Es ist ein seltenes, fortschreitendes und potenziell lebensbedrohliches systemisches Leiden – und oft ein Zufallsbefund. Alles Wichtige zur Diagnostik und Therapie der Erdheim-Chester-Erkrankung.
Ein 69-jähriger Mann stellt sich im Krankenhaus vor. Er leidet an einer Schwäche der Arme und der Beine. Ärzte hatten zuvor transitorische ischämische Attacken (TIA) diagnostiziert. Im Klinikum zeigt eine Röntgenaufnahme des Brustkorbs beidseitig ein interstitielles Netzmuster. Zufällig finden Ärzte eine Sklerose im proximalen Humerus. Die Computertomographie (CT) seines Kopfes fördert keine intrakraniellen Anomalien zu Tage. Auch die Schädelknochen sind normal. Im Blutbild finden Ärzte Hinweise auf eine mikrozytäre Anämie. Ansonsten sind alle Werte weitgehend normal.
Aufgrund des Blutbilds, des Humerus-Befunds und des vom Patienten angegebenen Gewichtsverlusts entscheiden sich die Behandler zu weiteren CTs, um eine maligne Erkrankung auszuschließen. Sie finden Hinweise auf sklerotische Veränderungen in beiden Oberarmknochen. Im Bereich des Brustkorbs fallen ein verdicktes Interlobulärseptum und fleckige Milchglastrübungen in beiden Lungenoberlappen auf. Weitere Ergebnisse der Untersuchung sind ein Perikarderguss und diffuse Strukturen im Bereich beider Nieren.
Aufgrund aller Befunde diagnostiziert ein interdisziplinäres Team die Erdheim-Chester-Erkrankung als radiologischen Zufallsbefund, der laut Fallbericht nichts mit den initialen neurologischen Beschwerden des Patienten zu tun hat.
Doch worum handelt es sich genau? Die Erdheim-Chester-Krankheit (ECD) zählt zu den seltenen Erkrankungen mit unbekannt hoher Prävalenz. Seit der Erstbeschreibung im Jahr 1930 durch Jakob Erdheim und William Chester wurden mehr als 500 Fälle erfasst. Patienten erkranken typischerweise im mittleren Alter; bei der Erstdiagnose sind sie zwischen 40 und 60 Jahre alt. Kinder oder Jugendliche sind kaum betroffen.
Pathologisch zählt die ECD zur großen, heterogenen Gruppe der Histiozytosen mit abnormer Proliferation von Histozyten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft sie als histiozytäre Neoplasie ein. Histozyten infiltrieren Knochen, aber auch etliche Organe und Gewebe. Dort kommt es zu Entzündungen. Obwohl es Risikofaktoren wie BRAF-Mutationen und weitere Anomalien im Erbgut gibt, gilt die ECD nicht als Erbkrankheit.
Die Krankheit kann sehr unterschiedlich verlaufen. Je nach Art und Ausmaß der Organbeteiligung kommt es zu verschiedenen Symptomen mit unterschiedlicher Häufigkeit:
Oft, wie im Fallbeispiel, ist die ECD ein radiologischer Zufallsbefund, vor allem bei Patienten mit schwach ausgeprägten Symptomen. Der klassische diagnostische Befund umfasst Anomalien der Knochen am Knie; diese können per CT-Scan, PET-Scan, MRT oder Technetium-Knochenscan erkannt werden. Ein Ganzkörper-PET-Scan ermöglicht es Ärzten, nach weiteren Krankheitsherden zu fahnden.
In Biopsien betroffener Stellen sind veränderte Histiozyten zu erkennen, die Gewebe infiltriert haben. Gewebebiopsien sind nicht nur zur Bestätigung der Diagnose notwendig, sondern auch, um Mutationen zu identifizieren. Neben BRAF-V600E-Mutationen sollte nach Veränderungen in anderen Genen des MAPK-ERK- und PI3K-AKT-Signalwegs gefahndet werden.
Noch vor rund 30 Jahren starben 60 % aller Patienten innerhalb von drei Jahren nach der Diagnose. Neue Wirkstoffe haben die Prognose – abhängig von der Art der Organbeteiligung und vom Genotyp – verbessert. Dazu gehören BRAF-Inhibitoren wie Vemurafenib, Dabrafenib und Encorafenib, falls in Zellen BRAF-V600E-Mutation vorhanden sind. Auch MEK-Inhibitoren wie Cobimetinib, Trametinib bzw. Binimetinib und mTOR-Inhibitoren wie Sirolimus bzw. Everolimus kommen zum Einsatz. Neben diesen zielgerichteten Therapien bleiben als konventionelle Ansätze Immuntherapien (Interferon-alpha, Peginterferon-alpha), Chemotherapien (Cladribin, Cytarabin, Vinblastin, Methotrexat), Interleukin-Inhibitoren (Anakinra, Canakinumab, Tocilizumab, Infliximab), hochdosierte Steroide, OPs und Bestrahlungen.
Damit wird die ECD in vielen Fällen von einer tödlichen zu einer chronischen Krankheit. Bereits die Einführung von IFN-α verbesserte die Prognose deutlich. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt derzeit bei etwa 79 %. Und BFRAF-Hemmer führen bei Respondern mitunter sogar zur Remission.
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