Sojaprodukte sind aus vielen deutschen Küchen nicht mehr wegzudenken. Aber Patienten sind besorgt: Die Sojabohne steht im Verdacht, eine Unterfunktion der Schilddrüse zu fördern. Was ist dran am Vorwurf?
Sie ist klein und leistet Großes: Die Schilddrüse. Das schmetterlingsförmige Mini-Organ unterhalb des Kehlkopfes produziert die beiden Hormone Trijodthyronin (T3) und Tetrajodthyronin (Thyroxin; T4), die nahezu alle Körperfunktionen beeinflussen. Sobald das aktive T3-Hormon an die Rezeptoren in den Zellen andockt, übermittelt es seine Botschaft, die da lautet: „Gib Gas!“. Bildet sie zu wenig Hormone, spricht man von einer Hypothyreose. Die Folgen einer Schilddrüsenunterfunktion sind vielfältig: Sie verlangsamt nahezu alle Stoffwechselprozesse, schickt die Laune in den Keller, macht dauermüde, lässt einen trotz Sonnenschein frösteln und schaufelt noch während einer Diät Pfunde auf die Hüften.
In Deutschland leiden ungefähr 5 von 100 Menschen an einer Unterfunktion der Schilddrüse. Fachleute gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Die nach dem japanischen Arzt Hakaru Hashimoto (1881–1934) benannte autoimmunologisch bedingte chronische Entzündung der Schilddrüse (Hashimoto-Thyreoiditis) ist die häufigste Form der Hypothyreose. Die Ursachen der unzureichenden Hormonproduktion sind vielfältig und noch nicht in allen Einzelheiten bekannt. Frauen sind etwa fünfmal häufiger betroffen als Männer. Die Autoimmunerkrankung tritt gehäuft in hormonellen Umstellungsphasen wie Pubertät, Schwangerschaft oder Wechseljahren auf. Die Inzidenz steigt mit dem Alter und erreicht einen Gipfel bei den 30- bis 50-Jährigen. In Norddeutschland tritt die Erkrankung seltener auf als im Süden der Republik, was vermutlich mit dem höheren Fischverzehr und der damit einhergehenden besseren Jodversorgung zusammenhängt.
Eine Substitution mit dem synthetischen Schilddrüsenhormon Levothyroxin beseitigt zwar den Hormonmangel, behebt jedoch nicht die zugrundeliegende Autoimmunkrankheit. Da Schilddrüsenhormone in kleinsten Mengen wirken und eine enge therapeutischen Breite haben, gelten strenge Empfehlungen für die Tabletteneinnahme: morgens, immer zur gleichen Zeit, mindestens eine halbe Stunde vor dem Frühstück, unzerkaut und mit einem Glas Wasser. Da Schübe und Schwankungen zum Krankheitsbild gehören, kann die Einstellung der richtigen Dosis etwas Geduld erfordern. Neben der Hormonsubstitution kann aber auch eine gezielte Auswahl von Lebensmitteln den Verlauf der Erkrankung, die Ausprägung der Beschwerden sowie das allgemeine Wohlbefinden bei einer Hashimoto-Thyreoiditis positiv beeinflussen.
Eine gut funktionierende Schilddrüse benötigt vor allem eins: Jod. Das Spurenelement ist für die Synthese der beiden Schilddrüsenhormone T3 und T4 unabdingbar. Der Jodbedarf ist abhängig vom Alter und den jeweiligen Lebensumständen. Erwachsene benötigen circa 200 μg pro Tag. Einen höheren Jodbedarf haben z. B. schwangere und stillende Frauen. Durch die gezielte Jodanreicherung von Lebensmitteln, Speisesalz, Tierfutter und Ackerböden gehört Deutschland heute nicht mehr zu den Jodmangelländern.
Gute Quellen für Jod sind neben Seefisch und Algen auch Fleisch, Eier, Milchprodukte und bestimmte Mineralwässer. Meeresfische liefern obendrein das Spurenelement Selen sowie die entzündungshemmenden, langkettigen Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA). Meeresalgen (z. B. Wakame, Kombu, Nori) und daraus hergestellte Produkte können stark schwankende Jodkonzentrationen aufweisen und deshalb leicht zu Überdosierungen führen. Bei einem nachgewiesenen Jodmangel können, in Rücksprache mit dem behandelnden Arzt, auch Jodtabletten verordnet werden. Eine Selbstmedikation mit jodhaltigen Nahrungsergänzungsmitteln ist nicht empfehlenswert.
Selen wird als Kofaktor der Jod-abspaltenden Enzyme (Dejodasen) benötigt. Bei einem Selenmangel wird folglich weniger Trijodthyronin (T3) gebildet, was eine Unterfunktion fördern oder verstärken kann. Zum anderen hilft Selen dabei, bestimmte oxidative Abbauprodukte im Schilddrüsengewebe unschädlich zu machen. Eine Selensupplementation sollte jedoch nur bei nachgewiesenem Mangel und unter ärztlicher Kontrolle erfolgen.
Nicht zuletzt sind auch die Spurenelemente Zink und Eisen sowie die Vitamine A und D für eine normale Schilddrüsenfunktion wichtig. Zink ist an der Regulierung des Hypophysenhormons TSH beteiligt. Dieses steuert die Hormonproduktion in der Schilddrüse. Eisen ist ein wichtiger Bestandteil der Thyreoperoxidase (TPO), dem Schlüsselenzym der Schilddrüsenhormonsynthese. Die antioxidativen Eigenschaften von Vitamin A sowie die immunmodulierenden Effekte von Vitamin D können einer weiteren autoimmunologischen Schädigung von Schilddrüsengewebe entgegenwirken. Bei einer vegetarischen oder veganen Ernährung empfiehlt sich eine regelmäßige Laborkontrolle der genannten Mikronährstoffe.
