KOMMENTAR | Mit der ePA werden wir im nächsten Jahr zu unserem digitalen Glück gezwungen. Das kann klappen, aber optimistisch bin ich nicht. Und wo ist eigentlich das kotzende Emoji, wenn man es braucht?!
Artikel von Dr. med. Alexander Gerschanik
Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Sehr bald, eigentlich schon in 8 Monaten (Januar 2025) wird eine neue Sau durch unser Dorf – das Gesundheitswesen – getrieben! Erst kürzlich, am 22. März, beschloss der Bundestag das Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digital-Gesetz, DigiG). Wie so oft lohnt sich der Blick ins Original, so trocken und unnahbar dieses sich auch lesen mag (wo ist das grüne, kotzende Emoji, wenn man es braucht?!).
Das DigiG besagt: „Die elektronische Patientenakte ist eine versichertenzentrierte elektronische Akte, die den Versicherten von den Krankenkassen gemäß § 342 zur Verfügung gestellt wird. Mit ihr sollen den Versicherten Informationen, insbesondere zu Befunden, Diagnosen, durchgeführten und geplanten Therapiemaßnahmen sowie zu Behandlungsberichten, für eine einrichtungs-, fach- und sektorenübergreifende Nutzung für Zwecke der Gesundheitsversorgung, insbesondere zur gezielten Unterstützung von Anamnese, Befunderhebung und Behandlung, barrierefrei elektronisch bereitgestellt werden.“ So steht es nun im SGB V, dem Gesetzbuch, das die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland regelt und damit auch die tragende Säule unseres glückseligen Kassenarztdaseins darstellt.
Wie schon bei all den anderen Vorhaben werden die mit den Segnungen der Telematik geschlagenen Player des Gesundheitswesens – also Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Psychotherapeuten und Krankenhäuser – zu ihrem Glück verpflichtet. Bisher bedeutete diese Ehrenpflicht immer Zwang, unter der Androhung von Honorarabzug (wie viele % gibt es eigentlich dieses Mal? 1, 2 oder 4 %?) bis hin zum Ausschluss aus der vertragsärztlichen Versorgung.
Aber halt – wo Schatten ist, muss doch auch Licht sein?! Ich selbst bin niedergelassener Nephrologe. Wenn die Patienten zu uns kommen, passiert es sehr oft, dass wir keine Informationen über die bisherige medizinische Geschichte, Krankenhausaufenthalte, eingenommene Medikation und den Verlauf der Nierenfunktion in den letzten Jahren haben. Dass wir diese Informationen brauchen, wird von uns bei Terminvergabe am Telefon mantraartig eingetrichtert („das wurde mir aber nie gesagt!“) und steht zusätzlich fett geschrieben und in Farbe in der Onlineterminbuchung und nochmal auf der Homepage („das steht aber nirgendwo!“). Das traurige Ergebnis: In weit mehr als 50 % der Fälle trotzdem leere Überweisungen, bei dem mitgegebenen letzten Labor kommen einem fast schon die Glückstränen.
Großer Beliebtheit erfreut sich auch der Überweisungsschein mit dem Hinweis „erbitte höflichst den ausführlichen Bericht“ als einziges Mitbringsel. Hilfsweise auch die rätselhafte Abkürzung „FFE“ – inzwischen weiß ich, dass es für „fachfremde Erkrankung“ steht. Bevorzugt bei Patienten, die dement sind und/oder kein Deutsch sprechen. Medikamente? „Ja, diese Tabletten – die große eckige und die weiße, warum wissen SIE das denn nicht, Herr Doktor?“
Ob die Unterlagen nicht mitgegeben, von Patienten vergessen oder zum Bauen von Papierschiffchen zweckentfremdet werden, ist so geheimnisvoll wie die Sphinx – und wird es wohl für immer bleiben.
So, Leute, das ist also wirklich wie ein Puzzle ohne Anleitungsbild, bei dem außerdem dazu jedes zweite Puzzleteil fehlt. Welches Ergebnis würde da wohl am Ende herauskommen?
Konsequenz: Gefühlt 1/3 der MFA-Zeit geht für die Befundanforderung drauf. Und glaubt nicht, dass es mit einem Anruf getan ist! Drei, vier, fünf und manchmal mehr Anrufe (die telefonische Erreichbarkeit von fast allen Praxen – auch von unserer – ist ja bekanntlich problemlos … und wehe, man gerät an Aaron.ai, das ist der Endgegner!) kostet das unser emsiges Personal und auch uns. Mit ungewissem Ergebnis, oft unvollständig, oft „Fax nicht angekommen“.
Naja, in unserem Gesundheitswesen, welches bekanntlich von Fachkräfteüberhang, zu viel Freizeit und vorzüglicher Vergütung solcher Verrichtungen geprägt ist, macht man das ja nur zu gerne! Und am Ende passiert es immer noch, dass die Patienten vom MRT mit dem Befund „im Vergleich zu der (gleichen) Untersuchung (Datum von vor 2 Wochen) unverändert“ kommen. Gibt es eigentlich ein Emoji, das die Hände kraftlos im Schoß zusammengelegt hat?
Herr Bundesgesundheitsminister, I have a dream:
Wir wachen am 1. Januar 2025 in einer besseren Welt auf. In einer Welt, in der ich in Sekundenschnelle alle Puzzleteile vor mir habe und auch weitergeben kann. Außerdem:
Kommt nun die Zeit, in der das Wünschen wieder hilft – was glaubt ihr? Schreibt es in die Kommentare!
Bildquelle: erstellt mit DALL-E