Wir kämpfen mit immer mehr Antibiotikaresistenzen – Grund genug, die antiinfektive Therapie einzuschränken. Aber sind die aktuellen Entscheidungen zur Behandlung bei Neutropenie wirklich sinnvoll?
Aufgrund zunehmender Antibiotikaresistenzen weltweit und möglicher Nebenwirkungen einer antiinfektiven Therapie, sollte der Einsatz dieser Medikamente gut durchdacht erfolgen. Die Intitiative „Klug entscheiden“ der Deutschen Gesellschaft für Inneren Medizin (DGIM) unterstützt dieses Vorgehen jetzt durch eine neue Empfehlung: Eine antibakterielle Prophylaxe soll nicht durchgeführt werden bei Patienten in Neutropenie, die keine schwere Neutropenie (< 500/ml) haben und auch nicht bei Patienten, bei denen die Neutropenie bis zu 7 Tagen andauert und keine zusätzlichen Risikofaktoren vorliegen.
Patienten mit hämatologischen Erkrankungen und soliden Tumoren haben bekanntermaßen ein erhöhtes Risiko für bakterielle Infektionen, insbesondere während der Phase der Neutropenie nach Gabe der Chemo- oder Immuntherapie. Die Leitlinie zur Primärprophylaxe von bakteriellen Infektionen und Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie unterteilt Patienten in zwei Risikogruppen: Hochrisikopatienten mit erwarteter Neutropeniedauer von über 7 Tagen und Niedrigrisikopatienten mit prognostizierter kürzerer Neutropeniedauer (< 7 Tage). Jedoch können auch Patienten mit kürzer Neutropeniedauer (< 7 Tage), bei denen spezifische Risikofaktoren wie bestimmte Chemotherapeutika, Herzinsuffizienz, Leukozytopenie bei Therapiebeginn oder eingeschränkter Nierenfunktion vorliegen, als Hochrisikopatienten eingestuft werden.
Obwohl eine antiinfektive Prophylaxe bei neutropenen Patienten erfolgreich bakterielle Infektionen reduzieren kann, fehlt bisher der Nachweis, dass dadurch die Gesamtmortalität gesenkt werden kann. Für Hochrisikopatienten wird die prophylaktische Gabe von Antibiotika empfohlen, wobei Fluorchinolone und Cotrimoxazol als Antibiotika eingesetzt werden. Im Gegensatz dazu wird für Niedrigrisikopatienten nach sorgfältiger Abwägung von Risiken und Nutzen keine prophylaktische antibakterielle Therapie empfohlen. Aber was tun, wenn doch Fieber und eine mögliche Infektion bei neutropenen Patienten auftritt?
Das Auftreten von Fieber bei neutropenen Patienten stellt einen infektiologischen und hämatologischen Notfall dar, der eine umgehende Diagnostik erfordert. Diese sollte jedoch nicht die sofortige Einleitung einer antiinfektiven Therapie verzögern.
Die Entscheidung, ob die Therapie ambulant oder stationär erfolgen sollte, kann mithilfe einer Risikostratifizierung getroffen werden, die in der Leitlinie zur Diagnostik und empirischen Therapie bei Fieber unklarer Genese (FUO) bei neutropenen Patienten erarbeitet wurde. Für die ambulante Therapie wird die Kombinationstherapie mit Amoxicillin bzw. Clavulansäure und Ciprofloxacin oder die Monotherapie mit Moxifloxacin empfohlen, sofern keine prophylaktische antibakterielle Therapie vorlag. Bei Hochrisikopatienten, die stationär behandelt werden sollten, ist eine intravenöse Therapie mit einem gegen Pseudomonas wirksamen Betalaktamantibiotikum empfohlen.
Aber was, wenn die Patienten trotz der antibiotischen Therapie weiter Fieber haben? Eine weitere neue Empfehlung der „Klug entscheiden“-Initiative lautet: Bei klinisch stabilen Patienten mit persistierendem Fieber in der Neutropenie soll keine routinemäßige Umstellung der empirischen Antibiotikatherapie erfolgen.
Es scheint paradox: Einerseits wird Fieber in der Neutropenie als Notfall betrachtet, andererseits wird empfohlen, abzuwarten, wenn das Fieber trotz Therapie nicht zurückgeht. Da kommt doch bei uns Ärzten wieder das Bauchgefühl: Das kann nicht sinnvoll sein, oder?
Stand jetzt: Doch. Nach einer umfangreichen Literaturrecherche und Auswertung der verfügbaren Studien konnte kein Nachweis erbracht werden, dass eine Umstellung der antiinfektiven Therapie das Behandlungsergebnis verbessert. Darüber hinaus zeigen die Daten, dass das Fieber bei neutropenen Patienten im Durchschnitt 4 bis 5 Tage anhält. Wir können also bei klinisch stabilen Patienten zunächst die Füße stillhalten, jedoch sollten wir selbstverständlich weiter auf Infektionsfokussuche gehen.
QuellenClassen AY, Henze L, von Lilienfeld-Toal M, Maschmeyer G, Sandherr M, Graeff LD, Alakel N, Christopeit M, Krause SW, Mayer K, Neumann S, Cornely OA, Penack O, Weißinger F, Wolf HH, Vehreschild JJ. Primary prophylaxis of bacterial infections and Pneumocystis jirovecii pneumonia in patients with hematologic malignancies and solid tumors: 2020 updated guidelines of the Infectious Diseases Working Party of the German Society of Hematology and Medical Oncology (AGIHO/DGHO). Ann Hematol. 2021 Jun;100(6):1603-1620. doi: 10.1007/s00277-021-04452-9. Epub 2021 Apr 13. PMID: 33846857; PMCID: PMC8116237
Heinz, W.J., Buchheidt, D., Christopeit, M. et al. Diagnosis and empirical treatment of fever of unknown origin (FUO) in adult neutropenic patients: guidelines of the Infectious Diseases Working Party (AGIHO) of the German Society of Hematology and Medical Oncology (DGHO). Ann Hematol 96, 1775–1792 (2017). https://doi.org/10.1007/s00277-017-3098-3
Bildquelle: Matteo Fusco, Unsplash