Der Anteil der generisch hergestellten Arzneien an der Versorgung ist seit der Gründung des Branchenverbands Pro Generika nach Verbandsangaben deutlich gestiegen. Doch ein Präparatewechsel kann für den Patienten auch kritisch sein, besonders bei Critical-Dose-Pharmaka.
Im Jahr 1917 erlosch das Patent von Bayer auf Aspirin® und die Firma kämpfte erbittert gegen die Möglichkeit, dass ein generisches Produkt auf den Markt kommt. Bayer verlor den Prozess und der Weg für eines der ersten Generika war geebnet. Seit der Einführung der Generika wird darüber diskutiert, ob sie genauso gut wie das Originalpräparat sind. In den meisten Fällen gibt es keinen pharmakologischen Grund dafür, dass der Patient einen Unterschied in Wirkung und Nebenwirkung bemerkt, psychologische Aspekte mal ausgenommen. Bei einem guten Dutzend Wirkstoffen bestehen jedoch Unterschiede zwischen dem Original und den Generika. Es geht nicht um besser oder schlechter, nur um „anders“. Auch die Generika der verschiedenen Hersteller unterscheiden sich. Diese Unterschiede kommen bei Arzneistoffen mit einer kleinen therapeutischen Breite, kritischer Kinetik oder bestimmten Erkrankungen zum Tragen. Alle Generika müssen im Vergleich zum Original bioäquivalent sein. Bei den sogenannten „Critical-Dose-Pharmaka“ ist dieses Kriterium jedoch nicht allein ausschlaggebend.
Sowohl die europäischen Behörden als auch die FDA sind sich dieses Problems bewusst. Die FDA veröffentlichte das „Orange Book“ (Approved Drug Products with Therapeutic Equivalence Evaluations), das über die geprüfte Austauschbarkeit von Arzneispezialitäten informiert. Probleme ergeben sich nicht bei einer Neueinstellung auf Original oder Generikum, sondern immer nur bei einer Umstellung.
Dänische Behörden haben für einige Arzneimittelgruppen, beispielsweise Immunsuppressiva, L-Thyroxin, Antiepileptika und Antiarrhythmika, die Akzeptanzkriterien für die AUC und Cmax enger definiert als in der Bioäquivalenz-Guideline der EMEA vorgegeben. Die Bioäquivalenzspanne für Critical-Dose-Pharmaka (narrow therapeutic index drugs, NTID) beträgt 90-111 Prozent statt der üblichen 80 bis 125 Prozent.
Seit der Einführung der Rabattverträge im Jahr 2007 ist das pharmazeutische Personal verpflichtet, an gesetzlich krankenversicherte Patienten, deren Kasse entsprechende Verträge mit bestimmten Herstellern abgeschlossen hat, nur die verhandelten Rabatt-Arzneimittel abzugeben. Der Arzt kann dies verhindern, indem er auf das Aut-idem-Feld ankreuzt. Aufgrund der gesetzlichen Regelung in § 129 SGB V sind Arzneimittel mit Rabattvertrag nach § 130a Absatz 8 SGB V im Aut-idem-Bereich vorrangig abzugeben. Hat der Apotheker „pharmazeutische Bedenken“, darf er die Verschreibung in der Form nicht beliefern. Im Wortlaut des Gesetzes: §4 Absatz 3 des Rahmenvertrages nimmt Bezug auf §17 Absatz 5 der ApoBetrO: „Die abgegebenen Arzneimittel müssen den Verschreibungen und den damit verbundenen Vorschriften des 5. Buches Sozialgesetzbuch zur Arzneimittelversorgung entsprechen, [...] ergeben sich sonstige Bedenken, so darf das Arzneimittel nicht abgegeben werden.“ Warum ein Arzneistoff bzw. -mittel zum „Problemkind“ wird, kann unterschiedliche Gründe haben:
Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) hat in ihrer Leitlinie zur „Guten Substitutionspraxis“ folgende Arzneistoffe benannt, bei denen eine Substitution kritisch ist:
Unabhängig von dem Arzneistoff können auch bestimmte Applikationsformen kritisch in der Substitution sein. Dies gilt für Retardarzneimittel (auch flüssige), magensaftresistent überzogene Formen, dermal oder auf Schleimhäute applizierte systemische Arzneimittel, pulmonal oder intranasal angewendete systemische Arzneimittel, topisch applizierte, lokal wirksame Arzneiformen, intramuskuläre Applikationsformen sowie Implantate.
