Patienten umzugehen.
So konnte beispielsweise der 31-Jährige Sascha, der sich aufgrund eines starken Kinderwunsches erst gegen die lebensrettende Operation seines linksseitigen Hodentumors entscheiden wollte, durch die psychoonkologische Beratung nicht nur ein bisschen seelischen Dampf ablassen, sondern kam mit Hilfe des Psychoonkologen dann in Kontakt mit der Kinderwunschabteilung, die präoperativ Spermien entnahm und bis heute zur späteren Erfüllung des Kinderwunsches in einer Kryobank konserviert.
Und auch Georg, der als rüstiger Rentner im Alter von 72 Jahren an Prostatakrebs erkrankte, konnte mit Hilfe einer Psychoonkologin endlich entspannt mit seiner Frau über seine großen Ängste vor möglichen Erektionsstörungen sprechen. Denn gerade bei pikanten Themen verschlägt es den Betroffenen und ihren Angehörigen nicht selten die Sprache. Wenn behandelnde Ärzte dann fachlich und zeitlich an ihre Grenzen stoßen, können Psychoonkologen moderieren und Hilfestellung bieten.
Dass eine psychoonkologische Betreuung urologischer Patienten den Genesungsprozess unterstützen und psychiatrischen Komplikationen vorbeugen kann, schlägt sich auch in den aktuellen S3-Leitlinien zur Behandlung von Keimzelltumoren der Hoden nieder. So wird die Psychoonkologie gemeinsam mit der Palliativmedizin in einem eigenen Kapitel aufgeführt – und auch leitende Urologen betonten bereits im Sommer 2015 im Deutschen Ärzteblatt die psychosoziale Betreuung ihrer Krebspatienten in einem Sonderartikel.
Obgleich entsprechende Artikel und Leitlinien natürlich positiv stimmen, finden sich bei einer orientierenden Google-Recherche zu psychoonkologischen Sprechstunden für urologische Patienten nur wenige spezifische Treffer. Auf den Homepages der Kliniken werden zwar sämtliche moderne Behandlungsverfahren und die Teilnahme an Studien ausgewiesen, konkrete Informationen über eine psychoonkologische Betreuung findet man aber äußerst selten. Bleibt also zu hoffen, dass die spezifischen Sorgen und Ängste von Patienten mit Hodentumoren und mit Prostatakarzinom weiter aus der Tabu-Ecke rücken und in Form von psychoonkologischen Sprechstunden die Aufmerksamkeit erhalten, die die Betroffenen verdienen.
Bildquelle: erstellt mit Midjourney