Wie kann ich es wagen, Patienten abzulehnen? Oder krank zu werden? Oder gar ein Leben haben zu wollen! Sorry, liebe Patienten, aber ich sehe es langsam nicht mehr ein, mich für die Praxis vollkommen aufzugeben. Medizin muss doch auch anders gehen?!
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine Zusammenfassung
So, heute muss ich mal Dampf ablassen – es hat sich in den letzten Wochen echt was angestaut … Ich liebe den ärztlichen Beruf. Ich helfe gern Menschen und von der Rückkopplung, die ich sowohl persönlich als auch für unsere Praxis insgesamt bekomme, schaffen wir es auch, für die meisten wirklich da zu sein, wenn sie uns brauchen.
Jetzt kommt das berühmte ‚Aber‘, was mir gerade wirklich Stress macht: Ich bin AUCH ein Mensch – und Mutter und Freundin – und keine Leibeigene. Und in den letzten Wochen habe ich das Gefühl, dass diverse Leute mir nur noch erklären, was ich (bzw. wir in der Praxis) alles zu tun haben, anstatt mal zu sehen, was wir schon alles leisten. Hier mal ein paar Beispiele.
Patienten fragen sich: Wie kann es überhaupt sein, dass Hausärzte ablehnen dürfen, neue Patienten aufzunehmen? Gegenfrage: Welcher Arbeitsbereich kann immer weiter über Kapazität belastet werden – so wie der medizinisch/pflegerische? Natürlich muss ich Notfälle versorgen. Aber ich kann einfach nicht mit meiner Praxis eine ganze Region versorgen. Wir haben pro KV-Sitz ungefähr 1.000 Patienten – inklusive dem oft erwähnten Palli-Telefon (lest hier mehr dazu), das ich immer mit mir rumtrage, regelmäßigen (oft weiten) Hausbesuchen und einer wöchentlichen Heim-Visite in zwei Pflegeheimen. Ach ja – aber bitte für jeden Patienten auch ausreichend Zeit einplanen. Auch aufgrund der immer komplexeren Versorgung z. B. mit Immunsuppressiva bei Autoimmunerkrankungen. Ob man dann nochmal seine Familie zum Essen sieht, ist ja zweitrangig – von Hobbys und Freundschaften mal ganz zu schweigen.
Und da wundert sich jemand, wenn bis zu 25 % der Ärzte nicht mehr direkt am Patienten arbeiten wollen? Oder erhöhte Suizidraten haben, weil sie sich einfach irgendwann nicht mehr zu helfen wissen? Aber Ärzte dürfen ja nicht krank werden. Oder so ... Wir hatten jetzt hier leider wirklich drei Situationen, wo Ärzte über mehrere Monate wegen maligner Erkrankung ausgefallen sind und manche Patientenkommentare (z. B. „Die ist ja auch nie da“) fand ich schon echt daneben. Als ob die Ärzte absichtlich krank werden.
Aber direkt zur nächsten Forderung, in diesem Fall von den Krankenkassen: mehr Sprechzeiten für Patienten. Wenn nur die Sprechzeiten meiner Arbeitszeit entsprächen, könnte ich das ja noch verstehen. Aber meine „Sprechzeiten“ halte ich doch quasi nie ein, sondern überziehe regelmäßig. Wir versuchen gerade, den Patienten beizubringen, dass „Sprechzeit bis 12 Uhr“ auch für uns planbar sein muss, d. h. dass nicht 15 Leute noch um fünf vor zwölf alle pünktlich gesehen werden können, sondern wir nur noch „Einlass“ bis 11:30 Uhr haben für die Akutsprechstunde. Danach muss geklingelt und im Einzelfall entschieden werden, ob der Patient heute gesehen werden muss oder am Folgetag.
In einem Schwimmbad würde doch auch niemand erwarten, dass man um fünf vor Schluss reingehen und dann noch eine Stunde planschen darf. Und nach der Sprechstunde geht es ja weiter: Ich muss auf die Dokumentation achten, die eingegangenen Befunde lesen, meine Telefonsprechstunde durchziehen, mich ggf. noch in Leitlinien belesen (die sich dank neuer Entwicklungen ja auch immer wieder ändern) und auch mal emotional manche Sachen verdauen. In meinem persönlichen Fall kommt noch die Weiterbildung der Assistenzärzte dazu – auch das muss ja irgendwann passieren. Was ja auch meine (verständliche) Pflicht als Weiterbilder ist. Aber wann sollen wir das denn auch noch machen? Dazu wird sich dann beschwert, dass wir ja nicht ausreichend weiterbilden würden. Fällt was auf?
