Bewegt eine Zelle sich fort, muss sie dazu auch ihre inneren Strukturen, darunter den Zellkern, in Bewegungsrichtung transportieren. Wie sie das macht, ist nahezu unbekannt. Forscher haben nun ein Protein identifiziert, das bei diesem Transportprozess eine wichtige Rolle spielt.
Beweglichkeit ist für die meisten Zellen des Körpers wichtig: Nur so können sie im jeweiligen Gewebe den richtigen Platz einnehmen – beispielsweise bei der Entwicklung eines Organs im Embryo oder bei Immunreaktionen zur Abwehr von Infektionen. Bewegungskünstler unter den Zellen sind die weißen Blutkörperchen des Immunsystems. Sie schlängeln sich bei Entzündungsreaktionen zwischen den Zellen eines Gewebes hindurch, um Fremdkörper, Viren oder Bakterien zu bekämpfen. Dabei ist es wichtig, Zellkern und andere Strukturen organisiert mit zu bewegen. Andernfalls würden diese sich wie ein Klotz am hinteren Ende der Zelle sammeln und das Vorankommen in den schmalen Zellzwischenräumen erheblich behindern. „Dass sich der Zellkern bei diesem Prozess aktiv bewegt, ist erst seit wenigen Jahren bekannt“, sagt Professor Dr. Oliver T. Fackler, Leiter der Sektion Integrative Virologie des Departments für Infektiologie am Universitätsklinikum Heidelberg. „Über die Maschinerie, die dahinter steckt, weiß man daher bislang noch sehr wenig.“ Die neuen Ergebnisse bringen etwas Licht ins Dunkel: Zwei Proteine, das bereits bekannte Nesprin-2 Giant und das bislang nicht mit diesen Vorgängen in Verbindung gebrachte FHOD1, verhaken den Zellkern an den sich bewegenden Aktin-Filamenten. Diese kabelähnlichen Strukturen bilden das Skelett der Zellen, stabilisieren deren Form und verschieben sich bei der Fortbewegung in Gleitrichtung. „Die Bewegung des Zellkerns funktioniert wie bei einem Cable Car, bei dem der Wagon an ein Umlaufseil angekoppelt wird“, erklärt Fackler. Fehlt FHOD1, ist der verbliebene Greifarm aus Nesprin-2 Giant zu schwach, der Zellkern bleibt liegen und die Zellbewegung wird beeinträchtigt. Bindegewebszelle in Bewegung: Die Proteine Nesprin-2 Giant (grün) und FHOD1 (rot) verhaken den Zellkern (blau) an den sich bewegenden kabelartigen Aktin-Filamenten. © Stefan Kutscheidt/Oliver Fackler
Der Wissenschaftler und seine Kollegen gehen davon aus, dass angeborene Fehler in diesem wichtigen Mechanismus Organstörungen zur Folge haben können. So ist bei bestimmten angeborenen Herzerkrankungen die Funktion des Herzmuskels beeinträchtigt, weil die Kerne innerhalb des Muskelzellverbands nicht korrekt positioniert sind. „Man muss dies erst genauer prüfen, wir vermuten aber, dass bei einigen Patienten Veränderungen des FHOD1 Proteins die Ursache der Erkrankung sein könnten“, so Fackler. Möglicherweise spielt das Protein auch eine Rolle bei der Krebsentstehung, da insbesondere die Absiedelung von Tumorzellen direkt von der Beweglichkeit der Zellen abhängt. Als Mitglied einer Gruppe sehr ähnlicher Proteine, der Formine, ist es gewissermaßen vorbelastet: Von allen 15 bisher bekannten menschlichen Forminen weiß man, dass sie bei der Krebsentstehung beteiligt sein können und eine Rolle von FHOD1 in der Tumorzellbewegung wurde bereits beschrieben. „Als nächsten Schritt untersuchen wir daher gerade, ob die Rolle von FHOD1 in der Tumorzellbewegung auf den von uns entdeckten Mechanismus zur Regulation der Kernbewegung zurückzuführen ist. Eventuell tun sich dabei Möglichkeiten auf, die Mobilität und aggressive Ausbreitung der Krebszellen zu behindern“, sagt der Molekularbiologe. Originalpublikation: FHOD1 interaction with nesprin-2G mediates TAN line formation and nuclear movement Oliver T. Fackler et al.; Nature Cell Biology, doi: 10.1038/ncb2981; 2014