... wer so denkt, hängt noch in den 80ern fest. Denn heutzutage steckt in jedem teuren Krebsmedikament die Gefahr, bankrott zu gehen. Ich rechne es euch gerne vor.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine Kurzzusammenfassung.
Apothekeninhaber werden in der Öffentlichkeit von manchen Politikern, den Medien oder Vertretern der Krankenkassen oft nur als eines dargestellt: profitgierige Nimmersatte. Bei Zahlenspielchen, die zeigen sollen, wie überdurchschnittlich viel in dieser Branche verdient wird, ist immer wieder von Hochpreisern die Rede. Und um das Thema noch einmal so richtig emotional zu gestalten, werden speziell Hochpreiser aus der Krebstherapie als Beispiel dafür genommen, wie sehr sich Apothekenbesitzer mit dem Leid todkranker Menschen die Taschen füllen. Aber stimmt das eigentlich? Jubeln wir laut auf, wenn ein tausende Euro teures Krebsmedikament in unserer Apotheke bestellt wird? Spoiler: Nein, denn der Umgang mit hochpreisigen Arzneimitteln birgt für Apotheken vor allem erhebliche Risiken, die oft unterschätzt werden. Aber der Reihe nach.
Als Hochpreiser werden Medikamente bezeichnet, wenn ihr Apothekeneinkaufspreis 1.238,53 Euro übersteigt. Viele Kunden, Kassen und leider auch Politiker haben das falsche Bild vor Augen, dass diese teuren Medikamente für Apotheken besonders lukrativ wären. Das stammt aus einer Zeit, in der die Kunden für den Bezug teurer Medikamente sogar noch mit Zusatzgeschenken überhäuft wurden. Die Vergütung hat sich indes seit den 1980er Jahren grundlegend verändert. Wer sich dafür im Detail interessiert, dem sei Vergütung im Wandel ans Herz gelegt. Die Realität sieht heute anders aus: Spätestens seit Einführung des Fixzuschlages im Jahre 2004 jubelt vermutlich keine Apotheke mehr über Kunden mit teuren Medikamenten. Mancherorts ist es sogar schon so weit, dass Apotheken bitten, die Medikamente woanders einzulösen.
Hintergrund: Der Einkaufspreis für diese Medikamente liegt enorm hoch und trotz der Deckelung des Großhandelsaufschlags auf 38,53 Euro steigen die Kosten in anderen Bereichen. Die GKV-Ausgaben für Arzneimittel sind in den letzten zehn Jahren um 60 % gestiegen, doch der Anteil, den die Apotheken davon sehen, deckt kaum die damit verbundenen Kosten. Hochpreisige Krebsmedikamente erfordern oft eine Direktbestellung, was den logistischen Aufwand und die Vorfinanzierungskosten erhöht. Die Herstellerfirmen haben ein Zahlungsziel von 10 Tagen, das Geld für das Medikament kommt meist deutlich später in den Apotheken an – je nachdem, ob die Verordnung am Anfang oder am Ende des Monats eingelöst wurde. Einige Hersteller bieten zwar Skonti oder verlängerte Zahlungsziele an, jedoch wird das Jonglieren mit dem Kontokorrent und den entsprechenden Sollzinsen oft zum Vabanquespiel.
Die Annahme, dass alle Apotheken über die finanziellen Mittel verfügen, um hochpreisige Arzneimittel problemlos vorzufinanzieren, trifft nicht zu. Apotheken mit geringer Liquidität können oft nicht von Rabatten profitieren, die eine Vorfinanzierung erfordern, oder müssen hohe Zinskosten für kurzfristige Kredite tragen. Während finanzstärkere Apotheken möglicherweise tatsächlich durch die Hochpreiser Gewinne erzielen, stehen kleinere vor Problemen. Das kann zu Versorgungsausfällen führen, besonders in sozial schwächeren oder infrastrukturell benachteiligten Regionen. Wenn eine Apotheke aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen hochpreisige Medikamente nicht bestellen oder vorhalten kann, muss sie Patienten abweisen. Das kann Ansehen und wirtschaftliche Lage der Apotheke weiter verschlechtern und sogar zu rechtlichen Problemen führen, denn es gilt immer noch der Kontrahierungszwang.
