Wenn Kollegen erzählen, dass sie ihre Ressourcen schützen müssen, kommt mir die Galle hoch. Ja, ich hätte auch gerne einen Kicker im Aufenthaltsraum – aber aktuell ist das nicht drin. Warum uns das System bald um die Ohren fliegen wird.
Eine Kollegin versucht hier gerade, mit viel Einsatz und Herzblut ein offizielles Palliativnetzwerk aufzubauen, da aktuell noch jeder Hausarzt seine eigenen Palliativpatienten versorgt. Dafür brauchen wir aber noch ein paar Fortbildungen und so saß ich vor kurzem in einer Palliativ-Fallbesprechung – und knirschte mit den Zähnen.
Es war ein guter Kurs, keine Frage, sehr nette Teilnehmer, Referenten und die Themen waren auch sehr interessant. Bis wir (wie es mir schon mehrfach mit Palliativmedizinern passiert ist) auf deren Arbeitsbedingungen kamen. Und der Kollege vorne dann von der „sehr positiven Wirkung des Kickers im Aufenthaltsraum“ sprach oder davon, dass man ja sehr darauf achten müsse, dass man seine Ressourcen schone und dann auch schon mal jemand für eine Woche freigestellt würde, wenn es ihm gerade nicht gut gehe.
Ja, da meldete sich doch arg der Neid in mir. Mein Team geht jetzt am Ende der Infektsaison echt auf dem Zahnfleisch, die Patienten sind aktuell auch häufiger ruppig, weil wir aufgrund des Andrangs nicht mehr jeden Wunsch erfüllen können (z. B. ohne Termin, Wartezeit unter 30 Minuten beim Lieblingsarzt). Und auch wenn ich glaube, dass ich, vor allem auch mit den Hausarztverträgen, finanziell ganz gut dastehe für ein Jahr nach Praxisübernahme, macht sich bei mir manchmal die Sorge breit, was z. B. die Gehaltserhöhung der MFA angeht.
Die war überfällig, ist mehr als verdient und ich zahle auch weiterhin über dem neuen Tarif, weil ich glaube, dass das immer noch grenzwertig wenig ist. Vor kurzem hab ich gelesen, MFA stehe auch für „Managerinnen für alles“ und das stimmt. Und dass wir weiter gerade in jungen Jahren echt wenig bezahlen, finde ich schwierig. Aber jetzt kommt die nächste Tariferhöhung, nämlich für die angestellten Ärzte in den kommunalen Krankenhäusern, an denen wir uns in der Praxis bisher orientiert haben. Gleichzeitig bekomme ich als Praxisinhaberin nur 3,48 % mehr Punktwert, also wieder kein adäquater Ausgleich. Also: Angestellte sollen angemessen bezahlt werden, ich als Arbeitgeber muss schauen, dass ich das bereitstelle, auch wenn meine Entlohnung da nicht angepasst wird. Und im Gegensatz zu Handwerkern bin ich ja grundsätzlich gebunden, was ich in Rechnung stellen kann.
