Eine Patientin wird wegen positiver Urintests verdächtigt, ihren Alkoholmissbrauch zu verheimlichen. Doch sie beteuert ihre Unschuld. Was stimmt?
Eine 61-jährige Frau mit Leberzirrhose und Typ-2-Diabetes steht auf der Warteliste für eine Lebertransplantation. Doch bald wird sie wieder von der Liste gestrichen – weil die Ärzte sie des Alkoholmissbrauchs beschuldigen. In wiederholten Urintests lässt sich Alkohol nachweisen. Die Mediziner legen ihr nahe, eine entsprechende Sucht-Abteilung in der Klinik aufzusuchen. Die Frau bleibt allerdings hartnäckig und beteuert, niemals Alkohol zu trinken. Was ist hier los?
Die Patientin stellt sich daraufhin in einer anderen Klinik vor, um ihrem Problem auf den Grund zu gehen. Zunächst denken die Kliniker ebenfalls aufgrund positiver Urinproben, dass die Frau ihren Alkoholmissbrauch bloß verheimliche. Seltsam ist allerdings, dass die Frau überhaupt nicht betrunken wirkt oder gar Symptome einer Alkoholvergiftung zeigt. Sie leugnet auch weiterhin konsequent jeglichen Alkoholkonsum. Als die Mediziner ihr Blut untersuchen, sind sie verblüfft: Da ist überhaupt kein Alkohol drin. Wie kommt er dann in die Blase?
Sie untersuchen den Urin der Frau erneut und finden dort Hefepilze, genauer gesagt Candida glabrata. An sich ist das nicht ungewöhnlich – die Menge allerdings schon. Diese ist vermutlich auf den hohen Zuckergehalt im Urin zurückzuführen, bedingt durch den schlecht eingestellten Diabetes der Patientin. Die Kliniker haben eine Vermutung, wie die widersprüchlichen Testergebnisse zustande kamen: Möglicherweise sind die Hefepilze dazu in der Lage, Zucker zu fermentieren und in Alkohol umzuwandeln. In Laborexperimenten konnten sie ihre Vermutung tatsächlich bestätigen.
Damit ist der Fall für die Mediziner klar: Es handelt sich um das Eigenbrauer-Syndrom (Auto-Brewery Syndrome). Doch der Fall ist insofern besonders, als dass die Hefepilze normalerweise den Darm von Betroffenen übermäßig besiedeln. Dabei kann der produzierte Alkohol auch ins Blut übergehen, sodass die Person tatsächlich betrunken wird, ohne je einen Schluck Alkohol zu sich genommen zu haben. Die Mediziner sprechen bei ihrer Patientin daher vom „Urinary Auto-Brewery Syndrome“. Die Patientin wird nach ihrer Diagnose mit Antimykotika behandelt, was allerdings erfolglos bleibt. Doch immerhin darf sie nun wieder auf ein Spenderorgan hoffen.
Erst kürzlich sorgte ein Eigenbrauer-Fall in Belgien für Aufsehen. Dort war ein Mann wiederholt wegen Alkohol am Steuer aufgefallen und schließlich angeklagt worden. Ein Gericht sprach ihn allerdings frei, da er beweisen konnte, am Eigenbrauer-Syndrom zu leiden.
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