„Wenn Sie nicht ausreichend Kapazitäten haben, müssen SIE halt welche schaffen“ – Originalzitat eines Patienten, der innerhalb von drei Tagen einen Termin wollte für eine präoperative Diagnostik (einer elektiven OP natürlich). In die offene Sprechstunde wollte er nicht – möglicherweise längere Wartezeit und kein Wunscharzt, ansonsten hätte das aber geklappt. Nein, es MUSS ein Termin sein, damit alles auch ratzfatz geht. Wie wir das dann alles machen, ist unser Problem.
Egal wie aggressiv einige (glücklicherweise sehr wenige) Patienten auch meinen MFA gegenüber sind: Alle sind sich sicher, dass ich sie ja behandeln müsse – wenn sie bei uns Patient seien, wäre es ja quasi ihr Recht, für immer bei uns zu bleiben. Da musste ich dann doch mal darauf hinweisen, dass auch ich das Recht habe, den Behandlungsvertrag zu kündigen, solange kein Notfall vorliegt. Danach wurde es ein bisschen besser, aber ich bin es langsam echt satt, mich dauernd rechtfertigen zu müssen, wenn man versucht, auch seine eigenen Angestellten adäquat zu behandeln. Auch die haben kleine Kinder, die krank werden. Oft genug sind die Großeltern auch noch berufstätig und wenn das Kind krank ist, kann es auch in keine Kita. Also muss es immer jemand abfangen. Und gerade am Ende der Infektsaison sind echt alle ziemlich platt.
Ganz ehrlich: So kann man die Motivation für einen Job auch vernichten. Vor allem, wenn man dann so einen Tag erwischt, an dem direkt mehrere Patienten kommen, die sich „einfach nicht mehr vorstellen können zu arbeiten“, oder eine AU möchten, weil ihr Freund Schluss gemacht hat, oder sich für arbeitsunfähig halten, weil sie eine Dornwarze unter dem Fuß haben (in einem sitzenden Job wohlgemerkt!). Oder es absolut ungehörig finden, wenn sie als Vertretungspatienten nicht „mal eben“ ein BTM-Rezept haben können, obwohl sie keinerlei Unterlagen vorliegen haben, warum sie das brauchen, in welcher Dosierung und auch die Apotheke nicht benennen können oder wollen, in der sie ihre Medikamente bekommen.
Ich weiß, dass der Druck gerade überall hoch ist. Und wie gesagt: Ich bin immer wieder froh, wie viele Patienten uns auch sehr positive Rückkopplung geben und das hält uns irgendwo auch aufrecht. Aber ich merke auch, dass all diese Konflikte Spuren bei mir hinterlassen. Man wird härter, teils auch wirklich wütend über all diese Grenzüberschreitungen, aber letztlich fühlt man sich doch erschreckend machtlos – so lange man im System der KV-Versorgung bleibt, ist man daran gebunden. Gleichzeitig ist aber auch „kein Ende in Sicht“. Alle sind sich einig, dass es nur noch schlimmer wird, weil immer mehr kranke Patienten kommen, immer mehr Personal in den Ruhestand geht oder den Job wechselt.
Wie soll ich da junge Ärztinnen und Ärzte für diesen eigentlich wunderschönen Job motivieren? Sowohl für den Hausarzt-Beruf an sich und erst recht für die Zusatzbelastung Niederlassung? Wie soll ich selbst das auf die Dauer durchhalten?
Ich würde jetzt gern ein positives Ende für diesen Artikel finden – aber letztlich bleibt mir akut nur die einfache, aber bittere Wahrheit: Ich weiß es nicht ...
Grenzen und menschliche Bedürfnisse: Hausärzte sind auch Menschen mit eigenen Bedürfnissen und Grenzen. Die Landärztin betont, dass sie auch ein Recht auf Privatleben hat und nicht ständig zur Verfügung stehen kann.
Hohe Anforderungen und unrealistische Erwartungen: Die Anforderungen von Patienten und Krankenkassen sind oft unrealistisch. Es wird erwartet, dass Hausärzte immer verfügbar sind und jeden Patienten sofort behandeln können, was zu Stress und Frustration führt.
Sinkende Motivation und Zukunftssorgen: Die Motivation der Hausärzte sinkt dramatisch aufgrund der ständigen Überlastung und der zunehmenden Schwierigkeiten im Gesundheitssystem. Die Ärztin sorgt sich um die Zukunft des Berufs und die Rekrutierung neuer Ärzte.
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