Ein Gerichtsurteil mit Überraschungen: Chronisch kranke Menschen dürfen in bestimmten Fällen Hanf zum Eigenkonsum selbst anbauen. Dagegen laufen Behörden Sturm – wirklich zu Recht? Apotheker fordern, bei Cannabis als Pharmakon nicht mit zweierlei Maß zu messen.
Kaum ein Thema spaltet Politiker aller Couleur wie die Freigabe von Hanf. Jetzt waren wieder einmal Juristen am Zuge. Sie befassten sich mit der Frage, inwieweit chronisch kranke Menschen Cannabis anbauen dürfen.
Dass bestimmte Patientengruppen von Cannabis-Inhaltsstoffen profitieren, steht pharmazeutisch außer Frage. Kürzlich hat das Guideline Development Subcommittee der American Academy of Neurology 34 entsprechende Studien ausgewertet. Barbara Koppel vom New York Medical College bestätigte, dass Extrakte bei zugelassenen Indikation, nämlich MS-bedingten Spastiken, hilfreich seien. Keine ausreichende Evidenz fand Koppel bei Chorea Huntington, bei Morbus Parkinson, beim Tourette-Syndrom, bei zervikalen Dystonien oder zur Vorbeugung epileptischer Anfälle. Das lag zum Teil auch an der Qualität entsprechender Studien und ist momentan kein Argument gegen Cannabis.
Grund genug für mehrere Schmerzpatienten, Cannabisblüten selbst versuchsweise einzusetzen. Sie argumentierten, Kosten für den gesetzlich regulierten Import via Ausnahmegenehmigung nicht aufbringen zu können. Krankenversicherungen springen hier nicht ein. Anträge zum Eigenanbau hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) jedoch abgelehnt. Betroffene suchten auf dem Klageweg ihr Heil – teilweise mit Erfolg.
Entsprechenden Forderungen hat das Kölner Verwaltungsgericht unter strengen Auflagen zugestimmt. Im Urteil hieß es, der Eigenanbau bleibe grundsätzlich verboten, könne aber als „Notlösung” erlaubt werden. Das sei bei austherapierten Patienten oder bei Menschen, für die Cannabis aus der Apotheke nicht bezahlbar sei, der Fall. Beobachter werten das Urteil als Präzedenzfall mit Relevanz für viele Schmerzpatienten. Jetzt muss das BfArM Anträge von Schmerzpatienten erneut prüfen. Mit rigiden Auflagen ist zu rechnen.
Zum Prozessbeginn hatten BfArM-Vertreter bereits auf die mangelhafte Absicherung von Wohnungen hingewiesen. Erstaunlich genug, dass ihre Argumentation bei Schmerzpatienten, die regelmäßig Opioide anwenden, keine Rolle spielt. Auch seien unerwünschte Wirkungen bei der Eigenproduktion denkbar. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer (BAK), kritisiert eher die Versorgungssituation: „Wenn Cannabis gegen Schmerzen eingesetzt wird und die Funktion eines Arzneimittels hat, dann muss es auch wie ein Arzneimittel behandelt werden.“ Das beinhalte eine Verordnung durch den Arzt, eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse und eine Abgabe durch die Apotheke unter kontrollierten Bedingungen. Beim „Eigenanbau im Wintergarten“ sei die Einhaltung üblicher Qualitätsstandards nicht gewährleistet.