Es klingt wie eine Horrorgeschichte: Plötzlich krabbelt etwas unter der Haut oder drängt sich durch die Konjunktiven. Ein Best-of der parasitären Erkrankungen mit Schockfaktor.
Ein Blog von _docjay.
In einer infektiologischen und tropenmedizinischen Abteilung erlebt man viele spannende und ungewöhnliche Fälle – dazu gehören auch Parasiteninfektionen. Sie sind mysteriös, schwer greifbar und gleichzeitig eine Horrorvorstellung für viele Patienten.
Wenn man bei diffusen Beschwerden keine Ursache findet, wird nach einer erfolglosen Odyssee durch verschiedene somatische Kliniken am Ende oft der Tropenmediziner kontaktiert – es könnte ja ein Wurm sein. Dr. Google lässt grüßen. Gleichzeitig gibt es Patienten, die besessen sind von der Vorstellung, sie wären von Parasiten befallen, oft verbunden mit abenteuerlichen Schilderungen von wandernden Larven unter der Haut, ausgehusteten Würmern und monatelagen (Selbst-)Therapien mit teils bizarren Medikamentencocktails oder Kaliumpermanganat-Bädern. Die erste Variante ist die harmlosere, in seltenen Fällen findet man hier tatsächlich eine Infektion oder aber es ist der letzte nötige Baustein vor einer psychosomatischen Vorstellung. Im zweiten Fall wird es kompliziert. Denn wie immer steckt in allem auch ein erstaunlich großer Kern Wahrheit.
Bei einer (oft asymptomatischen) Infektion mit Strongyloides stercoralis penetrieren die Larven im Rahmen ihres komplizierten Zyklus nach enteraler Aufnahme die Darmwand, werden über die Blutbahn in die Lunge transportiert, treten in die Bronchien über, wandern über die Trachea nach oben und werden wieder verschluckt, um im Darm eine neue Population zu etablieren. Das ist so verrückt, dass man es sich kaum ausdenken kann. Allerdings hustet man keine mehrere Zentimeter großen Würmer aus – die Patienten fallen eher durch Eosinophilie, gastrointestinale Symptome oder diffuse Asthma-ähnliche Atemwegsbeschwerden auf.
Die Erkrankung ist tatsächlich auch in Europa verbreitet und bei Immunsuppression (sei es durch Erkrankungen wie Malignome oder HIV, aber auch iatrogen bei hochdosierter Steroidtherapie) lebensbedrohlich, da es dann zum Hyperinfektionssysndrom mit explosionsartiger Vermehrung kommt. Diagnostisch führt man zunächst eine Serologie durch, bei positivem Befund mehrfache PCR aus Stuhlproben. Die recht unkomplizierte Therapie erfolgt primär mit Ivermectin.
Hautwanderungen von Parasiten gibt es tatsächlich bei der Larva migrans, meist eine Infektion mit Hakenwürmern aus der schrecklich netten Familie der Ankylostoma. Die Larve kann die menschliche Basalmembran nicht durchbrechen, wandert unter der Haut entlang und stirbt nach wenigen Wochen – der Mensch ist ein Fehlwirt. Auf der Haut entwickelt sich entlang der Reiseroute des unerwünschten Untermieters mit kurzem Zeitverzug eine serpentinenartige Rötung (serpiginöses Erythem). Die Klinik ist beweisend, eine Therapie ist oft nicht notwendig.
Eine weitere parasitäre Erkrankung mit Schock-Faktor ist Loa Loa. Übertragen über Bremsen (das muss man sich mal vorstellen: Ein letztlich bis 7 cm großer Wurm wird per Insektenstich übertragen!) im tropischen Afrika, wächst der Parasit im Unterhautfettgewebe des Menschen heran, produziert fleißig Nachkommen und setzt sie ins Blut frei, wo sie wiederum beim Stich von Bremsen aufgenommen werden können. Die Patienten klagen über Hautjucken, der Nachweis gelingt neben PCR auch per Mikroskopie im Blut, bizarrerweise zwischen 10 und 15 Uhr (zirkadiane Rhythmik) – auch das ist wahr und zu verrückt, um es sich auszudenken. Ebenso irre ist, dass der erwachsene Wurm durch die Konjunktiven wandern kann und dort kurze Zeit sichtbar ist. Selbsterklärend, dass das beweisend und pathognomonisch für die Erkrankung ist. Aufgrund dieser anatomischen Vorliebe nennt man Loa Loa auch liebevoll Eyeworm.
Die Therapie ist nicht ganz trivial, da es verschiedene Medikamente gibt, die teils den adulten Wurm, teils die Mikrofilarien abtöteten – bei zu schneller Reduktion der Mini-Würmer drohen durch die massenhafte Antigen-Freisetzung schwere Nebenwirkungen wie Encephalopathie.
Die Liste lässt sich noch weiter fortsetzen. Man sieht aber bereits jetzt, dass man nicht jede verrückt klingende Geschichte sofort ins Reich der Psychosen schicken sollte. Gerade bei Reiseanamnese und klaren Indikatoren für eine Parasiteninfektion (die Eosinophilie als Zeichen eines invasiv lebenden Parasiten ist einer), sollte man der Sache besser gründlich nachgehen.
Bildquelle: Alexandre Debiève, Unsplash