Die Ambulantisierung ist in vollem Gange – mit Einführung der Hybrid-DRG wurden Ärzte ins kalte Wasser gestoßen. Führt das neue Vergütungssystem nun zu Verteilungskämpfen und Egotouren?
Wenig Reformvorhaben sind von so struktureller Bedeutung wie die Ambulantisierung. Damit einher gehen in Sachen Finanzen: Die Hybrid-DRGs. Diese wurden im Vorfeld als fachlich durchaus korrekten Ansatz von Ärztevertretern gelobt. Es folgte der Auftrag an die Selbstverwaltung, sich auf einen ersten Katalog von Leistungen zu einigen und ein Vergütungssystem zu entwerfen. Nach dreimonatigem Ringen erklärten KBV, DKG und GKV-Spitzenverband den Versuch zur Einigung im vergangenen Jahr für gescheitert. Was folgte: Die „Verantwortung der Selbstverwaltung, Verfahren zu finden und die Hybrid-DRG in der Praxis gangbar zu machen.“
Der Sprung ins kalte Wasser für die Ärzteschaft zeigte fast umgehend Wirkung – doch mitunter anders als vermutet: So führt der bereits im vergangenen Jahr prognostizierte Unmut zur konkreten Angst vor Kannibalisierungsverhalten, Verteilungskämpfen und Egotouren.
Seit drei Monaten werden nun bestimmte Hernien-Eingriffe, die Entfernung von Harnleitersteinen, Ovariektomien, Arthrodesen und die Exzision eines Sinus pilonidalis per Hybrid-DRG abgerechnet – in der Theorie, immerhin besteht eine Abrechnungsvereinbarung von KBV und GKV erst seit Anfang März. Nachdem zunächst noch eine Übergangsregelung via Quartalsabrechnung möglich ist, benötigen Vertragsärzte künftig einen Grouper, um eine Leistung als Hybrid-DRG zu ermitteln und abzurechnen.
Entsprechend der unterschiedlichen Leistungen sind jedoch bereits zum Startkatalog mit seinen Leistungsbereichen und 244 OP-Codes unterschiedliche Fachdisziplinen von der neuen Abrechnungsvariante betroffen. Deren Vertreter waren und sind besonders gewillt, in Sachen Vergütung eine auskömmliche Regelung für alle Disziplinen zu finden. Doch nicht jeder ist davon überzeugt, dass dies geschieht und so war ein Paukenschlag aus Nürnberg zu vernehmen, als der Bundesverband der Anästhesisten seinen Austritt aus dem Spitzenverband der Fachärzte verkündete.
„Es sind viele Punkte gewesen, die uns letztendlich zum Austritt aus dem SpiFa bewegt haben. Es begann eigentlich schon Anfang letzten Jahres, dass wir erstmals eingefordert haben, den Leistungsanteil der Anästhesie für die ambulanten Eingriffe bei der KBV umfassender zu werten und wir schon länger eine gewisse Benachteiligung spüren. Aktuell werden anästhesiologische Leistungen nur irgendwie „mitfinanziert“, erklärt Prof. Grietje Beck, Präsidentin des Berufsverbands Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten, den Austritt ihres Verbands gegenüber den DocCheck News und ergänzt: „Mit Blick auf die Finanzierung über die Hybrid-DRG haben wir einen Aufruf an die Fachkollegen gestartet, wie wir gemeinsam ein Vergütungssystem regeln könnten. Letztlich verhallte der Ruf auch innerhalb des SpiFa. Allein der BDC, der gerade kein SpiFa-Mitglied ist, kam auf uns zu und war gesprächsbereit. Gemeinsam mit den Chirurgen haben wir dann eine gute Einigung erzielt und einen gangbaren und fairen Entwurf dargelegt, wie die Vergütung aufgeteilt werden könnte. Doch auch der blieb beim SpiFa ungehört. Letztlich geht es wohl auch um „Verteilungskämpfe.“
Verbandsvertreter innerhalb des SpiFa halten die Regelungen und die Einführung der Hybrid-DRGs – besonders in ihrer Geschwindigkeit – für gleichermaßen problematisch, sehen aber nicht unbedingt fachlichen Zwist aufkommen. „Ob hier wirklich ein Konflikt entsteht, gestritten wird oder ob die unterschiedlichen Arztbereiche, die ja am Ende alle in einem Boot sitzen, sich vereinigt gegen diesen Irrsinn wenden und eventuell etwas zum Besseren wenden können, das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass aktuell die Solidarität in der Ärzteschaft sehr hoch ist, was mich sehr freut“, so Dr. Tobias Vogel, Landesvorsitzender Bayern des Berufsverbands der Orthopäden und Unfallchirurgen (BVOU) im Gespräch.