Auch unverdaulichen Ballaststoffen wird eine positive Wirkung auf Entzündungsprozesse zugeschrieben. Sie werden von den Darmbakterien zu kurzkettigen Fettsäuren, Aminosäuren sowie diversen bioaktiven Substanzen verstoffwechselt und entfalten so indirekt entzündungshemmende Wirkungen. Eine überwiegend pflanzliche Ernährung fördert diesen Prozess. Außerdem findet die Umwandlung der T4-Speicherform in das aktive T3-Hormon zu etwa einem Fünftel im Darm statt.
Neben der gezielten Auswahl schilddrüsenförderlicher Nahrungsmittel gibt es aber auch bioaktive Substanzen (sog. Antinährstoffe), die die Funktion der Schilddrüse beeinträchtigen können. Unter dem Oberbegriff Goitrogene werden kropfbildende Substanzen zusammengefasst, die bei übermäßiger Aufnahme zu einer Vergrößerung der Schilddrüse (Struma) führen können. Das Wort „goitrogen“ kommt vom englischen Wort „goiter“, was übersetzt „Kropf“ bzw. Struma bedeutet. Manche Goitrogene hemmen die Aufnahme von Jod in die Schilddrüse, andere stören die Synthese der Schilddrüsenhormone T3 und T4.
Zu den wichtigsten Goitrogenen in Nahrungspflanzen gehören Glukosinolate und Isoflavone. Glukosinolate kommen in verschiedenen Kohlgewächsen, Senfpflanzen, Radieschen und Meerrettich vor. Beim Abbau der schwefelhaltigen Verbindungen entstehen Goitrin sowie Rhodanid, welche in hohen Konzentrationen in Kohlgemüse (10–30 mg pro 100 g Frischsubstanz) nachgewiesen wurden. Aber erst bei einem regelmäßigen und über Monate andauernden Verzehr großer Mengen Goitrin bzw. Rhodanid und einem gleichzeitig vorliegenden Jodmangel wurden negative Effekte auf die Funktion der Schilddrüse beobachtet.
Isoflavone gehören zur Gruppe der Phytoöstrogene und können ebenfalls goitrogene Effekte entfalten. Sie kommen in größeren Mengen in Sojabohnen und Maniokwurzeln vor. Die wichtigsten Isoflavone in Soja sind Genistein (50 %), Daidzein (40 %) und Glycitein (10 %). Sojalebensmittel sind mittlerweile auch in Europa sehr beliebt, nicht zuletzt aufgrund des Trends zu veganer und vegetarischer Ernährung sowie aus Gründen der Nachhaltigkeit. In Japan und anderen asiatischen Ländern werden zwischen 23 und 54 mg Isoflavone pro Tag verzehrt. Eine erhöhte Prävalenz der Kropfbildung konnte jedoch nicht beobachtet werden. Die Verzehrmengen in Deutschland liegen mit weniger als 3 mg pro Tag deutlich darunter. Nicht nur die Zufuhrmenge, auch die Isoflavonquellen unterscheiden sich. In Europa werden vorrangig industriell hergestellte Sojaprodukte konsumiert (Fleischalternativen, Energieriegel, Proteinshakes), während in Asien vor allem traditionelle und oft fermentierte Sojalebensmittel aus der ganzen Sojabohne gegessen werden (Edamame, Natto, Nimame, Sojanüsse, Tempeh, Sojamilch, Tofu, Yuba und Okara).
Bedenken im Hinblick auf die Schilddrüsenfunktion lösten Beobachtungen aus Tier- und Zellstudien aus. Darin konnten die Sojaisoflavone Genistein und Daidzein die Aktivität der Thyreoperoxidase hemmen. Sojahaltige Lebensmittel zeigten in Humanstudien jedoch nur geringe Auswirkungen auf die üblichen Schilddrüsenmarker. Eine Metaanalyse hat keinen Zusammenhang zwischen dem Verzehr von Soja und einer Störung der Schilddrüsenfunktion zeigen können. Behauptungen, dass Soja die Entstehung von Schilddrüsenkrebs begünstigt, entbehren ebenfalls einer wissenschaftlichen Grundlage. Eher könnte das Gegenteil der Fall sein. In der San-Francisco-Bay-Schilddrüsenkrebs-Studie war der Konsum von Sojalebensmitteln mit einem geringeren Risiko für Schilddrüsenkrebs assoziiert.
In Maßen konsumiert sind also Kohlgemüse und Sojaprodukte für die meisten Menschen mit einer Schilddrüsenunterfunktion vermutlich unbedenklich. Hinzu kommt, dass der Gehalt an Goitrogenen und anderen Antinährstoffen (z. B. Lektine, Gluten, Oxalsäure, Solanin, Phytinsäure) durch die üblichen Zubereitungsmethoden (einweichen, rösten, kochen, fermentieren) in der Regel auf unbedenkliche Mengen reduziert wird. Nicht zuletzt wird der Anteil antinutritiver Stoffe durch züchterische und technologische Maßnahmen zunehmend vermindert bzw. weitgehend beseitigt. Im Einzelfall kann es jedoch bei einem dauerhaften und/oder übermäßigen Verzehr von goitrogenhaltigen Lebensmitteln zu einer Verstärkung bestehender Symptome kommen. Das kann bei empfindlichen Personen z. B. durch das Führen eines Ernährungs- und Symptomentagebuchs individuell getestet werden. Ein grundsätzlicher Verzicht auf diese Lebensmittel ist aber meist nicht notwendig.
Quellen:
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