Zusätzlich erhöhen sich die finanziellen Risiken durch Retaxationen der Krankenkassen und späte oder ausbleibende Zahlungen von Privatkunden. Diese Medikamente, ähnlich wertvoll wie Autos, Schmuck oder Kunstwerke, können bei Beschädigung, Diebstahl oder Verlust während des Abrechnungsprozesses erhebliche finanzielle Verluste verursachen. Hinzukommt das Risiko, so makaber es klingt, dass der Patient vor Abgabe verstirbt und sich keiner der Erben dazu bereiterklärt, die Rechnung zu übernehmen. Auch wenn das Medikament nach dem Tod des Patienten einfach nur nicht abgeholt wird, kann das für kleinere Apotheken sehr teuer werden, da Rücknahme oder Erstattung durch Großhändler oder Hersteller oft nicht ohne finanzielle Einbußen erfolgt. Dieses Risiko wird durch den wachsenden Anteil der Hochpreiser noch verstärkt.
Angesichts dieser Schwierigkeiten ist klar, dass die derzeitige Form der Erstattung durch Krankenkassen nicht ausreicht, um die Kosten und Risiken, die mit der Abgabe von Hochpreisern verbunden sind, zu decken. Wir benötigen dringend eine Reform des Erstattungssystems, die die tatsächlichen Kosten und den Zusatzaufwand für Apotheken anerkennt und angemessen vergütet. In seltenen Fällen, bei speziellen Krebsmedikationen, können Apotheker aber durchaus hohe Gewinne erzielen, wenn sie Medikamente individuell anfertigen. Im vergangenen Jahr sprach ein Whistleblower über interne Preislisten und die Berichte über die erheblichen Differenzen zwischen den Einkaufspreisen der Apotheker und den Erstattungen durch die Krankenkassen zeigten, dass in Einzelfällen hohe Summen verdient werden können. Jedoch sind dies wirklich Ausnahmen und spiegeln nicht den Apothekenalltag wider.
Außerdem müssen auch die Umstände stimmen. In einem Beitrag des ARD-Magazins Monitor wurde durch den Whistleblower-Apotheker die Herstellung einer parenteralen Zubereitung simuliert. Laut dem Verband der Zytostatika herstellenden Apotheker (VZA) entsprechen das gezeigte Labor und die vorgeführte Arbeitsmethode nicht dem erforderlichen technischen Standard oder den anerkannten Herstellungspraktiken. Zentrale Verfahrensschritte wie die Überprüfung der Plausibilität, die Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips, das Überwachen der Hygiene, die Dokumentation, das Qualitätsmanagement sowie das korrekte Handling von Material und Personal wurden im Beitrag vernachlässigt. Dass sich mit Medikamenten, die derart „hemdsärmelig“ hergestellt werden, mehr verdienen lässt, als wenn man die gebotenen Sicherheitsmaßnahmen oder die strengen Vorgaben für die Arbeit in einem Reinraumlabor ernst nimmt und auch bezahlt, ist naheliegend. Der durchschnittliche Apothekenalltag sieht einfach anders aus, denn von den verbliebenen ca. 18.000 Apotheken in Deutschland stellen nur etwa 300 diese speziellen Rezepturen her.
Es ist wichtig, zwischen der allgemeinen Situation und diesen speziellen Fällen zu differenzieren, in denen Apotheker tatsächlich bedeutende Gewinne aus einzelnen Rezepturen ziehen können. Sie dürfen nicht als repräsentativ für das gesamte Feld der Hochpreiser angesehen werden. Die meisten Apotheken stehen unter erheblichem Druck, die Kosten und logistischen Herausforderungen zu managen, die mit der Bereitstellung dieser essenziellen Medikamente verbunden sind. Die verantwortlichen Krankenkassenmitarbeiter und Politiker müssen sich vor allem von der nostalgischen Vorstellung lösen, dass Umsatz und Gewinn in Apotheken Hand in Hand gehen.
Bildquelle: erstellt mit Midjourney