Diskriminierung Homosexueller in Deutschland – ein Relikt früherer Zeiten? Keineswegs, wie aktuelle Recherchen zeigen. Einzelne Ärzte bewerten die sexuelle Orientierung als „Krankheit“ und offerieren obskure „Konversionstherapien“. Die Politik reagiert wie immer - aufgeschreckt.
Narben am Kinn, mangelnde Wertschätzung durch den Vater oder zu starke Fürsorge durch die Mutter: Homosexualität scheint Wunderheilern zufolge so manchen „Auslöser“ zu haben. Bei seinen Nachforschungen stieß Christian Deker vom NDR auf Ärzte, die "den Geist der Homosexualität austreiben“ - falls möglich zu Lasten gesetzlicher Krankenkassen.
Recherchen führen den NDR-Reporter unter anderem zu Dr. Arne Elsen, einem Arzt, der Heilungsgottesdienste anbietet. Er hält Dekers Homosexualität durchaus für therapierbar. Der Bund Katholischer Ärzte (BKÄ) stellt ebenfalls klar: „Es gibt religiöse, psychotherapeutische und medizinisch-homöopathische Möglichkeiten der ‚Behandlung‘ bei Homosexualität und homosexuellen Neigungen. Auch oder gerade, weil seit einigen Jahren Homosexualität nicht mehr als ‚Krankheit‘ gilt.“ Und Dr. Christian Spaemann, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeut, gibt zu Protokoll: „Die Möglichkeit der dauerhaften Veränderung der sexuellen Orientierung ist inzwischen wissenschaftlich mehrfach belegt worden. Ich selber habe Menschen kennengelernt, die homosexuell waren und inzwischen glückliche Familienväter geworden sind.“ Kein Einzelfall: Dr. Gero Winkelmann vom Bund Katholischer Ärzte setzt auf homöopathische Methoden zur Entgiftung, etwa die Nosodentherapie. Seinen Worten zufolge werde Syphilis in der vorhergehenden Generation als Grund für Homosexualität diskutiert. Beim Bund Katholischer Ärzte gibt es sogar einen speziellen „Arbeitskreis Homosexualität“, um „neue Ursachen für Homosexualität, insbesondere die epigentische Vererbung (auf syphilitischer Grundlage)“ zu erforschen und „Hilfsmöglichkeiten (um das verpönte Wort ‚Therapie‘ nicht zu gebrauchen) bei Leiden und Problemen“ zu entwickeln. Die Sittenwächter im weißen Kittel sehen Gefahren und Risiken durch "sittliches Fehlverhalten" und "unnatürliche sexuelle Praktiken". https://www.youtube.com/watch?v=XaG_CdC_BwM
Da Krankenkassen entsprechende „Therapien“ nicht unterstützten, müsse laut Winkelmann „der Psychotherapeut oder Arzt tricksen und einen anderen psychischen Namen nehmen“, um Gespräche abzurechnen. Grund genug für Delegierte, beim 117. Deutschen Ärztetag eine Überarbeitung von Schlupflöchern zu fordern, welche therapeutische Optionen bei Homosexualität ermöglichen. „Homosexualität ist keine Erkrankung und bedarf keiner Heilung. Direkte und indirekte Diskriminierung und Stigmatisierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung sind allerdings häufige Ursachen für negative psychische und physische Erkrankungen“, so fasste der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Professor Dr. Frank Ulrich Montgomery, eine entsprechende Stellungnahme der 64. Generalversammlung des Weltärztebundes zusammen. Weltweit setzen sich Heilberufler dafür ein, „Konversions- und Reparationsverfahren“ als unethisch und menschenrechtswidrig zu brandmarken.
Klare Worte – trotzdem müssen Kollegen feststellen, dass Auswüchse früherer Zeiten bis in die moderne, aufgeklärte Medizin reichen. Vor weniger als 50 Jahren waren Juristen davon überzeugt, „Unzucht zwischen Männern“, so die frühere Bezeichnung im Strafgesetzbuch (StGB), stelle ein Verbrechen dar. Erst 1994 kippten Verantwortliche nach mehreren Novellierungen den Paragraphen 175 StGB. Medizinisch sieht die Sache anders aus. Beispielsweise sind Typisierungen für Schwule nach wie vor tabu. Die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) zitiert hier Richtlinien der Bundesärztekammer zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten: „Laut §§ 12 und 18 des Transfusionsgesetzes (TFG) in der Novelle von 2005, zweite Richtlinienanpassung 2010, dürfen leider keine Personen zur Spende zugelassen werden, die den so genannten Risikogruppen angehören. Dazu gehören heterosexuelle Personen mit sexuellem Risikoverhalten (...), Männer, die Sexualverkehr mit Männern haben (MSM), sowie männliche und weibliche Prostituierte.“ BÄK-Vertreter sehen keine Diskriminierung: „Unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung werden nur diejenigen Personen von der Spende ausgeschlossen, die aufgrund ihres Sexualverhaltens ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten wie HBV, HCV oder HIV bergen. Dazu gehören neben heterosexuellen Personengruppen auch Männer, die Sex mit Männern haben.“
Viele Baustellen, doch Oppositionsvertreter konzentrieren sich momentan schwerpunktmäßig auf falsche Heilversprechen. In einer kleinen Anfrage wollen die Grünen erfahren, welche Organisationen Pseudotherapien anbieten und inwieweit gesetzliche Kassen diese Leistungen übernehmen. Politiker interessieren sich auch für approbationsrechtliche Konsequenzen, sollten Ärzte hier aktiv werden. Sie fordern von der Regierung Maßnahmen zur Aufklärung im Sinne des Patientenschutzes. Gesundheitsstaatssekretärin Annette Widmann-Mauz (CDU) sieht Ärztekammern in der Pflicht, gegen fragwürdige Behandlungsmethoden aktiv zu werden. Die Bundesregierung setze „beim Schutz homosexueller junger Menschen vor unangemessenen und gegebenenfalls für sie schädlichen Therapie- und Beratungsangeboten insbesondere auf die frühzeitige sachgerechte Aufklärung und Information“, so Widmann-Mauz. Ob der geplante Flyer zur Aufklärung ausreichen wird, sei dahingestellt.