Kinder mit Spinaler Muskelatrophie entwickeln sich motorisch deutlich besser, wenn die Behandlung vor Symptombeginn startet, so das Ergebnis einer aktuellen Studie. Sollten Kinder daher frühzeitig darauf gescreent werden?
Wird bei Kindern die Diagnose Spinale Muskelatrophie (SMA) bereits im Neugeborenenscreening gestellt und direkt mit der Behandlung begonnen, zeigen sie eine deutlich bessere motorische Entwicklung als bei Diagnose nach Symptombeginn. Das zeigt die Studie unter Leitung des Universitätsklinikums Freiburg, die in JAMA Pediatrics erschienen ist. Sie verdeutlicht, wie entscheidend eine frühzeitige Diagnose und Behandlung für die Verbesserung der Lebensqualität der betroffenen Kinder ist.
SMA ist eine seltene genetische Erkrankung, die die Muskelkontrolle beeinträchtigt. „Die Studie bestätigt den Nutzen des Neugeborenenscreenings, das vielen betroffenen Kindern eine Chance auf eine nahezu normale Entwicklung gibt“, erklärt Prof. Janbernd Kirschner, Ärztlicher Direktor der Klinik für Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen des Universitätsklinikums Freiburg.
Bereits seit 2018 wurde in einigen Regionen Deutschlands das Neugeborenenscreening für SMA in einem Pilotprojekt erprobt. In der kontrollierten Studie des SMArtCARE Registers konnten nun die 44 Kinder, die durch Screening identifiziert wurden, mit 190 Kindern verglichen werden, die im gleichen Zeitraum erst nach dem Auftreten von Symptomen diagnostiziert wurden. Kinder, die durch das Neugeborenenscreening identifiziert wurde begannen durchschnittlich mit 1,3 Monaten mit einer medikamentösen Behandlung, verglichen mit 10,7 Monaten bei Kindern, die erst nach Symptombeginn diagnostiziert wurden. Die früh diagnostizierten Kinder lernten zu 90,9 % selbstständig sitzen und zu 63,6 % gehen, im Vergleich zu 74,2 % bzw. 14,7 % in der später diagnostizierten Gruppe.
Seit Oktober 2021 ist ein genetischer Test auf SMA in Deutschland Teil des allgemeinen Neugeborenenscreenings. In vielen anderen Ländern wird aber noch diskutiert, ob der Aufwand und die Kosten für die Untersuchung aller Neugeborenen gerechtfertigt sind. Die aktuelle Studie belegt erstmalig den Nutzen des Neugeborenenscreenings durch den Vergleich mit einer parallelen Kontrollgruppe. „Die Ergebnisse unserer Studie sprechen klar für die Aufnahme der SMA in Neugeborenenscreening-Programme und heben die Bedeutung der Früherkennung für die betroffenen Kinder hervor“, so Kirschner.
Die Spinale Muskelatrophie ist eine relativ häufige „Seltene Erkrankung“: Ungefähr eines von 6–10.000 Neugeborenen ist betroffen und ungefähr eine von 45 Personen ist Anlageträger für die Erkrankung. SMA führt zu Muskelschwäche, besonders in den Muskeln nahe dem Rumpf und stärker in den Beinen als in den Armen. Auch Kau- und Schluckmuskulatur sowie Atemmuskulatur können betroffen sein, was die Anfälligkeit für Lungenprobleme erhöht. Seit einigen Jahren stehen verschiedene medikamentöse Therapien zur Verfügung, die insbesondere bei frühem Therapiebeginn den Krankheitsverlauf deutlich verbessern. Während früher viele Betroffene verstorben sind, ist das heute eher die Ausnahme.
Das SMArtCARE Register (www.smartcare.de) ist eine gemeinsame Initiative von Neurologen, Neuropädiater und Patientenorganisationen im deutschsprachigen Raum. In einem krankheitsspezifischen Register werden Daten aus der klinischen Routine von Personen mit SMA gesammelt ist. Ziel der Datensammlung ist es weitere Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit der verschiedenen Therapien zu sammeln. Aktuell beteiligen sich über 70 Kliniken an der Initiative, die vom Universitätsklinikum Freiburg geleitet wird. Bisher wurden über 20.000 Visiten von 1.900 teilnehmenden Patienten gesammelt.
Dieser Beitrag basiert auf einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums Freiburg. Die Originalpublikation haben wir euch hier verlinkt.
Bildquelle: Olivie Strauss, Unsplash