Eine junge Frau bringt ein gesundes Kind zur Welt. Zunächst scheint alles gut, doch plötzlich interessiert sie sich nicht mehr für ihr Kind und verhält sich seltsam. Was steckt dahinter?
Eine 32-jährige Patientin wird in der psychiatrischen Abteilung auf die Akutstation aufgenommen. Sie kommt in Begleitung ihres Ehemanns und ihres erst vor wenigen Tagen geborenen Kindes. Da die Patientin selbst misstrauisch wirkt und nicht mit dem Stationspersonal sprechen möchte, berichtet zunächst der Ehemann.
Die Geburt sei komplikationslos verlaufen und auch die ersten zwei Tage im Krankenhaus seien unauffällig gewesen, so dass sie dann nach Hause gegangen seien. Zuhause sei ihm dann aufgefallen, dass sich seine Frau komisch verhalte. Teilweise habe es gewirkt, als ob sie kein Interesse an ihrem Kind habe, z. B. habe sie sich einfach weggedreht, wenn das Kind geschrien habe und habe dabei teilnahmslos gewirkt. Er habe erst gedacht, es liege an der Müdigkeit. Dann habe sie aber gesagt, dass sie glaube, dass das Kind nicht ihr echtes Kind sei, sondern es ausgetauscht worden sei. Außerdem habe sie ihrem Mann und ihren Eltern Vorwürfe gemacht, dass sie sie beobachten und schlecht beeinflussen würden und auch dazu beigetragen hätten, dass ihr Kind ausgetauscht worden sei.
Sie hätten sich dann natürlich alle Sorgen gemacht und den Hausarzt angerufen. Dieser habe die Empfehlung zur stationären psychiatrischen Aufnahme gegeben. Die Patientin selbst habe zunächst nicht mitkommen wollen, sich dann aber doch durch gutes Zureden davon überzeugen lassen. Die Patientin ist in der Aufnahmesituation weiter wortkarg und sagt zur Ärztin, sie solle nicht so viele Fragen stellen, sie wisse doch eh, was Sache sei. Sie wirkt angespannt und guckt sich immer wieder misstrauisch im Zimmer um.
Ihr wird zur Lösung der Anspannung die Einnahme von Lorazepam angeboten, welches sie annimmt und sich daraufhin schlafen legt. Am Folgetag ist sie zu einem ausführlicheren Gespräch bereit. Sie kann ihre Gedanken in Bezug auf ihr Kind und ihr Misstrauen gegenüber ihren Angehörigen als zum Teil krankheitsbedingt annehmen und stimmt einer medikamentösen antipsychotischen Therapie zu. Über die nächsten Wochen gehen die Symptome schrittweise zurück und die Patientin nähert sich ihrem Kind wieder an, so dass sie schließlich unter medikamentöser Prophylaxe und nachdem eine ambulante psychiatrische und psychotherapeutische Weiterbehandlung organisiert wurde, entlassen werden kann.
Eine Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes sind umwälzende Erfahrungen auf jeder Ebene – physisch, emotional und hormonell. In dieser Zeit besteht deshalb auch eine erhöhte Vulnerabilität für das Auftreten oder die Verschlechterung von psychiatrischen Erkrankungen. Tritt eine psychiatrische Erkrankung in den Wochen nach einer Geburt auf, spricht man von postpartalen psychischen Erkrankungen. Eine postpartale Depression ist häufig, sie tritt bei 10 bis 15 % der Frauen nach einer Geburt auf. Eine postpartale Psychose, wie sie im Fallbeispiel beschrieben wurde, ist hingegen deutlich seltener – sie tritt ungefähr bei jeder 1000ten Geburt auf. Je nach Vorerkrankung kann das Risiko jedoch deutlich erhöht sein. Bei Frauen, die an einer bipolaren affektiven Störung leiden, steigt das Risiko für eine postpartale Psychose auf bis zu 37 %.
Bei der postpartalen Psychose (auch Wochenbettpsychose genannt) handelt es sich um eine schwerwiegende Erkrankung. Es besteht eine akute gesundheitliche Gefahr sowohl für die Mutter als auch für das neugeborene Kind. Eine ambulante Behandlung wird im Allgemeinen als nicht ausreichend angesehen, so dass immer eine stationäre Einweisung erfolgen sollte. Je nach Gefahrenlage kann die stationäre Aufnahme sogar gegen den Willen der Patientin nötig sein. Das bevorzugte stationäre Setting wäre eine gemeinsame Aufnahme von Mutter und Kind, dies ist aber oft mangels geeigneter Einrichtungen oder Stationen nicht möglich.
Die Symptome sind häufig stark wechselhaft. Es kommt unter anderem zu Wahnvorstellungen, Schlaflosigkeit, extremen Stimmungsschwankungen und Angstzuständen. Wenn Suizidgedanken oder auch Gedanken an Gewalt gegenüber dem Kind vorhanden sind, werden diese oft nicht spontan berichtet, sondern müssen immer wieder aktiv erfragt werden. Die medikamentöse Behandlung erfolgt in der Regel mit einem Antipsychotikum (z. B. Olanzapin), für die Akutphase wird zudem häufig mit Benzodiazepinen zur Reduktion von Anspannung und Ängsten behandelt.
In der Regel wird den betroffenen Frauen empfohlen, ihr Kind nicht zu stillen, auch wenn diese Entscheidung stets nach guter Beratung bezüglich aller Optionen von der betroffenen Patientin individuell getroffen werden muss. Problematisch ist zum einen, dass die antipsychotischen Medikamente in die Muttermilch übergehen und so der Säugling exponiert wird. Beobachtungsdaten von den meisten häufig verwendeten Antipsychotika erbrachten keine Hinweise für häufige negative Auswirkungen auf die betroffenen Säuglinge. Trotzdem ist die Anwendung in der Stillzeit mit potenziellen Risiken behaftet und muss deshalb stets gut abgewogen werden. Ein regelmäßiger Schlafrhythmus ist außerdem für die Genesung hilfreich und kann auch dem Wiederauftreten von psychotischen Symptomen vorbeugen. Deshalb ist nachts dann meist der Papa mit dem Fläschchen gefragt.
In der Post-Akutphase wird der Fokus auf eine vollständige Genesung gesetzt. Dies beinhaltet die anhaltende vollständige Symptom-Remission sowie ein uneingeschränktes soziales und berufliches Funktionsniveau. Eine schwere psychiatrische Erkrankung in einer so vulnerablen Zeit stellt naturgemäß eine große Belastung für das gesamte Familiengefüge dar. Eine gute und intensive Nachbetreuung zur Verarbeitung des Erlebten ist deshalb essenziell, um Folgeerkrankungen zu vermeiden.
Bildquelle: Getty Images, Unsplash