Es begann wie ein Routinefall: Ein Rettungswagen wird gerufen, um einen betrunkenen und dehydrierten Patienten zu versorgen. Klare Sache – der Mann braucht eine Infusion. Warum diese Entscheidung dem Notfallsanitäter zum Verhängnis wird.
Andreas Drobeck blickt sich noch einmal um und erinnert sich. Am 24. März 2023 stand er auch im kalten Wind am Verwaltungsgerichtsgebäude des Regensburger Hauptplatzes. Sein Blick streift die weiß gerahmten Fenster im Erdgeschoss und die rote moosige Backsteinmauer, die ihre beste Zeit längst hinter sich hat. Er hatte an besagtem Tag einen für alle Notfallsanitäter historischen Sieg eingefahren und damit Rechtsgeschichte geschrieben. Aber wie gehts ihm heute, alles bestens? Nein, keineswegs. Denn Recht haben und Recht bekommen sind in Bayern nach wie vor zwei Paar Schuhe. Und wer eine Revolution will, muss einen steinigen Weg zurücklegen. Dass der Weg jedoch so steinig wird, hätte sich Drobeck niemals träumen lassen. Aber was war geschehen?
Notfallsanitäter Drobeck und sein Kollege hatten an einem heißen Tag im Juli 2020 Dienst auf dem Rettungswagen in Landshut, als sie an den dortigen Hauptbahnhof gerufen wurden. Der polnische Patient hatte zu viel Alkohol und zu wenig Wasser getrunken. Drobeck war an diesem Tag der Fahrer. Er hatte also mit der Entscheidung für die Patientenbehandlung wenig zu tun. Sein Kollege legte dem Polen einen venösen Zugang, infundierte Flüssigkeit und entließ den deutlich genesenen Patienten, der sowieso keinen Transport in die Klinik wollte.
So weit, so gut und jeder hätte dies als verantwortungsbewusster Notfallsanitäter ebenfalls so gemacht. Aber dem ärztlichen Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) in Landshut passte nicht, dass ein Notfallsanitäter hier eine eigene Entscheidung getroffen und der zweite Notfallsanitäter diesen nicht davon abgehalten hat. Er nahm Drobeck in Mithaftung und entzog beiden wie ein Scharfrichter die Delegation. Sie sollten nun keinerlei invasive Maßnahmen ohne Notarzt mehr durchführen. Aber am 24. März 2023 hatte sich Drobeck in letzter Instanz gewehrt. Mit seinem Anwalt Ernst Fricke aus Landshut erkämpfte er die Einstellung des Verfahrens: Der VGH-Beschluss vom 21. April 2021 war rechtskräftig und unanfechtbar. Drobeck hatte gegen den Rettungszweckverband und den ÄLRD gewonnen.
Nicht jedem passte das. Bei den Chefs seiner damaligen Organisation wurde er immer unbeliebter. Man deckte ihn mit Abmahnungen ein, über deren Grund er sich bis heute nicht im Klaren ist. Anschließend versetzte man ihn in eine Wache weit entfernt von seinem Wohnort. Unter massivem Druck kündigte Drobeck schließlich und ging in den bayerischen Norden. Doch auch hier wurde er geschasst. Jemand übte politischen Druck aus. Drobeck verließ das Unternehmen noch während der Probezeit.
Weshalb die Rettungsdienstorganisationen nicht hinter ihren Mitarbeitern stehen, wenn es Stress mit den ÄLRD gibt? Der ÄLRD wird durch den Rettungszweckverband (RZV) bestellt. Der RZV entscheidet jedoch auch, welche Rettungsdienstorganisation den Zuschlag für einen neuen Rettungswachen-Standort erhält. Niemand möchte also den ÄLRD und damit den Rettungszweckverband verprellen. Man möchte als Chef eines solchen Unternehmens schon gerne, dass der Mitarbeiter das macht, was die ÄLRD befehlen, da der Chef sonst Nachteile befürchtet.
Der juristische Hammer fiel in diesem Fall jedoch eindeutig: Das Gericht watschte den ÄLRD aus Landshut ab. Es stellte nicht nur dessen Eignung in Frage, einen größeren Personalkörper zu führen, sondern verantwortete auch 12 revolutionäre Leitsätze ganz im Sinne der Notfallsanitäter. Damit hob es diese Berufsgruppe in die Position als eigenständiger Teil der Rettungskette und konstatierte, es sei egal, von wem die Maßnahme letztendlich durchgeführt wird. Dazu gab es einen saftigen Nachschlag: Das Verhalten des ÄLRD sei geprägt von „Standesdünkeln“ und „Selbstherrlichkeit“. Und dafür sei im Rettungsdienst kein Platz.
Aber der ÄLRD von damals ist auch heute noch ÄLRD. Auch weiterhin geraten bayerische Notfallsanitäter unter Druck und werden dafür bestraft, weil sie ihren Job machen, Ressourcen sparen und keinen Notarzt auf kompletten Unfug nachfordern. Auch weiterhin sind bayerische ÄLRD kreativ und generierten zuletzt eine sogenannte Kompetenzmatrix, die überflüssiger nicht hätte sein können. Nur Drobeck interessiert das nicht mehr – er ist weg. Sein Name ist verbrannt. Er arbeitet jetzt außerhalb Bayerns, denn er findet hier nirgends mehr einen Job als Notfallsanitäter.
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