Etwa 75 Prozent der vermeintlich funktionslosen DNA des menschlichen Genoms wird in sogenannte nicht-kodierende RNAs übersetzt. Ihre Funktion ist bislang noch weitgehend unbekannt. Forscher konnten jetzt zeigen, dass die Herstellung nicht-kodierender RNAs präzise reguliert wird.
Rund zwei Prozent des menschlichen Genoms dienen als Bauplan für Proteine. Der Rest des Genoms ist ein mehr oder minder unbeschriebenes Blatt. Die Bereiche, die nicht für Proteine kodieren, werden auch als Müll-DNA bezeichnet. Doch sind sie tatsächlich unnötiger Ballast? „Das ist eine der zentralen Fragen, die die Genomforschung derzeit umtreibt“, sagt Dr. Jörg Hackermüller, Bioinformatiker am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH (UFZ). „Auf der Genom-Landkarte sind noch große weiße Flecken – hier gibt es noch viel zu entdecken.“ Bereits im Jahr 2007 konnte Hackermüller in einer Studie zeigen, dass nicht nur zwei Prozent des Genoms in RNA übersetzt werden, sondern nahezu das gesamte Genom, also auch solche Bereiche, die überhaupt nicht als Bauplan für Proteine genutzt werden. Hackermüller: „Aus diesem Befund entstand eine lebhafte Diskussion darüber, ob es dies durch Zufallsereignisse oder Fehler in der Regulation zellulärer Prozesse verursacht sein könnte. Doch ich zweifle daran, dass die Natur so verschwenderisch mit Ressourcen umgeht und so große Mengen an RNA sinnlos herstellt.“ In der aktuellen Studie konnten Hackermüller und sein Team in Kooperation mit Prof. Friedemann Horn und Prof. Peter F. Stadler von der Universität Leipzig und dem Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI nun eine weitere Wissenslücke schließen: Die Übersetzung nicht-kodierender Regionen im Genom wird durch zelluläre Signalwege präzise reguliert – und das in großem Stil: Bis zu 80 Prozent der RNA-Kopien waren nicht-kodierend. „Ein solches Ausmaß hatten wir nicht erwartet“, sagt Hackermüller. „Das spricht nicht für ein Zufallsprodukt – höchstwahrscheinlich kommt der nicht-kodierenden RNA eine ähnlich wichtige Funktion zu wie der proteinkodierenden RNA.“
Weiterhin haben die Forscher eine neue Spezies nicht-kodierender RNAs entdeckt, die sogenannte Makro-RNA. Sie ist um das 50- bis 200-fache größer als übliche proteinkodierende RNA. „Bemerkenswert ist, dass Teile dieser Makro-RNAs von den Säugetieren bis hin zu den Vögeln und Reptilien konserviert sind“, sagt Horn. „In aggressiven Formen eines Gehirntumors werden mehrere Makro-RNAs zudem deutlich aktiver produziert als in Tumoren mit guter Prognose. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass nicht-kodierende Makro-RNAs in zellulären Abläufen eine wichtige Rolle spielen.“ Hackermüller vermutet, dass nicht-kodierende RNAs auf epigenetischer Ebene eine wichtige Funktion haben, beispielsweise als eine Art zelluläres Langzeitgedächtnis: „Dies könnte auch erklären, warum die körperlichen Auswirkungen durch Belastung mit schädlichen Umweltsubstanzen häufig erst Jahre später auftreten.“ In zukünftigen Untersuchungen wollen Hackermüller und sein Team daher prüfen, welchen Einfluss Umweltschadstoffe auf das Vorkommen nicht-kodierender RNAs in Immunzellen haben. Originalpublikation: Cell cycle, oncogenic and tumor suppressor pathways regulate numerous long and macro non-protein coding RNAs Jörg Hackermüller et al.; Genome Biology, doi: 10.1186/gb-2014-15-3-r48; 2014