Ich hätte also für meine Angestellten auch gern einen großen Aufenthaltsraum mit Kicker und eine Personaldecke, die nicht auf Kante genäht ist. Gleichzeitig bekam ich letztens mit, dass ein lokaler HNO-Facharzt extrem über die HZV-Verträge schimpfte – er wolle bald keine Patienten aus der HZV mehr behandeln. Grund sei auch, dass er die erhöhte Entlohnung der Hausärzte im HZV als unfair empfindet. Aber diese Gerechtigkeits-Debatten laufen ja nicht nur zwischen den Fachrichtungen. Einmal ging es darum, dass man als Arzt auf dem Land die drei- bis zehnfache Notdienst-Belastung hat im Vergleich zur Stadt. Der Kommentar des Kollegen aus der Stadt: „Wer sich auf dem Land niederlässt, weiß ja, was er bekommt.“ Übersetzt: „Selbst schuld.“
Letztlich sehen sich alle Akteure im Gesundheitssystem am Limit. Der Krankenhaus-Chefarzt weiß nicht mehr, wie er genug Assistenzärzte findet, die dann nach 1–3 Jahren das Krankenhaus wieder verlassen (quasi so schnell es die geplante Weiterbildung zulässt), weil auch dort die Arbeitsverdichtung und vor allem auch dort die Dienstbelastung als zu viel empfunden wird (365 Tage geteilt durch wenige Assistenten = mehr Arbeit pro Nase und eine Unterbesetzung verstärken den Teufelskreis). Unser lokaler Pflegedienst ist ebenfalls überlastet und ja, auch da ist es schwierig, zu ertragen, wenn dann der – natürlich aus Ressourcen-Gründen nur in der Stadt arbeitende – SAPV-Dienst davon spricht, dass man die Ressourcen des Teams schützen und definitiv Überlastung vermeiden müsse. Denn wenn diese Ressourcen geschont werden, müssen andere einspringen: nämlich die Angehörigen regulärer Institutionen, Pflegedienst und Hausarzt – für deutlich weniger Geld, aber mit Abdeckung der gleichen Bedürfnisse.
Das ist eine der Sachen, die mich an der Palliativmedizin stört: Palliativmediziner betonen immer wieder, wie wichtig die Versorgung der Patienten ist – aber wenn man nicht zum Kreis der Erwählten auf der jeweiligen Liste des Dienstes oder Hospizes gehört, sondern einfach zur falschen Zeit anfragt, ist es egal, wie schlecht es dem Patienten geht. Denn dann müssen die eigenen Ressourcen geschont werden, das sei gesunde Abgrenzung. Fertig.
Auf dem Heimweg haben wir über dieses Spannungsfeld diskutiert. Ein Kollege sagte nicht zu Unrecht, dass wir aufpassen müssen, dass wir nicht aus Neid versuchen, anderen bessere Arbeitsbedingungen wegzunehmen. Das kann ich auch absolut verstehen. Aber wie sich schon jetzt überall zeigt: Die Verteilungskämpfe beginnen – es gibt nicht mehr so viele Ärzte, Pfleger und MFAs und auch das Geld ist halt deutlich krasser begrenzt. Wie kann man also die vorhandenen Ressourcen möglichst gerecht verteilen? Denn es muss ja letztlich auch für alle Steuerzahler bezahlbar bleiben, aber das aktuelle System ist so schlichtweg nicht finanzierbar. Immer mehr Kranke, immer mehr teure Prozeduren/Therapien, immer mehr Anforderungen von Seiten der Patienten („Arzt als Dienstleister“), immer mehr komplexe Sachverhalte (z. B. die immer differenzierteren Immunsuppressionen), in die man sich einarbeiten muss. Das alles mit immer weniger Personal? Das kann nicht klappen.
Letztlich fürchte ich, dass wir uns so lange weiterschleppen, bis irgendwann wirklich die große Umstrukturierung kommen muss, weil das System komplett pleite ist. Ich hoffe nur, dass wir uns bis dahin nicht untereinander so zerfleischt haben, dass eine gute Zusammenarbeit kaum noch möglich ist. Oder wir die oft befürchteten britischen Verhältnisse haben, wo Menschen zu lange auf Hilfe warten müssen und dadurch unnötige Schäden erleiden oder gar versterben.
Was ich mir wünschen würde: Endlich mal eine Koalition aus Leuten, die wirklich versuchen, ein möglichst gerechtes, aber auch fachgruppenübergreifendes, ganzheitliches System zu denken. Nicht nur einzelnen Leuten mehr Geld zu geben, sondern wirklich mal eine Generalüberholung durchzuführen. Und wenn das ein zu großer Traum erscheint: „Träumt keine kleinen Träume, denn sie haben keine Macht, die Herzen der Menschen zu bewegen.“ – Johann Wolfgang von Goethe
Bildquelle: Erstellt mit DALL-E