Ein Patient klagt über immer schlimmer werdende Migräne. Ein CT-Scan zeigt zahlreiche Zysten in seinem Gehirn – verursacht durch einen unerwarteten Übeltäter.
In der Epidemiologie unterscheidet man zwischen endemischen und nicht endemischen Pathogenen. Hält sich ein Patient nur in einem bestimmten Gebiet auf, kann man also davon ausgehen, dass er sich nicht mit nicht endemischen Pathogenen infizieren wird – oder? Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Immer wieder stoßen Ärzte auf unerwartete Infektionen, deren Herkunft sie sich nur schwer erklären können. So auch in diesem Fall.
Es geht um einen 52-jährigen US-Amerikaner. Zu seinen Vorerkrankungen zählen Typ-2-Diabetes mit peripherer Neuropathie, Hyperlipidämie, Adipositas und Migräne. In den letzten vier Monaten haben sich seine Migräneattacken jedoch sehr verändert: Sie sind stärker als zuvor, treten fast wöchentlich auf, sind hauptsächlich bilateral am Hinterkopf lokalisiert und sprechen nicht mehr auf seine Therapie an.
Während der ersten Untersuchung zeigt sich der Patient generell im guten Zustand. Er berichtet zudem von keiner Verhaltensänderung in seinem Leben und keinen kürzlich stattgefunden Reisen. Sein Arzt ordnet ein CT-Scan an und erhält darin den ersten – sehr deutlichen – Hinweis auf die Ursache der Symptome: Der Hirnscan zeigt zahlreiche Zysten bilateral im tiefen kortikalen und periventrikulären Parenchym der weißen Substanz, diffus in beiden Hemisphären. Der Patient wird sofort ins Krankenhaus überwiesen.
(A) Das CT des Kopfes zeigt eine Anhäufung neben dem Okzipitalhorn des rechten Seitenventrikels, die maximal 2,6x2,3 cm groß ist (roter Pfeil). (B) Das MRT des Gehirns zeigt multilokuläre zystische Läsionen im frontalen und parietalen Kortex (weißer Pfeil). (C) Zystische Läsionen im Corpus callosum (oranger Pfeil) und im Okzipitallappen (gelber Pfeil). Credit: Byrnes et al.
Im Krankenhaus wird ein MRT durchgeführt, welches den CT-Befund bestätigt und zudem Hinweise auf ein Ödem durch T2/FLAIR-Hyperintensität liefert. Bevor die Neurochirurgen jedoch eine Behandlung planen, ziehen sie einen Infektiologen heran. Dieser testet auf verschiedene Antikörper im Blut des Patienten und landet einen Treffer: Zystizerkose IgG-Zysten-Antikörper.
Daraufhin verzichten die Ärzte auf einen chirurgischen Eingriff und behandeln den Patienten mit 1 mg Dexamethason 4-mal täglich, um Krampfanfälle vorzubeugen und um zerebrale Ödeme zu verhindern. Dazu bekommt der Patient für 14 Tage oral 600 mg Albendazol und 1.800 mg Praziquantel, jeweils 2-mal täglich. Anschließend wird das Dexamethason ausgeschlichen und der Patient wird entlassen. Die Kopfschmerzen des Patienten bessern sich deutlich und die Läsionen gehen zurück.
Zystizerkose wird durch Zysten des Schweinebandwurms Taenia solium verursacht. Die eigentlichen Zwischenwirte sind – wie der Name schon verrät – Schweine. Menschen können sich aber durch den Verzehr von kontaminiertem Fleisch oder Kot infizieren. Infektionen mit T. solium kommen vor allem in Entwicklungsländern vor, durch vermehrte Reisen und Migration werden aber auch immer mehr Infektionen in Industriestaaten eingeschleppt.
Dieser Fall ist besonders, da der Patient weder von einer Reise in ein Endemiegebiet noch von direktem Kontakt zu Schweinen berichtete. Der einzige mögliche Übertragungsweg, den die Ärzte identifizieren konnten, war nicht durchgekochter Schinken. Der Patient gab an, schon seit vielen Jahren nur leicht gebratenen Schinken zu verzehren und die Ärzte vermuten, dass der Patient sich dadurch mit dem Bandwurm infiziert hat. Dass eine Übertragung auf diesem Wege in den USA möglich ist, war allerdings bisher nicht bekannt – schließlich ist es kein Endemiegebiet.
Die Symptome einer T. solium Infektion können stark variieren. Manche Infektionen laufen komplett symptomlos, doch gerade eine Infektion des Nervensystems durch Zysten sind eine häufige Ursache für Epilepsie weltweit. Deshalb mahnen die Ärzte, den Schweinebandwurm im Hinterkopf zu behalten und immer eine ausführliche Diagnostik zu machen, wenn sich Änderungen von Migräneerkrankungen einstellen – auch wenn eine parasitäre Infektion auf den ersten Blick unwahrscheinlich erscheint.
Bildquelle: National Cancer Institute, Unsplash