Kein Suizid ist wie der andere – trotzdem kristallisieren sich fünf Patienten-Profile heraus, bei denen eure Alarmglocken läuten sollten. Welche das sind und wie sie sich voneinander unterscheiden, lest ihr hier.
Eine umfassende Analyse von Suizidfällen in den USA zeigt, dass Suizide komplexe und individuelle Ereignisse sind, die maßgeschneiderte Präventionsstrategien erfordern. In den Jahren 2001–2021 stieg die Suizidrate in den USA um 35,6 % – ein klarer Hinweis darauf, dass sich in der Präventionsarbeit einiges tun muss. Dafür ist eine Identifikation einzelner Risikofaktoren unabdinglich.
Wissenschaftler analysierten deswegen Daten von 306.800 Menschen (mittleres Alter: 46,3 Jahre; 239.627 Männer [78,1 %] und 67.108 Frauen [21,9 %]), die durch Suizid starben. Die Forscher konnten fünf verschiedene Suizidprofile identifizieren, die auf unterschiedlichen Risikofaktoren basieren. Diese sollen in Zukunft dabei helfen, eine individuelle Betreuung zu ermöglichen. Die Fünf Profile:
1. Psychische Gesundheits- und Substanzprobleme (Class 1, 13,5 %):
Dieses Profil umfasst Personen, die sowohl psychische Probleme als auch Substanzmissbrauch aufweisen. Eine hohe Rate an Vergiftungssuiziden und eine umfangreiche Geschichte von psychischen Behandlungen charakterisieren diese Gruppe. Psychotrope Medikamente wurden häufig in toxikologischen Untersuchungen gefunden, was auf eine hohe Behandlungsrate hinweist.
2. Psychische Gesundheitsprobleme (Class 2, 17,6 %):
Personen in diesem Profil leiden hauptsächlich unter psychischen Erkrankungen ohne signifikanten Substanzgebrauch. Diese Gruppe hat eine höhere Wahrscheinlichkeit, sich durch Erhängen zu suizidieren und zeigt oft eine lange Vorgeschichte psychischer Probleme.
3. Krisen, alkoholbedingte und partnerschaftliche Probleme (Class 3, 18 %):
Dieses Profil beinhaltet Individuen, die kürzlich Krisen erlebt haben – insbesondere solche, die mit Alkoholproblemen oder schwierigen Beziehungen verbunden sind. Die Personen in diesem Profil sind oft jünger und neigen zu impulsiven, spontanen Suiziden.
4. Körperliche Gesundheitsprobleme (Class 4, 31,7 %):
Personen mit diesem Profil haben oft keine psychiatrische Vorgeschichte und hinterlassen selten Hinweise auf ihre Suizidabsichten wie etwa Abschiedsbriefe. Suizide passierten gehäuft durch Schusswaffen. Charakteristisch für diese Gruppe ist, dass sie oft ältere Erwachsene einschließt, die an schweren physischen Erkrankungen leiden, was möglicherweise zu Gefühlen der Hoffnungslosigkeit und zu Suizidgedanken führt. Menschen in diesem Profil haben die niedrigste Rate an bekannten psychischen Erkrankungen, unter 1 % waren in psychischer Behandlung. Personen dieses Profils haben am seltensten mit Medikamenten- und Drogenmissbrauch zu tun.
5. Polysubstanzprobleme (Class 5, 19,2 %):
Personen in diesem Profil zeigen die höchsten Raten von positiven Testergebnissen für die gleichzeitige Einnahme mehrerer Substanzen wie Amphetamine, Alkohol, Marihuana und Kokain. Dieses Profil ist auch durch eine geringere Engagementrate in psychischen Gesundheitsdiensten charakterisiert, was auf Barrieren in der Behandlung und möglicherweise auf eine geringere Wahrscheinlichkeit hinweist, dass diese Personen ihre Suizidabsichten mitteilen. Ähnlich wie Class 4 finden sich hier viele Suizide durch Schusswaffen.
Ebenfalls interessant: Class 5 verzeichnet die größten Anstiege, besonders seit 2011. Auch Suizide von Personen der Class 4 stiegen in den letzten Jahren erheblich an.
Anstieg und Fall der Suizide pro Class nach Jahr. Credit: Yunyu Xiao et al.
Die Profile verdeutlichen die Notwendigkeit, Suizidprävention auf die spezifischen Bedürfnisse und Risiken verschiedener Subgruppen zuzuschneiden, anstatt sich auf allgemeinere Ansätze zu verlassen. „Strategien zur Suizidprävention können wirksamer sein, wenn sie auf unterschiedliche Suizidprofile zugeschnitten sind, da eine integrierte Versorgung die Erkennung und Behandlung komorbider psychischer Erkrankungen, Störungen des Substanz- und Alkoholkonsums und körperlicher Gesundheitsprobleme verbessert“, so die Studienautoren.
Die Studie legt nahe, dass eine erfolgreiche Suizidprävention weit über allgemeine psychische Gesundheitsinterventionen hinausgehen muss. Dies könnte besonders wichtig sein für Menschen mit schweren körperlichen Erkrankungen, die oft psychisch unterdiagnostiziert sind. Ein Vorschlag, die Versorgung dieser Patienten zu verbessern, wäre die Einführung einer psychologischen Betreuung direkt bei der Behandlung der physischen Hauptkrankheit.
Als wichtige Einschränkung sei dabei aber zu erwähnen, dass die einfache Verfügbarkeit von Schusswaffen in den USA es erschwert, diese Ergebnisse auf andere Länder mit strengeren Schusswaffen-Reglementierungen zu übertragen. „Trotz dieser Einschränkungen bleibt das NVDRS (national violent death reporting system) der einzige nationale US-Datensatz, der die Umstände, die Toxikologie und die Suizidmethoden umfassend erfasst. Trotz der Schwächen des Datensatzes fanden wir in sich konsistente Ergebnisse, die ein differenziertes Verständnis von Suizid ermöglichen“, konkludieren die Autoren.
Bildquelle: Nadine Shaabana, Unsplash