Brauchen Ärzte einen Doktortitel, um ernst genommen zu werden? „Och, wofür denn?“, sagen viele männliche Kollegen. Bei Ärztinnen sieht das immer noch komplett anders aus. Eine Bestandsaufnahme aus der Praxis.
Diese Situation werden viele Ärztinnen kennen – und habe ich selbst auch schon so erlebt: Man steht als Ärztin im Krankenhaus mit einem männlichen Pfleger oder Praktikanten im Patientenzimmer. Und er ist ganz automatisch „Herr Doktor“ und man selbst die „Schwester“. Ganz ehrlich: Das ist meiner Meinung nach einer DER Hauptgründe dafür, dass ich kaum Ärztinnen ohne Doktortitel kenne, aber viele männliche Kollegen, die sagen „och, wofür denn“?
Zwar hat Deutschland in vielen Bereichen der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau in den letzten Jahrzehnten Fortschritte gemacht – aber es ist noch immer so, dass Frauen in vielen Alltagssituationen benachteiligt sind oder ihre Meinung weniger beachtet wird als die der Männer. Wie gehen wir damit in der Praxis um?
Ich sage meinen MFA immer, dass mein Doktortitel meine „Hörhilfe“ ist – denn damit hören die Leute mir einfach besser zu. Wenn ich vermute, dass jemand nicht zuhören wird, melde ich mich am Telefon auch direkt mit „Frau Dr. Landärztin“ statt nur mit „Landärztin ist mein Name“. Und ja, das hilft. Ebenso wie graue Haare übrigens – damit ergibt sich direkt eine gewisse Autorität. So habe ich früher bei extremeren Fällen meinen Chef kurz ins Zimmer geholt, damit er meine Expertise bestätigt. Das half gerade bei älteren Patienten oft sehr.
Ein weiterer Aspekt: Mehrere Patienten konnten sich nicht vorstellen, dass mein männlicher Kollege als Angestellter bleibt, wenn ich als Frau die Praxis übernehme. Dass ein Mann „unter“ einer Frau arbeitet, war und ist für viele immer noch „undenkbar“.
So weit, so schwierig. Jetzt kommt das große Aber: Ich glaube, dass die bisherigen Geschlechterstereotypen nicht nur den Frauen, sondern BEIDEN Geschlechtern schaden. Und wir müssen aufpassen, nicht so zu tun, als wäre es ein Kampf „der Männer“ gegen „die Frauen“. Ein für mich treffendes Beispiel war die Überschrift „Männer sind immer noch ein Problem“. Der Artikel selbst handelt von Femiziden in Österreich und differenziert durchaus, aber die Überschrift ist einfach unnötig polemisch. Denn das im Artikel behandelte Problem sind eben nicht Männer generell, sondern Femizide.
Als Mutter von zwei Söhnen (und einer Tochter) ist es schon heftig, wenn man manchmal auch durch die Schule vermittelt bekommt, dass Jungs als „das Problem“ wahrgenommen werden. Anstatt zu sehen, dass Jungs vielleicht manchmal mehr Zeit und eine andere Ansprache brauchen als Mädchen. Denn auch in der Medizin sehen wir ja zunehmend, dass unterschiedliche Herangehensweisen bei Männern und Frauen für bessere Resultate sorgen, als wenn man alles über den berühmten einen Kamm schert.
In der Praxis beobachte ich immer wieder, dass das alte Rollenverständnis für Probleme sorgt: Gerade Vorsorgeuntersuchungen werden deutlich häufiger von Frauen als von Männern wahrgenommen – am schlimmsten ist das Thema Darmkrebsvorsorge.
Wir hatten mittlerweile mehrere Fälle, bei denen wir einen Patienten immer wieder auf die Koloskopie angesprochen haben, er aber erst kam, als er Symptome hatte – und dann war der Krebs schon da. Das ist für mich besonders grausam, weil man es hätte verhindern können.
Schwierig ist auch der Bereich aggressive Patienten: Angriffslustiges Verhalten scheint zumindest bei unseren Patienten eher bei männlichen als bei weiblichen Patienten vorzukommen – aber auch da gibt es Ausnahmen. Interessant ist: Wenn die Aggression nicht in der Praxis, sondern (was leider nicht selten ist) vor allem dem ambulanten Pflegedienst gegenüber auftritt, ruft die Pflegedienstleitung fast immer erst einmal mich an. Während sie bei organisatorischen Problemen primär schaut, wer der behandelnde Arzt ist.
Ich frage mich dann schon, ob das daran liegt, dass sie vermuten, dass ich als Frau mehr Verständnis aufbringe als mein männlicher Kollege. Wobei auch er da inzwischen „klare Kante“ zeigt und den Patienten zurechtweist. Unsere Patienten müssen alle Behandler mit Respekt behandeln. Nicht nur Ärzte, sondern auch MFA, Pflegekräfte, etc.
Anfangs fiel es meinem männlichen Kollegen manchmal schwer zu begreifen, dass der Patient, der zu ihm „immer nett“ ist, gegenüber dem Pflegepersonal ganz anderer Töne anschlägt. Dann ist ihm das ganze selbst mal passiert: Ein Patient, der gerade ihm als Mann gegenüber richtig aggressiv wurde und mehr oder weniger eine Prügelei angedroht hat. Und den Frauen gegenüber eben nicht. Und da merken Männer, dass das Geschlecht auch bei der Interaktion mit den Patienten definitiv eine große Rolle spielt.
Ich glaube alles in allem, dass ein gemischtes Team viele Stärken hat: Gerade im psychosozialen Kontext ist die zweite Geschlechterperspektive manchmal SEHR hilfreich. Es kann z. B. sein, dass ein männlicher Patient lieber mit einem Mann darüber spricht, wenn es um Potenzprobleme geht und sagt „der kann das eher nachvollziehen“. Andere Männer besprechen das lieber mit einer Frau, weil sie kein (Pseudo-)Konkurrent ist. Auch manche Frauen möchten lieber einen männlichen Ansprechpartner, andere lieber mit einer Frau über ihre Probleme sprechen.
Deswegen hoffe ich, dass wir es irgendwann schaffen, wirklich zu einer Gleichberechtigung zu kommen. Eine Realität, in der Männer und Frauen als gleich kompetent wahrgenommen werden, aber die oft unterschiedliche Perspektive auch geschätzt wird.
Also: So wichtig solche Tage sind, um auf bestimmte Missstände hinzuweisen: Wir sollten an allen Tagen versuchen, gemeinsam und nicht gegeneinander zu arbeiten. Gern mit unterschiedlichen Perspektiven, aber eben im Dialog miteinander und mit einem gemeinsamen Ziel: Das Wohl unserer Patienten und unseres Teams.
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