Frauen verbringen im Schnitt 9 Jahre ihres Lebens in einem schlechten Gesundheitszustand. Dabei ließe sich das durch einfache Maßnahmen ändern. Warum tut sich nichts?
Obwohl Frauen länger leben als Männer, verbringen sie 25 % mehr Zeit in schlechter gesundheitlicher Verfassung. Um diese Probleme anzugehen, haben das Weltwirtschaftsforum und das McKinsey Health Institute im Rahmen der Women‘s Health Initiative des Forums einen neuen Erkenntnisbericht veröffentlicht, der auf dem diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos vorgestellt wurde. Dabei geht es den Experten nicht nur um Geschlechtergerechtigkeit. Sie kommen auch zu dem Schluss, dass die gesundheitlichen Probleme von Frauen zu einem wirtschaftlichen Schaden von mindestens einer Billion Dollar pro Jahr führen. Der größte Teil dieser Kosten entsteht, weil Frauen, während sie krank sind, dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen.
Frauen verbringen im Durchschnitt 9 Jahre ihres Lebens in einem Zustand schlechter Gesundheit. Würden die Lücken in der Gesundheitsversorgung von Frauen beseitigt, könnten dem Bericht zufolge 3,9 Milliarden Frauen weltweit ein gesünderes und damit auch glücklicheres Leben führen. Jede Frau könnte durch die Maßnahmen 7 Lebenstage ohne Krankheit jährlich und potenziell bis zu 500 Lebenstage insgesamt gewinnen. Das würde sich auch positiv auf zukünftige Generationen auswirken, so die Fachleute, da Frauen und Mütter mehr finanzielle und soziale Ressourcen in die Erziehung einbringen könnten.
Vier wesentliche Faktoren für die schlechte Frauengesundheit werden in dem Bericht benannt:
Die Fachleute kritisieren in ihrem Bericht, dass die Probleme in der Gesundheitsversorgung von Frauen häufig auf ihre sexuelle und reproduktive Gesundheit reduziert würden. Dies unterrepräsentiere jedoch die Belastungen, denen Frauen ausgesetzt seien, da diese vereinfachte Herangehensweise allgemeine Gesundheitszustände außer Acht lasse, die sich auf Frauen anders auswirken, oder von denen sie überproportional betroffen sind. So stünden nur 5 % der gesundheitlichen Beschwerden mit gynäkologischen oder geburtshilflichen Problemen in Zusammenhang. 47 % der gesundheitlichen Belastungen von Frauen entfallen dagegen auf Erkrankungen, die auch Männer ereilen können, von denen Frauen jedoch häufiger betroffen sind. Darunter fallen z. B. Autoimmunerkrankungen, Depression oder Kopfschmerzerkrankungen. Dazu kommen Krankheiten, die Frauen anders betreffen. Diese sind definiert als Krankheiten mit einer höheren Krankheitslast pro Fall bei Frauen im Vergleich zu Männern. Darunter fällt z. B. das Vorhofflimmern, dass bei Frauen im Schnitt andere Symptome auslöst als bei Männern.
Für Frauen ist der Weg zur Diagnose und damit auch zur Therapie im Schnitt länger als für Männer. Eine dänische Studie mit einem Beobachtungszeitraum von 21 Jahren zeigte, dass Frauen die Diagnose bei über 700 Erkrankungen im Schnitt später erhielten als Männer. Die Forscher sahen dabei auch viele geschlechtsspezifische Unstimmigkeiten, die nicht direkt mit anatomischen oder genomischen Unterschieden zu erklären waren. Beispielsweise deuteten ihre Ergebnisse auf eine Voreingenommenheit in der klinischen Praxis hin, bei der Männer mit Erkrankungen des Verdauungssystems genauer auf Neoplasmen überwacht wurden als Frauen.
Doch auch bei rein gynäkologischen Krankheitsbildern dauert es im Schnitt lange, bis diese erkannt werden. So bei der Endometriose, die die Lebensqualität erheblich einschränken kann. Studien aus den USA deuten darauf hin, dass nur die Hälfte der an Endometriose erkrankten Frauen auch die entsprechende Diagnose erhalten hat und bis dahin dauerte es im Schnitt 10 Jahre. Dazu passt, dass es laut den Autoren immer mehr Erkenntnisse gibt, die auf eine mögliche geschlechtsspezifische Verzerrung bei der Messung von Schmerzen hinweisen, wobei die Schmerzen von Frauen routinemäßig unteruntersucht und unterbehandelt werden, was sich wiederum auf ihre psychische Gesundheit und die Prognose insgesamt auswirkt.