Nicht nur Substanzen und Arzneiformen machen ein Pharmakon „problematisch“. Auch bei gewissen Erkrankungen und Patientengruppen ist eine Substitution nicht sinnvoll. Beispielsweise bei Patienten mit Hör- und Sehstörungen, mit psychischen Erkrankungen, Epileptiker, Parkinsonpatienten, Kindern, Älteren, multimorbiden Patienten, Demenz und Sondenapplikation. Bestehen die Bedenken trotz Beratung fort, solle nicht das rabattierte, sondern ein anderes Arzneimittel im Rahmen der Verordnung abgegeben werden. In der Apotheke wird dann die Sonder-PZN 2567024 aufgedruckt und stichpunktartig eine Begründung auf dem Rezept vermerkt. Etwa „Medikament mit kritischer Dosierung, Umstellung bedenklich“ oder „Gefährdung des Therapieerfolgs durch Non-Compliance“. Nicht selten bewerten Apotheker und Arzt das Problem unterschiedlich relevant. Besonders kritisch, teils wegen einer geringen therapeutischen Breite, sind u.a. Phenprocoumon, Antiepileptika, Digitalispräparate und L-Thyroxin.
Vitamin-K-Antagonisten wie Phenprocoumon gehören zu den Arzneistoffen mit einer geringen therapeutischen Breite. Eine Wirkungsverminderung erhöht das Thromboembolierisiko, eine Wirkungsverstärkung das Blutungsrisiko. Bei einer Umstellung auf ein anderes Arzneimittel sollte der INR-Wert in der Anfangsphase engmaschiger überwacht werden.
Fallberichte zeigen, dass eine langjährige Anfallsfreiheit durch den Wechsel von einem Originalpräparat auf ein Generikum gefährdet sein kann. Retrospektive Studien von Duh et al. weisen darauf hin, dass mit unterschiedlichen Antiepileptika-Generika behandelte Patienten ein erhöhtes Risiko für Krankenhauseinweisungen sowie Kopfverletzungen und Knochenbrüche haben. Ein ständiger Wechsel zwischen verschiedenen generischen Präparaten beziehungsweise Original und Generikum sollte in jedem Fall vermieden werden, so die Leitlinie „Erster epileptischer Anfall und Epilepsien im Erwachsenenalter“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.
Seit langer Zeit wird über den nicht risikolosen Wechsel berichtet. Dass L-Thyroxin-Präparate hinsichtlich ihrer Bioverfügbarkeit nicht vergleichbar sind, wurde 2002 unter anderem in einer Studie von Krehan et al. festgestellt. 60 freiwillige euthyreote Schilddrüsenpatienten erhielten über einen Zeitraum von zwei Wochen täglich eines von zwei L-Thyroxin-Präparaten (jeweils eine Tablette pro Tag, entsprechend 100 μg L-Thyroxin). Bereits am 1. Tag nach Einnahme des Originalpräparates wurde, im Vergleich zum Generikum, ein kontinuierlich höherer fT4-Spiegel erreicht. Nach 8 Stunden war die Differenz deutlich unterschiedlich. Nach 14-tägiger Verabreichung der L-Thyroxin-Präparate nahm der TSH-Serumspiegel um 70 Prozent beim Original vs. 56 Prozent ab. Bei einer Umstellung wären die Kosten für eine Hormonstatusbestimmung erheblich höher als das Einsparpotenzial. Bei einer Neueinstellung oder Dosisumstellung ist ein Wechsel problemlos möglich. Wie problematisch L-Thyroxin ist, zeigt die Empfehlung, die Substanz auf nüchternen Magen, mit Leitungs- und nicht Mineralwasser einzunehmen und keinen Kaffee zu trinken. Kein anderer Arzneistoff hat eine höhere Plasma-Protein-Bindung als L-Thyroxin. Eine Studie von Bolk et al. untersuchte, ob die morgendliche Einnahme oder die Applikation direkt vor dem Zubettgehen zu höheren Plasmaspiegeln führt. Erstaunlicherweise ergab sich ein Vorteil für die abendliche Einnahme.
Seit dem 1. April 2014 existiert die Substitutionsausschlussliste. Sie findet sich im Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung. Der Gesetzgeber hat die Erstellung dieser Liste mittlerweile dem Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) übertragen. In seiner neuen Anlage 1a (Substitutionsausschlussliste) sind jetzt das Immunsuppressivum Ciclosporin Lösung und das Antiepileptikum Phenytoin Tabletten aufgeführt. Der Beschlussentwurf plant ein Austauschverbot für folgende weitere Wirkstoffe und Darreichungsformen:
Der GBA kündigte an, demnächst weitere Austauschverbote zu beschließen. Geplante Kandidaten sind Immunsuppressiva (insbesondere Tacrolimus), Antikonvulsiva, Opioidanalgetika mit verzögerter Wirkstofffreisetzung, Inhalativa gegen Asthma und COPD sowie Dermatika gegen Psoriasis. Der Ausschuss beurteilt die Arzneimittel nach drei Kriterien:
Der Deutsche Apothekerverband (DAV) betont, dass es sich um eine „Austauschverbotsliste“ handele. Der GKV-Spitzenverband macht klar: Wird ein Arzneimittel mit einem Wirkstoff verordnet, der auf der Liste steht, können pharmazeutische Bedenken nicht mehr angemeldet werden. Für andere Wirkstoffe bzw. Arzneimittel gilt der Passus weiterhin.