Gleichwohl sollten die beteiligten Verbände wissen, dass Veränderungen mit lauter, gemeinsamer Stimme immer einfacher durchzuringen seien gegenüber der Politik als vereinzelte Rufe – allein schon, weil die Politik sich nicht aller Partikularinteressen annehmen könne. „Auf der großen Bühne muss klar sein, dass in der Kassenärztlichen Vereinigung auf der einen Seite der SpiFa und auf der anderen Seite der Hausärzteverband die beiden Player sind, die entscheiden, in welche Richtung es geht – daneben natürlich die Kassen und die gesundheitspolitische Seite. Und deswegen war es aus meiner Sicht ein Störfeuer, was da von BDA und BDC in die in die Welt gebracht wurde, das mich persönlich aber gar nicht sehr tangiert. Da wir aber weder Anästhesisten noch Chirurgen sind, sondern im Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie, ist unsere Linie ganz klar: Wir machen das zusammen mit den anderen fachärztlichen Verbänden im SpiFa und nicht als alleinige und einzelne Egotour“, so Vogel.
Doch auch andere Verbände sehen Potenzial dafür, dass die Fachdisziplinen in einen Kampf um auskömmliche Vergütung untereinander antreten.
„Die Hybrid-DRGs zwingen alle an der Versorgung Beteiligten unter ein Rechnungsdach und werfen damit für die Praxis eine Reihe weiterer Probleme auf, die innerärztlich gelöst werden müssen. Wie gut das in der Praxis gelingt, bleibt abzuwarten – innerärztliche Verteilungsprobleme sind durchaus möglich. Den Fachgebieten ist allerdings klar, dass nur eine sachgerechte und faire Aufteilung alle notwendigen Versorgungsbereiche bewahren kann, der Aufwand hierfür wird für die Ärzteschaft größer“, erklärt Dr. Klaus Doubek, Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte (BVF), gegenüber DocCheck.
Doubek spricht damit an, was auch Beck meint, wenn sie die Anästhesisten als Bittsteller bei den Chirurgen tituliert – nämlich die derzeitige Regelung in der Abrechnungsvereinbarung, dass die Hybrid-DRG nur von einem am Eingriff beteiligten Arzt abgerechnet werden darf und dieser das Honorar mit den beteiligten Kollegen teilt. Ist dies nicht ausreichend, weil entsprechende Sachkosten entstanden sind, kann man sich aufkommenden Unmut leicht ausmalen.
„Mit der jetzt nicht geregelten Teilung der Hybrid-DRG-Vergütung könnte ein Kannibalisierungsverhalten geschürt werden, weil nur ein Topf zur Finanzierung bereitgestellt wird. Gäbe es klare Bahnen und Vorgaben für alle, gäbe es auch keine oder weniger Probleme zwischen den Fachdisziplinen. Hier fehlt uns sogar noch die korrekte Berechnungsgrundlage“, erklärt Beck.
Eng mit der Problematik der Aufteilung verbunden – und auch ein möglicher Grund für ärztlichen Zwist – ist die Bestimmung, dass die Fallpauschale nur einmal berechnungsfähig ist und alle Untersuchungen und Behandlungen inklusive der benötigten Sachkosten im Kontext der Operation mit einpreist.
„Das Hauptproblem der Hybrid-DRG ist die fehlende Berücksichtigung der Sachkosten für Implantate. Vor einer Aufteilung des Honorars aus der H-DRG muss der jeweilige Sachkostenanteil zuvor abgezogen werden“, beschreibt BDC-Vizepräsident Dr. Peter Kalbe den DocCheck News und ergänzt: „Die Unklarheiten bei der praktischen Umsetzung der H-DRGs – insbesondere die ungeklärte Sachkosten-Regelung – behindern die Umsetzung des bisherigen Portfolios an ambulantisierbaren Eingriffen ganz erheblich.“
Letztlich sind sich alle Verbände einig, dass die Art und Weise der Einführung eine Katastrophe war und als ein Fehlstart begriffen werden kann. Ganz unabhängig davon, ob es zu weiterer Zersplitterung innerhalb der organisierten Ärzteschaft komme, hat dies Auswirkungen und schlägt sich laut Doubek „im Stimmungsbild nieder, ebenso wie das Erbringen von Leistungen, deren Kostenstruktur defizitäre Ergebnisse abbildet. Bei anhaltender Unterfinanzierung ist davon auszugehen, dass sich ambulante Leistungserbringer aus dem Versorgungsbereich zurückziehen. Für Patientinnen kann das künftig bedeuten, sie werden Schwierigkeiten haben, Versorger zu finden und müssen u.U. mit langen Wartezeiten und Wegen zurechtkommen.“
Zum aktuellen Zeitpunkt mag die gemeinsame Empörung über die Art und Weise der Durchführung sowie der Kommunikation des BMG noch vor tieferen Grabenkämpfen in der Ärzteschaft schützen. Mit Spannung blicken Ärztevertreter aber auf die Reaktionen zur ersten Evaluierung der Hybrid-DRG Ende März, von der sie sich allerdings nicht viel versprechen. Diese dürfe mehr Sachstandsanzeiger für die politische Unterstützung sein, als dass sie eine Rechenhilfe für die Erfassung möglicher neuer Leistungen und Codes für eine Erweiterung des Katalogs liefert.
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