Wechselstrom-Magnetfelder an Gleisen könnten zu unnötigen Schockabgaben von automatisierten externen Defibrillatoren führen, fürchtet die Bahn. Was ist dran?
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine Kurzzusammenfassung.
Zur Interferenz von Herzschrittmachern und implantierten Defibrillatoren mit Magnetfeldern gibt es einige Publikationen und Empfehlungen. Spärlich ist die Datenlage allerdings bei den automatisierten externen Defibrillatoren (AED). Dazu ein Beispiel aus dem Alltag: Im Jahr 2016 berichtete der Merkur, dass die Deutsche Bahn das Anbringen von einem AED am Pasinger Bahnhof abgelehnt habe. Begründung: Wechselstrom-Magnetfelder könnten elektronische Schaltungen stören und es könne zu nicht sinnvollen Schockabgaben kommen. Dies verwundert, da an vielen U-Bahnhöfen AEDs zur Verfügung stehen. Der entscheidende Unterschied zwischen U-Bahn-Stationen und DB-Bahnhöfen sei die Stromversorgung der Züge. Die U-Bahnen erhalten durch eine Stromschiene Gleichstrom, die Züge werden dagegen aus Oberleitungen mit Wechselstrom versorgt. Dessen Frequenz beträgt 16 2/3 Hertz – daraus resultieren unterschiedliche Magnetfelder, so ein Bahn-Sprecher.
Kanz et al. untersuchten im Jahr 2004 elf verschiedene AED-Modelle in typischen öffentlichen Verkehrsmitteln auf ihre Empfindlichkeit und Spezifität bei der EKG-Analyse mit defibrillierbaren und nicht defibrillierbaren Rhythmen. Die Geräte wurden den elektromagnetischen Störungen eines Schienensystems ausgesetzt, das mit 15 kV Wechselstrom (AC) mit einer Frequenz von 16 2/3 Hz betrieben wurde, und eines U-Bahn-Systems, das mit 750 V Gleichstrom (DC) betrieben wurde. Die AED-Kabel wurden parallel und senkrecht zu den Gleisen verlegt, die Tests wurden mit 3 m Abstand von den Gleisen in einem leeren Bahnhof und bei einfahrenden Zügen durchgeführt.
Insgesamt wurden 5.280 Tests aufgezeichnet, jedes Gerät wurde 480-mal getestet. 15 kV 16 2/3 Hz AC störten die Tachyarrhythmie-Erkennungssysteme um mehr als 750 V DC (p < 0,0001). Ein AED-Aufbau mit Elektrodenkabeln senkrecht zum Gleis und zur Stromleitung reduzierte Störungen (p < 0,0001), während ankommende Züge keinen signifikanten Einfluss auf die EKG-Analyse hatten (p = 0,19). In der getesteten Umgebung öffentlicher Verkehrsmittel waren vier AED-Modelle für die automatische Defibrillation ungeeignet. Ein AED empfahl Schocks für den Sinusrhythmus bei einer normalen Frequenz. Im Metro-Einsatz empfahl ein AED bei bestehender ventrikulärer Tachykardie keine Schocks.
Das Forscherteam kam zum Ergebnis, dass Schockwarnsysteme einiger AED-Modelle anfällig für elektromagnetische Störungen, insbesondere in Terminals mit 15 kV 16 2/3 Hz AC sei. Die Störungen konnten minimiert werden, wenn der Patient parallel positioniert war und die Elektrodenkabel senkrecht zur Freileitung verlaufen sind. Die Wahl des AED-Modells für Bahn- oder U-Bahn-Stationen hänge davon ab, dass es nicht anfällig für typische elektromagnetische Störungen sei, so die Forschergruppe.
