Bevor sich Keimzellen bilden, tauschen Chromosomenpaare untereinander Gene aus – alle, außer die X- und Y-Chromosomen. Wie das kontrolliert wird und was das für männliche Unfruchtbarkeit bedeutet, lest ihr hier.
In der Frühphase der Spermienentwicklung kommt es zu einem merkwürdigen Ereignis: Die X- und Y-Chromosomen kondensieren zu engen Paketen und werden von den anderen 44 menschlichen Chromosomen abgeschirmt. Wenn ein Teil dieses Prozesses schief geht, können die Zellen nicht zu Spermien heranreifen. Forscher des UC Davis College of Biological Sciences haben nun ein wichtiges Bindeglied in diesem Prozess identifiziert – ein wenig bekanntes Protein namens ATF7IP2.
„Dies könnte ein entscheidender Faktor für die Sicherstellung der männlichen Fruchtbarkeit sein“, so Satoshi Namekawa, Professor für Mikrobiologie und Molekulargenetik, dessen Team an den neuen Ergebnissen beteiligt war. Ihre Ergebnisse, die in der Fachzeitschrift Genes & Development veröffentlicht wurden, könnten dazu beitragen, die Ursachen der männlichen Unfruchtbarkeit zu klären.
Die Entdeckung wirft ein Licht auf einen Schlüsselmoment in der Spermienproduktion, der für die Gesundheit unserer Spezies notwendig ist – aber auch potenziell gefährlich. Die Zellen, aus denen Spermien entstehen, enthalten 46 Chromosomen – je zwei Kopien der Chromosomen 1 bis 22 sowie je ein Geschlechtschromosom (X und Y). Die Spermien tragen schließlich nur einen halben Chromosomensatz – 23 Chromosomen, darunter entweder X oder Y. Bevor sie geteilt werden, paaren sich die 22 Sätze homologer Chromosomen und zwischen jedem Paar werden DNA-Abschnitte ausgetauscht. Durch diese Rekombination werden die genetischen Karten neu gemischt und sichergestellt, dass die nächste Generation von Menschen über verschiedene Gene verfügt, die die Krankheitsresistenz und viele andere Eigenschaften bestimmen.
Die Rekombination birgt jedoch Risiken: Die DNA muss dutzende Male geschnitten und wieder zusammengefügt werden, ohne dass ein einziger Fehler passiert. Wenn die falschen Chromosomen gepaart, die falschen Schnitte gemacht oder die falschen Enden wieder zusammengefügt werden, kann sich der entstehende Embryo nicht entwickeln oder den Nachkommen können Gene fehlen. Es können auch zusätzliche Kopien vorhanden sein – beides löst genetische Krankheiten aus.
Namekawa und sein Team haben jahrelang untersucht, wie Keimzellen dies verhindern. Sie und andere haben herausgefunden, dass eine Konstellation von Proteinen, die DNA-Schadensreaktion (DDR), diesen Prozess steuert. Wenn eine Person Strahlung, Chemikalien oder anderen Dingen ausgesetzt ist, die die DNA beschädigen, sorgt die DDR dafür, dass die losen Enden wieder richtig zusammengefügt werden. Die DDR spielt eine ähnliche Rolle bei der Rekombination, indem sie dafür sorgt, dass sich Chromosomen nur mit ihren Zwillingen paaren und dass Schnitte wieder verbunden werden.
Doch im Gegensatz zu anderen Chromosomenpaaren sind X und Y tatsächlich unterschiedlich. Wenn sie Teile vertauschen, könnte dies das Genom schädigen, so Kris Alavattam, ein ehemaliger Doktorand in Namekawas Labor, der jetzt am Fred Hutchinson Cancer Center in Seattle arbeitet. „Wenn X und Y nicht zueinander passen, veranlasst die DDR, dass sie in ihrem eigenen Kompartiment zusammenkommen, weg von den anderen Chromosomen“, sagt er.
Dies geschieht, wenn ein Enzym namens SETDB1 die Proteinspulen modifiziert, um die die DNA der X- und Y-Chromosomen gewickelt ist, sodass sie zu einer dichten Struktur, dem Heterochromatin, gerinnen. Die daraus resultierende Inaktivierung verhindert die Rekombination und bringt die X- und Y-Gene zum richtigen Zeitpunkt zum Schweigen, um zu verhindern, dass sie den Prozess der Aufteilung der Chromosomen in den Spermien beeinträchtigen.
Im Jahr 2016 suchten Alavattam und Namekawa nach einem molekularen Zusammenhang zwischen DDR und der Inaktivierung der X- und Y-Chromosomen. Es hätte eines von Hunderten von Proteinen sein können, aber Alavattam und Namekawa bemerkten, dass ein wenig bekanntes Protein namens ATF7IP2 in spermienbildenden Zellen, die eine Rekombination durchlaufen, reichlich vorhanden war – und in allen anderen Geweben praktisch nicht. Sie wussten auch, dass das ATF7IP2-Protein manchmal an das Enzym SETDB1 gebunden ist. „Das deutet darauf hin, dass ATF7IP2 SETDB1 regulieren und es an die X- und Y-Chromosomen binden könnte“, so Alavattam.
In der jetzt veröffentlichten Arbeit fanden Alavattam, Namekawa und seine Doktorandin Jasmine Esparza heraus, dass männliche Mäuse, bei denen das ATF7IP2-Gen deaktiviert ist, gesund, aber unfruchtbar sind und keine Spermien haben. In den Zellen, aus denen normalerweise Spermien entstehen würden, verändert das Enzym SETDB1 die X- und Y-Chromosomen nicht, so dass diese beiden Chromosomen nicht zu Heterochromatin verdichtet werden. Zusammengenommen deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass ATF7IP2 eine unverzichtbare Rolle bei der Entwicklung von Spermien spielt und für die männliche Fruchtbarkeit notwendig ist.
Esparza und Namekawa fanden zusammen mit dem Projektwissenschaftler Mengwen Hu heraus, dass ATF7IP2 auch andere Rollen in der Spermienentwicklung spielt. Neben der Ausrichtung auf X und Y veranlasst es SETDB1, genetische Parasiten, so genannte Retroelemente, zum Schweigen zu bringen, die über alle Chromosomen verstreut sind und genomische Fehler verursachen können. Sie fanden auch heraus, dass ATF7IP2 eine andere, scheinbar entgegengesetzte Rolle spielt: Es aktiviert bestimmte Gene auf den anderen, nicht geschlechtsspezifischen Chromosomen, die für die Rekombination und die Sortierung der Chromosomen in den Samenzellen wichtig sind. „Es ist sehr überraschend“, dass ATF7IP2 so unterschiedliche Funktionen hat, sagt Namekawa.
Die Untersuchung dieses Proteins könnte einige Ursachen für männliche Unfruchtbarkeit aufdecken. Namekawa und Esparza gehen bereits neuen Fragen nach und hoffen herauszufinden, wie ATF7IP2 einige Teile der anderen 44 Chromosomen aktiviert, auch wenn es X und Y inaktiviert. „Wir haben einen wirklich wichtigen Signalweg identifiziert“, sagt Namekawa. „Wir wollen ihn weiterverfolgen, um zu sehen, wohin er führt.“
Dieser Beitrag basiert auf einer Pressemitteilung der University of California. Die Originalstudie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: National Cancer Institute, Unsplash