Muskelschmerzen, Herzrasen, Atemnot – ein junger, sportlicher Patient stellt sich immer wieder mit Symptomen vor. Jedes Mal geht es um eine neue AU. Bei Patienten wie diesem fällt es mir schwer, unbefangen zu bleiben.
Der Kontakt mit Patienten ist nicht immer einfach. Manchmal funktioniert die Kommunikation nicht so recht oder es fällt als Arzt schwer, den Patienten und sein Verhalten zu verstehen – erst recht, wenn es so scheint als würde der Patient gar nicht gesund werden wollen. Geht es dann auch noch um eine Krankheit wie Post Covid, die ohnehin wenig konkrete Marker hat, ist der Arzt besonders gefordert. Das habe ich bei diesem Fall am eigenen Leib gespürt.
Der Patient ist Anfang 20, sportlich aktiv, berufstätig und hat keine Vorerkrankungen. Als er sich mit SARS-CoV-2 infiziert, hat er einen sehr symptomarmen Verlauf und ist schnell wieder auf den Beinen. Doch dann, etwa einen Monat nach der Infektion, bekommt er plötzlich Atemnot. Er wird pneumologisch untersucht, doch es wird nichts gefunden. Die Verdachtsdiagnose lautet: Post-Covid-Syndrom.
Ich schreibe ihn krank und wir beantragen eine Reha, um seine körperliche Belastbarkeit wieder zu steigern. Anschließend wollen wir eine Wiedereingliederung angehen. In der Reha wird das Post-Covid-Syndrom als Hauptdiagnose gestellt. Weiter stellen die behandelnden Mediziner eine allgemeine Kraft- und Konditionsminderung mit Belastungsdyspnoe fest, sowie Konzentrationsstörungen und Gelenk- und Muskelschmerzen. Für die Muskelschmerzen wird ihm die Einnahme von Cannabisöl empfohlen.
Der junge Mann wird schließlich arbeitsunfähig entlassen. Im Bericht merken die Ärzte aber auch an, dass perspektivisch davon auszugehen sei, dass er in Zukunft seiner bisherigen Arbeit wieder nachgehen wird können, auch wenn der genaue Zeitpunkt noch nicht abzusehen sei. Deshalb wird ihm nun erstmal eine intensivierte Rehabilitationsnachsorge (IRENA) empfohlen und im Anschluss eine weitere Reha. Ich rate dem Patienten, nach der IRENA auch eine Wiedereingliederung in Erwägung zu ziehen, bevor er direkt in die nächste Reha geht.
Einen Monat später sehe ich ihn wieder, um die AU zu verlängern und über die Wiedereingliederung zu sprechen – das dachte ich zumindest. Stattdessen bringt der Patient Anträge auf einen Schwerbehindertenausweis und eine Berufsunfähigkeit mit. Eine Wiedereingliederung scheint also vorerst vom Tisch.
Während der IRENA besucht der junge Mann zwei Post-Covid-Kliniken und einen weiteren Neurologen, die alle die Diagnose Post-Covid-Syndrom bestätigen, aber keine weiteren Erkrankungen finden. Zudem stellt er einen Antrag für eine Kostenübernahme des Cannabisöl bei der Krankenkasse – dieser wird jedoch abgelehnt. Der daraufhin eingereichte Widerspruch wird ebenfalls abgelehnt. An diesem Punkt rate ich dem Patienten, das Cannabisöl einmal abzusetzen, um zu überprüfen, ob es wirklich einen deutlichen Effekt hat, bevor er noch mehr Zeit Energie und Geld – schließlich zahlt er für einen Bedarf von 3 Wochen knapp 300 Euro – investiert. Er nimmt diesen Rat an, berichtet aber von stark vermehrten Schmerzen als Folge des Absetzens. Daraufhin nimmt er es wieder ein und reicht einen zweiten Widerspruch ein. Schließlich reicht er auch noch eine Klage gegen den MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) ein.
Noch während der IRENA klagt der Patient plötzlich über Herzrasen. Ein erstes Kurzzeit-EKG ist unauffällig, deshalb planen wir ein Langzeit-EKG. Der Mann kommt in die Praxis, damit die Elektroden angebracht werden können. Während des Verkabelns muss die zuständige Pflegerin kurzzeitig den Raum verlassen und als sie zurückkommt, findet sie den Mann in einer Schublade wühlend. Darauf angesprochen sagt er nur, dass die Elektroden ja so schnell abfallen würden und er nur extra Klebestreifen gesucht habe, die er mit nach Hause nehmen könne. Die Pflegerin und ich können uns nur irritiert anschauen.
Als ich dann die Daten des Langzeit-EKGs sichte, fällt mir eine etwa 3-sekündige Pause in der Messung auf. Sofort bestelle ich den Mann ein. Auf die Pause angesprochen, berichtet er, sich nicht an etwas Auffälliges zu diesem Zeitpunkt erinnern zu können. Ich schicke ihn ins Krankenhaus, wo er kardiologisch durchgecheckt wird – ohne Befund. Als ich den Patienten das nächste Mal sehe, erzählt er dann, dass er während der Pause ohnmächtig gewesen sei. Wir wiederholen das Langzeit-EKG, diesmal ist es jedoch komplett unauffällig.
Der junge Mann sucht anschließend eine dritte Post-Covid-Klinik auf, die auf Herzprobleme spezialisiert ist, doch auch hier wird nichts weiter gefunden. Nach dem Auslaufen der IRENA beantragt er eine zweite, ambulante neurologische Reha, die er auch bewilligt bekommt. Wir vereinbaren, danach die Wiedereingliederung zu planen, doch nach der Reha berichtetet er, sich noch nicht fit genug zu fühlen und beginnt stattdessen eine zweite IRENA.
Ich weiß, dass ich als Arzt verpflichtet bin, unvoreingenommen in die Behandlung mit Patienten zu gehen. Bei diesem Patientenfall gab es allerdings immer wieder Momente, bei denen ich mich selbst rütteln musste, um meine Unvoreingenommenheit aufrecht zu erhalten. Eine besonders schwierige Situation war das Langzeit-EKG: Erst das Wühlen in den Schränken, dann die widersprüchlichen Aussagen zu der Pause. Beides hat das Vertrauensverhältnis belastet.
Zudem fällt es mir oft schwer, den Patienten zu verstehen. Einerseits fühlt er sich nicht fit genug, eine Wiedereingliederung zu planen, andererseits hat er die Energie, mehrere – teils weit entfernte – Klinken aufzusuchen und Anträge, Widersprüche und Klagen zu schreiben. Diesen Antrieb sehe ich bei anderen Post-Covid-Patienten nicht.
Andere Post-Covid-Patienten in meiner Behandlung konnten nach einer Weile und mit adäquater Therapie auch wieder an einen Punkt kommen, wo sie vielleicht nicht wieder voll arbeitsfähig sind, aber immerhin ihren Alltag bestreiten können. Bei diesem jungen Mann konnte ich das bisher nicht beobachten und dass, obwohl er mehr Therapien und Reha-Einheiten hatte, als all meine anderen Patienten.
Der Autor ist der Redaktion bekannt, möchte aber anonym bleiben.
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