Nicht nur erwächst aus den verspätet gestellten Diagnosen eine Hürde beim Zugang zu Therapien, auch werden Gesundheitsthemen unterschätzt, was im Umkehrschluss auch dazu führt, dass ihr Marktpotential unterschätzt und damit weniger Forschung betrieben wird. Die Autoren schätzen z. B. dass in Medikamenten gegen die Beschwerden der Peri- und Menopause ein Marktpotential von 120–230 Milliarden Dollar liegen könnte. Darüber hinaus stellen die bestehenden Wissenslücken bezüglich der weiblichen Physiologie, Pharmakologie und der Symptomatik von Erkrankungen für Frauen auch eine Gefahr dar. Die Wahrscheinlichkeit an einer fälschlicherweise nicht diagnostizierten kardialen Erkrankung zu leiden oder mit einem akuten Herzinfarkt entlassen zu werden, ist für Frauen 7-mal höher als für Männer.
Auch in Bezug auf die Therapie sind Frauen aufgrund der häufig männerzentrierten Studien besonderen Gefahren ausgesetzt. So waren Frauen in den USA seit dem Jahr 2000 52 % häufiger von unerwünschten Arzneimittelreaktionen etablierter Medikamente betroffen als Männer, schwerwiegende oder tödliche Nebenwirkungen waren bei ihnen 32 % häufiger. Die Fachleute kritisieren, dass es noch immer kein Standard ist, dass Daten aus Studien zu Medikamentenwirkungen nach Geschlecht aufgeschlüsselt untersucht werden und Frauen im Studienkollektiv angemessen repräsentiert sein müssen. Ihrer Meinung nach sollten strengere Richtlinien für Vielfalt, Gerechtigkeit und Inklusion in der Gestaltung klinischer Studien eingeführt werden. Dabei sollte in der Zusammenstellung der Studienkohorte die Krankheitsprävalenz zwischen Männern und Frauen berücksichtigt werden. Zudem plädieren sie für die Verwendung geschlechtsspezifischer Schwellenwerte von Biomarkern und mehr Forschung an weiblichen Tiermodellen.
Da auch Versicherungen um die höhere Bürde von Frauen in Bezug auf Erkrankungen wissen, werden Frauen dafür in einigen Ländern extra zur Kasse gebeten. So muss eine 31-jährige Frau in der Schweiz 37 % mehr für ihre Krankenversicherung ausgeben als ein gleichaltriger Mann. Besonders hart sind Frauen in Low Income Countries von geschlechtsbedingten Effekten auf ihre Gesundheit betroffen.
Insgesamt sehen die Autorinnen großen Spielraum für Verbesserungen und schlagen einen umfangreichen Maßnahmenkatalog vor. Sie fordern eine gemeinschaftliche Anstrengung von Regierungen, Gesundheitseinrichtungen, Nichtregierungsorganisationen und Einzelpersonen an fünf Fronten, um die Zukunft von Frauen gerechter und gesünder zu gestalten. Darunter fallen Investitionen in frauenspezifische Forschung und Entwicklung, die verstärkte Sammlung und Analyse von nach Geschlecht aufgeschlüsselten Daten, die Verbesserung des Zugangs zu einer geschlechtsspezifischen Versorgung, die Förderung von Investitionen in Innovationen im Bereich der Frauengesundheit und frauenfreundliche Strukturen in Unternehmen, die Frauen den Weg in Führungspositionen vereinfachen, sodass wiederum frauenfreundliche Arbeitsbedingungen geschaffen werden.
Die Forscher sehen in der Gesundheit von Frauen einen Eckpfeiler des wirtschaftlichen Fortkommens, des gesellschaftlichen Wohlbefindens und Fortschritts weltweit und verweisen darauf, dass darin ein ungenutztes wirtschaftliches Potenzial von 1 Billion Dollar pro Jahr liegt.
Bildquelle: Getty Images, Unsplash