In einer Studie von Schlimp et al., ebenfalls von 2004, wurde der Einfluss elektromagnetischer Störungen durch Hochspannungsleitungen mit 16,7 Hz AC auf die Qualität der Rhythmusanalyse von AEDs ermittelt. Zwei in Österreich häufig verwendete AEDs wurden in der Nähe von Hochspannungsleitungen (15 kV bzw. 110 kV AC mit 16,7 Hz) getestet. Die Defibrillationselektroden wurden entweder an einem Probanden mit echtem Sinusrhythmus oder an einer Beatmungspuppe mit erzeugtem Sinusrhythmus, Kammerflimmern, ventrikulärer Tachykardie oder Asystolie befestigt. Elektromagnetische Störungen waren im Elektrokardiogramm eines Menschen viel stärker ausgeprägt als im Elektrokardiogramm eines Dummys und hingen von der Position der Elektroden und Kabel im Verhältnis zur Stromleitung ab. In der Nähe von Hochspannungsleitungen wiesen die AEDs einen erheblichen Funktionsfehler auf. Ein AED interpretierte die Störung als Bewegungsartefakt, auch wenn zugrundeliegende Rhythmen deutlich erkennbar waren. Der andere AED interpretierte die 16,7-Hz-Schwingung als Kammerflimmern mit der daraus resultierenden Schockempfehlung, wenn kein zugrundeliegender Rhythmus erkannt wurde.
Die getesteten AEDs filterten und erkannten keine technischen Störungen von 16,7 Hz, die durch 15-kV-Stromleitungen über Bahngleisen oder 110-kV-Überlandleitungen, wie sie von Eisenbahngesellschaften in Österreich, Deutschland, Norwegen, Schweden und der Schweiz betrieben werden, verursacht werden. Diese Fehler in den AED-Algorithmen zur Rhythmusanalyse können bei Patienten, die sich einer öffentlich zugänglichen Defibrillation unterziehen, erheblichen Schaden verursachen.
Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2024 kommt zu einem anderen Ergebnis. Die retrospektive Datenanalyse berichtet über die reale Leistung und das Verhalten eines Schockberatungsalgorithmus, der in drei AED-Modellen verwendet wird, wenn Artefakte vorhanden sind. EKG-Rhythmusanalysen, die während der Verwendung von drei AED-Modellen (HS1, FRx und FR3) aufgezeichnet wurden, wurden überprüft. Die in den AEDs abgegebenen Schockempfehlungen wurden mit den Expertenkommentaren der Gutachter verglichen. Die Auswirkungen realer Artefakte und die Handhabung durch den Algorithmus wurden analysiert.
Von 3.941 Analysen wurden 619 als defibrillierbare Rhythmen vermerkt und 2.912 waren nicht defibrillierbar. In 23,3 % (918/3.941) der Analysezeiträume wurden vom Algorithmus Artefakte erkannt. Die Algorithmusleistung für die Analysezeiträume mit erkannten Artefakten betrug 95,2 % (80/84) für die Sensitivität und 100 % (687/687) für die Spezifität. In den verbleibenden Analysezeiträumen, in denen keine Artefakte festgestellt wurden, betrug die Sensitivität 97,4 % (521/535) und die Spezifität 99,8 % (2.221/2.225). Die Leistung dieses Schockberatungsalgorithmus bei realen Wiederbelebungen mit oder ohne Artefakte übertraf die AHA-Empfehlungen und die Anforderungen internationaler Standards. Die hohe Sensitivität und Spezifität belegen die Wirksamkeit und Sicherheit dieses Algorithmus in allen drei AED-Modellen.
Daten zum Thema AED-Interferenz bleiben rar. Erschwerend kommt hinzu, dass in den Studien unterschiedliche AED-Modelle getestet werden. Viele Arbeiten sind alt, AEDs wurden in der Zwischenzeit technisch weiterentwickelt. Auch wenn Untersuchungen ergeben haben, dass Bahnhöfe Standorte sind, die durch eine relativ hohe jährliche Inzidenz von Out of Hospital Cardiac Arrest gekennzeichnet sind, darf nicht vergessen werden, dass ein Großteil des klinischen Outcomes von einer effektiven kardiopulmonalen Reanimation abhängen. AEDs sind ein wichtiges Handwerkzeug in der Behandlung des Herzstillstandes. Trotz der vielen offenen Fragen ist es also wichtig, zu wissen, dass es Interferenzen zwischen einem AED und Magnetfeldern geben kann und sich als Experte nicht blind auf die Rhythmusanalyse zu verlassen.
Bildquelle: Simon Weisser, Unsplash