Lipoprotein (a) ist ein wichtiger Bestandteil der akuten Behandlung von Aortenklappenstenosen oder Myokardinfarkten – das sagen zumindest die Leitlinien. Ärzte lassen aber gerade junge Patienten oft durchs Raster fallen. Warum sich das ändern muss.
Herzinfarkte bei jüngeren Menschen gelten als seltene Ereignisse, treten jedoch häufiger auf als allgemein angenommen. Im Jahr 2015 wurde gezeigt, dass einer von 15 aufgetretenen Herzinfarkten einen Patienten betrifft, der jünger als 45 Jahre ist; die meisten davon sind männlich. Diese vorzeitigen Myokardinfarkte sind oft schwerwiegender mit einer höheren 1-Jahres-Mortalität im Vergleich zu älteren Patienten. Oft liegt kein typisches kardiovaskuläres Risikoprofil vor.
Lipoprotein (a), kurz Lp(a), ist ein dem Low-Density-Lipoprotein strukturähnliches Lipoprotein, das wissenschaftlich in den letzten Jahren immer weiter in den Fokus gerückt ist. Lp(a) ist ein genetischer, unabhängiger und kausaler Marker für Atherosklerose und kalzifizierende Aortenklappenstenosen. Sein proatherogenes, prothrombotisches und proinflammatorisches Wirkprofil bedingt eine hohe Pathogenität. Die Evidenz wurde kürzlich in einer Konsenserklärung der European Atherosclerosis Society systematisch aufgearbeitet.
Aktuell steht nur das invasive Verfahren der Lipoproteinapherese zur Verfügung, mit der Lp(a) moderat gesenkt werden kann. Die Korrelation zwischen erhöhten Werten von Lp(a) und dem Risiko für einen Myokardinfarkt oder eine hochgradige Aortenklappenstenose wurden statistisch fundiert und durch Metaanalysen belegt. Daher empfehlen die Leitlinien bei jedem im Erwachsenenalter einmal im Leben eine Lp(a)-Bestimmung in Betracht zu ziehen, um Risikopersonen zu identifizieren. Die Empfehlungen der ESC/EAS-Leitlinien für die Bestimmung von Lp(a) wird in der klinischen Praxis in Deutschland oft nur unzureichend umgesetzt. Einer Analyse zufolge wurde bei jüngeren Patienten mit einer atherosklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankung eine Lp(a)-Untersuchung in weniger als 2 % der Fälle durchgeführt.
Das Lp(a)-Register von Altmann et al. zielte in der aktuell erschienenen Studie daher darauf ab, die Prävalenz relevanter Lp(a)-Erhöhungen bei bestimmen Patienten mit einem Myokardinfarkt im jungen Lebensalter und einem Zustand nach erfolgten Aortenklappenintervention bei hochgradiger Aortenklappenstenose in der Nachbehandlung während der Rehabilitation zu analysieren.
Hierzu wurde in den MEDIAN-Rehabilitations-Einrichtungen in Deutschland mit einer vorhandenen Kardiologie ein nicht-interventionelles Register geführt, um die Häufigkeit von Lp(a)-Tests in überweisenden Akutkrankenhäusern und die Prävalenz erhöhter Lp(a)-Werte bei Aortenklappenstenose oder Myokardinfarkt in einem jungen Lebensalter zu ermitteln. Von den 19 in der Unternehmensgruppe vorhandenen Herzrehabilitationseinrichtungen beteiligten sich zehn aktiv an der Datenerhebung. Insgesamt 3.587 Datensätze wurden vom 01. März 2022 bis zum 28. Februar 2023 erhoben, davon wurden 3.393 Datensätze als vollständig validiert.
Alle konsekutiven Patienten, die nach einer Koronarintervention oder einer Aortenklappenoperation überwiesen wurden, wurden in unterschiedliche Kohorten eingeschlossen. Die Kohorte 1 umfasste Aortenklappeninterventionen, Patienten mit aktueller/früheren Myokardinfarkt im Alter < 60 Jahre wurden in Kohorte 2a/b zusammengefasst und Patienten mit Myokardinfarkt im Alter von ≥ 60 Jahren wurden als Kontrollgruppe erfasst. Patienten mit einem Aortenklappeneingriff in Kohorte 1 und Patienten mit einem Myokardinfarkt in der Kontrollkohorte waren im Durchschnitt etwa 70 Jahre alt. Im Vergleich dazu waren Patienten mit einem Myokardinfarkt im Alter < 60 Jahren per Definition jünger. In den Kohorten 2a und 2b waren es zahlenmäßig weniger Patienten mit vorliegendem Bluthochdruck im Vergleich zu den anderen Kohorten, mit einem statistisch signifikanten Unterschied in Kohorte 2b im Vergleich zu der Kontrollkohorte (p < 0,05).
Die Analyse umfasste 3.393 Patientenakten (Kohorte 1, n = 1063; Kohorte 2a, n = 1351; Kohorte 2b, n = 381; Kontrolle, n = 598). Lp(a) wurde im überweisenden Krankenhaus bei 0,19 % (Kohorte 1), 4,96 % (Kohorte 2a), 2,36 % (Kohorte 2b) und 2,01 % (Kontrolle) der Patienten bestimmt. Die Lp(a)-Spiegel lagen bei 28,79 % (Kohorte 1), 29,90 % (Kohorte 2a) und 36,48 % (Kohorte 2b; p < 0,001) bei > 50 mg/dl oder > 125 nmol/l im Vergleich zu 24,25 % in der Kontrollgruppe. Eine positive Familienanamnese für kardiovaskuläre Erkrankungen lag bei 13,45 % (Kohorte 1), 38,56 % (Kohorte 2a) und 32,81 % (Kohorte 2b) vor, verglichen mit 17,89 % (Kontrolle; p < 0,05 für jeden Vergleich).
Die Auswertung des Registers zeigt, dass Lp(a) bei der akuten Behandlung von Aortenklappenstenosen oder Myokardinfarkten in einem jüngeren Lebensalter (< 60 Jahren) trotz zunehmender wissenschaftlicher Erkenntnisse und Leitlinienempfehlungen selten untersucht wurde. Angesichts der überdurchschnittlich hohen Häufigkeit erhöhter Lp(a)-Werte muss das Bewusstsein für Lp(a) zukünftig gestärkt werden, um Hochrisikopatienten besser identifizieren und behandeln zu können. Auch wenn sich Lp(a) durch Lebensstil oder Medikamente nur minimal beeinflussen lässt, sind neue Therapiemöglichkeiten aktuell in klinischer Prüfung und könnten dies ändern. Zudem ist der Lp(a)-Spiegel fast vollständig genetisch determiniert und eignet sich unter entsprechender Beratung sehr gut für ein Familien-Screening und ggf. die Planung frühzeitiger kardiologischer Vorsorgeuntersuchungen.
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