Wollen Männer nach langem Couchpotato-Dasein sportlich durchstarten, kann das fatale Folgen haben. Davor schützt die sportmedizinische Vorsorge – eine neue Leitlinie gibt Ärzten Orientierung.
Der Schweizer Weltklasse-Marathonläufer Adrian Lehmann war erst 34 Jahre alt, als er Ende April an einem Herzinfarkt starb. Der Volksmund weiß längst, dass Sport Mord ist – und Breitensport Massenmord. Eine bestehende, aber unentdeckte Erkrankung, wie etwa eine Herzinsuffizienz, kann bei Anstrengung tatsächlich fatale Folgen haben, obwohl Bewegung unter dem Strich Körper und Geist fit hält. Das Phänomen ist in Fachkreisen auch als „paradox of exercise“ bekannt.
Dass das Herz von Leistungssportlern kollabiert, ist dabei aber selten. Am häufigsten trifft der Blitz aus scheinbar heiterem Himmel die Gruppe der Männer, die nach langem Couchpotato-Dasein sportlich durchstarten wollen. Wie sie geschützt werden können, beschreibt die neue S2k-Leitlinie Sportmedizinische Vorsorgeuntersuchung unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP) und der Mitarbeit von 15 weiteren Fachgesellschaften.
Die Leitlinie ersetzt die abgelaufene S1-Leitlinie „Vorsorgeuntersuchung im Sport“ von 2007. Gedacht ist sie für Menschen, die neu oder wieder mit intensiverem Sport beginnen möchten. Sie gilt auch für Menschen, die eine Krankheit überwunden haben. Explizit nicht gedacht ist die Leitlinie dagegen für Leistungssportler, Kinder und Jugendliche und auch nicht als Blankoentschuldigung für Sportmuffel.
Die positive Wirkung von Bewegung ist gut belegt: zum Beispiel auf das Herz-Kreislauf-System, den Bewegungsapparat, den Stoffwechsel, das Nervensystem sowie die Psyche. Aktive Menschen werden seltener krank, sie leben länger, und sie kommen dank ihrer Fitness auch besser durchs Leben – sich regen bringt Segen.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO rät allen Erwachsenen pro Woche zu 150 bis 300 Minuten moderater oder 75 bis 150 Minuten intensiver Bewegung, neuerdings auch zu regelmäßigem Krafttraining. In Deutschland bleibt knapp die Hälfte der Menschen unter diesem Soll. Ob bestimmte Sportarten anderen überlegen sind, ist unklar, weshalb man die Art der Bewegung frei nach Lust und Laune und der körperlichen Situation wählen sollte.
Gleich bei der ersten der insgesamt 20 Empfehlungen gibt es fachlichen Dissens. Die Empfehlung lautet: „Erwachsenen, die Sport treiben oder mit Sport beginnen möchten, sollte eine sportmedizinische Vorsorgeuntersuchung angeboten werden.“ Hier widerspricht die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin DEGAM mit einem Sondervotum: Ihrer Ansicht nach wäre kann statt sollte korrekt. Das sollte würde das Schadenspotenzial der Untersuchungen und auch den Aufwand nicht ausreichend berücksichtigen. Außerdem könnten Menschen den Eindruck gewinnen, ohne vorherige Untersuchung sei Sport zu riskant, weshalb sie es dann gleich ganz sein ließen.
Einigkeit herrscht dagegen bei den Empfehlungen, dass die Untersuchungen bei intensivem Sport gemacht und in ein- bis fünfjährigen Abständen wiederholt werden sollten. Wichtig ist auch eine gute Gesprächsführung mit speziellen Techniken. Zudem kommen positive Botschaften („So kräftigen Sie ihr Herz“) besser an als negative („Sonst bekommen Sie einen Herzinfarkt“).
Für die Untersuchung empfiehlt die Leitlinie folgende Maßnahmen: standardisierte Anamnesebögen, validierte Scores für Herz-Kreislauf-Risiken, detaillierter Ganzkörperstatus mit Zahn- und Lymphknotenstatus und 12-Kanal-Ruhe-EKG. Möglich sind auch ein kleines Blutbild, Belastungsuntersuchung und Muskelkraftbestimmung. Mit besonderer Begründung kommen zudem eine Echokardiographie und ein Belastungs-EKG in Frage. Weitere Labor- und Apparatemessungen sind dagegen nur in Ausnahmefällen angezeigt.
Die Leitlinie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Serena Repice Lentini, Unsplash