In Großbritannien setzen Ärzte bei adipösen Patienten auf einen schluckbaren Magenballon. In Deutschland sind Experten skeptisch. Zu Recht?
Die Idee ist einfach: Wenn weniger in den Magen passt, essen Patienten mit Adipositas auch weniger – ihr Sättigungsgefühl stellt sich schneller ein. Magenverkleinerungen durch die bariatrische Chirurgie gehören daher zu den evidenzbasierten Strategien, um Menschen mit starkem Übergewicht zu behandeln. Auch die schlechtere Resorption trägt zum Erfolg bei. Nur scheuen sich manche der Betroffenen vor OPs und lebenslanger Nachsorge.
Das staatliche Gesundheitssystem im Vereinigten Königreich (National Health Service, NHS) bietet Versicherten jetzt einen Magenballon zum Schlucken als mögliche Intervention an. Die raschere Dehnung des Magens führt zur Stimulation von Dehnungsrezeptoren in der Magenwand, die dem Gehirn signalisieren, dass der Magen gefüllt ist. Außerdem wird die Magenentleerung durch den Ballon verzögert.
Patienten schlucken den Magenballon leer (rechts; mit Schlauch zum Einbringen von Flüssigkeit). Links ist der befüllte Ballon zu sehen. Credit: Allurion
Das Prinzip ist bekannt. Nur wurden solche Ballons meist unter Allgemeinanästhesie per Endoskop platziert und befüllt, um 6 bis 12 Monate im Magen zu verbleiben. Bei den ersten Generationen dieser Medizinprodukte gab es einige Risiken, etwa spontane Entleerungen, aber auch Darmverschlüsse, Darmperforationen oder Schleimhautgeschwüre. Weiterentwicklungen sollen diese Probleme lösen.
Der neue Ballon wird in Form einer Pille geschluckt, erst im Magen entfaltet und durch einen Schlauch mit einer definierten Menge an Flüssigkeit befüllt. Ärzte kontrollieren den richtigen Sitz des Medizinprodukts per Bildgebung. Das geschieht ohne Anästhesie, ohne Sedierung, ohne Klinikbett und ohne Krankschreibung. Im Magen verbleibt der gefüllte Ballon ca. 4 Monate. Anschließend öffnet sich das Ventil, der Inhalt läuft in den Darm und der Ballon fällt in sich zusammen. Ebenfalls über den Darm wird die Hülle wieder ausgeschieden. Auch hier ist kein Eingriff erforderlich.
Doch was bringt der Ballon und welche unerwünschten Effekte treten auf? Das haben Forscher jetzt untersucht. Grundlage waren Daten von 336 Patienten, die zwischen Dezember 2018 und Juli 2021 einen schluckbaren Magenballon erhalten hatten. Bei allen Teilnehmern war die Intervention mit einem 12-monatigen Coaching zur Änderung des Lebensstils verbunden.
Die Teilnehmer waren zu Studienbeginn 45,7 Jahre alt; 71,7 % waren weiblich. Ihr mittleres Ausgangsgewicht bei der Rekrutierung betrug 107,54 kg bei einem mittleren Body Mass Index (BMI) von 36,1. Als Ergebnis fanden die Forscher einen deutlichen Effekt: Nach 12 Monaten betrug der mittlere Gewichtsverlust 11,0 %. Zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen zählten Übelkeit (80,4 %) und Magenschmerzen (80,3 %) – allerdings meist nur in der ersten Woche. In 8 Fällen entleerte sich der Ballon vor der veranschlagten Dauer von 4 Monaten.
Alles in allem kommen die Autoren zu dem Schluss, dass „der schluckbare Magenballon in Kombination mit einer Beratung zum Lebensstil eine sichere und wirksame Behandlungsoption für Patienten mit Übergewicht und Adipositas darstellt“. Ihre neuen Daten bestätigen Ergebnisse einer älteren Studie. Trotz aller Euphorie bleiben einige Fragen unbeantwortet: Wie verändert sich das Gewicht langfristig jenseits der recht überschaubaren Studiendauer von 12 Monaten? Und halten die Ergebnisse auch einer Überprüfung in randomisiert-kontrollierten Studien stand, falls es eine Kontrollgruppe mit Scheinintervention gibt?
In Großbritannien sind Kostenträger trotz solcher Wissenslücken optimistisch: Der NHS zahlt schluckbare Magenballons bei Adipositas. Gesetzliche Krankenkassen bei uns übernehmen die Kosten im Regelfall nicht. In der deutschen S3-Leitlinien „Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen“ haben Magenballons nur den Status einer 0-Empfehlung – also ohne Empfehlung. Experten schreiben: „Der Magenballon kann Patienten mit Adipositas nach Versagen einer konservativen Therapie und bei Ablehnung einer Operation bzw. bei Kontraindikationen für eine Operation im Rahmen eines angemessenen begleitenden Programms angeboten werden.“ Die Leitlinie wird momentan überarbeitet; warten wir auf das Update.
Bundesweit haben etliche Kliniken und Ärzte Magenballons bei Adipositas im Programm, aktuell vor allem die Variante der unter Sedierung per Endoskop implantierten Modelle. Die Kosten liegen bei 2.200 bis 4.900 Euro, für die schluckbare Version sind es rund 4.000 Euro. Laut Allurion, einem britischen Hersteller der Magenballons zum Schlucken, haben in Deutschland 24 Kliniken den Ballon zum Schlucken im Programm. Zum Vergleich: Eine Magenbypass-Operation kostet um die 10.000 Euro.
Fazit: Nach bisherigem Stand sprechen einige Argumente, vor allem die leichte Anwendbarkeit, für die Magenballons zum Schlucken. Zweifel kommen aus der Praxis: „Wir bieten […] keine Schluckballone an, da sie sich unserer Erfahrung nach als unzuverlässig erwiesen haben“, schreibt das Chirurgie-Zentrum Viszera in München. „Das begrenzte Füllvolumen und die kürzere Tragezeit erschweren nachhaltige Gewichtsverluste.“ Noch fehlen Langzeitdaten – und ohne langfristige Lebensstil-Interventionen wird der Effekt kaum von Dauer sein.
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