Bei chronischer Hepatitis D kommt der Wirkstoff Bulevirtide zum Einsatz. Wie dieser wirkt, haben Forscher nun entschlüsselt und damit die Grundlage zur Entwicklung neuer Medikamente geschaffen.
Die chronische Hepatitis-D-Virusinfektion (CHD) ist die schwerste virale Lebererkrankung. Sie ist verbunden mit einem hohen Risiko, an Leberzirrhose und Leberkrebs zu erkranken. Weltweit sind mehr als 12 Millionen Menschen davon betroffen. Das erste und einzige zur spezifischen Behandlung von CHD zugelassene Medikament ist Hepcludex® mit dem Wirkstoff Bulevirtide (BLV), das den Eintritt des Virus in die Leberzellen hemmt.
Wie dies auf molekularer Ebene genau funktioniert, hat nun ein Forscherteam unter der Federführung der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH Zürich, Schweiz) entschlüsselt. Beteiligt an der Studie sind Wissenschaftler des Forschungsgebiets Hepatitis des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) an den Universitäten Heidelberg und Gießen sowie des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU). Die in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlichten Forschungsergebnisse ebnen nun den Weg für die gezielte und effektive Entwicklung neuer Medikamente gegen CHD.
Das Hepatitis-D-Virus (HDV) nutzt Oberflächenproteine des Hepatitis-B-Virus (HBV) als Vehikel, um spezifisch über ein Protein in der Membran von Leberzellen – das Gallensalz-Transporterprotein NTCP (Natrium/Taurocholat-kotransportierendes Polypeptid) – in die Leberzellen zu gelangen. Mittels Kryo-Elektronenmikroskopie haben die Forscher die Struktur des Wirkstoffs auf molekularer Ebene entschlüsselt und den Komplex aus Wirkstoff und NTCP-Rezeptor analysiert. Der Wirkstoff Bulevirtide besteht aus einem essenziellen Abschnitt (Peptid) eines Oberflächenproteins des HBV. Das Forscherteam konnte zeigen, dass dieses auf 3 verschiedene Weisen mit dem NTCP-Rezeptor interagiert. Unter anderem gibt es einen Teil, der sich exakt in den Gallensalztransporttunnel des NTCP einfügt – wie der Bart eines Schlüssels in ein Schloss – und den Tunnel verschließt.
„Die Ausbildung eines ‚plugs‘ im Transporttunnel und die damit verbundene Inaktivierung des Gallensalztransporters ist bislang einzigartig unter den bekannten Virus-Rezeptor-Komplexen“, sagt Prof. Stephan Urban, DZIF-Professor für Translationale Virologie, in dessen Heidelberger Labor der Wirkstoff entwickelt wurde.
„Diese Struktur erklärt, warum die physiologische Funktion des NTCP bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Hepcludex®/BLV gehemmt wird.“ Prof. Joachim Geyer, Mitautor der Studie vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie der JLU, ergänzt: „Mit den strukturellen Details der Interaktion mit Bulevirtide haben wir auch Erkenntnisse gewonnen, die die Entwicklung kleinerer Wirkstoffe mit verbesserten pharmakologischen Eigenschaften ermöglichen. Unsere Strukturanalyse legt zudem einen Grundstein für die Entwicklung von Medikamenten, die nicht nur auf Peptiden basieren und möglicherweise eine orale Verabreichung ermöglichen.“
Darüber hinaus entschlüsselt die Strukturanalyse einen wichtigen Faktor der Speziesspezifität der Hepatitis-B- und -D-Viren. So spielt eine Aminosäure an einer bestimmten Position im NTCP-Molekül eine essenzielle Rolle für die Virus-Rezeptor-Interaktion. Gibt es an dieser Position eine Abweichung, wird die Bindung der Viren an den Rezeptor verhindert. Dies erklärt, warum bestimmte Altwelt-Primaten wie zum Beispiel Makaken nicht empfänglich für Hepatitis-B- und -D-Viren sind. „Unsere Studie ermöglicht somit auch ein tieferes Verständnis der evolutionären Anpassung von menschlichen und tierischen Hepatitis-B-Viren an ihre Wirte“, erläutert Mitautor Prof. Dieter Glebe vom DZIF-Standort Gießen-Marburg-Langen.
Prof. Kaspar Locher von der ETH Zürich, der Letztautor der Publikation, betont die Bedeutung der Ergebnisse für den Kampf gegen Hepatitis B und D: „Durch das Verständnis der Struktur von Bulevirtide und seiner Bindung an den Transporter NTCP können wir potenziell gezieltere und effektivere Behandlungen für Millionen chronisch HBV-/HDV-Infizierter entwickeln.“ Mit jährlich etwa 1,5 Millionen Infizierten stellt auch das Hepatitis-B-Virus trotz der Verfügbarkeit eines wirksamen Impfstoffs weiterhin weltweit eine große Herausforderung für die Gesundheitssysteme dar.
Dieser Beitrag basiert auf einer Pressemitteilung der Justus-Liebig-Universität Gießen. Die Originalpublikation haben wir euch hier verlinkt.
Bildquelle: Franz Roos, Unsplash