Epilepsie-Patienten, bei denen Medikamente nicht wirken, kann eine Gehirnoperation heilen. Neurologen haben die Daten von 10.000 Patienten ausgewertet. Voraussetzung für die Heilung ist, dass die Hirnregion, von der die Anfälle ausgehen, sicher identifiziert und komplett entfernt wird.
Sechs von zehn Epilepsie-Patienten, die mit Medikamenten nicht anfallsfrei werden, kann eine Gehirnoperation heilen. Dies zeigt die Auswertung der EU-finanzierten Datenbank European Epilepsy Brain Bank (EEBB) von 36 Epilepsiezentren in 12 Ländern mit rund 10.000 Patienten, die soeben im New England Journal of Medicine (NEJM) veröffentlicht wurde. „Epilepsien sind unterschiedlich gut behandelbar“, sagt Holger Lerche, Koautor der Studie, Vorstand am Hertie-Institut für Klinische Hirnforschung und Ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie der Universität Tübingen. „Ein Teil der genetisch bedingten Epilepsien ist sehr gut behandelbar, ein anderer wiederum kaum. Dies hängt auch damit zusammen, dass Patienten leicht oder schwer betroffen sein können, wobei die schwer betroffenen in aller Regel auch schlechter auf Medikamente ansprechen“, sagt er. „Auch bei den fokalen, das heißt nur einen Teil des Gehirns betreffenden Epilepsien, etwa nach einem Schlaganfall, werden sehr gute Behandlungsergebnisse erzielt. Andere Formen, die schon im Kindes- und Jugendalter zu Anfällen führen, sind häufig schwerer zu behandeln.“
Über den Kamm geschoren seien etwa ein Drittel der Patienten mit Medikamenten nicht ausreichend behandelbar, so der Experte. Medikamente stellten die wichtigste Behandlungsmethode der Epilepsien dar, sie würden auch als Anti-Epileptika, Anti-Konvulsiva oder Anti-Anfallsmedikamente bezeichnet. Laut der Internationalen Liga gegen Epilepsie (ILAE) gilt ein Patient dann als pharmakoresistent, wenn er nach der Behandlung mit mindestens zwei Medikamenten nicht anfallsfrei ist. „Damit behandelt man aber nur die Anfälle, nicht die Ursache der Epilepsie selbst“, so Lerche. Häufiger als angenommen sind Operationen bei Epilepsie sinnvoll, weiß Neurologe Holger Lerche. Mehr als 600.000 Menschen leiden hierzulande unter Epilepsien, rund drei Viertel unter ihnen treten bereits im Kindesalter auf. „Eine Epilepsie ist eine Erkrankung des Gehirns, die mit rezidivierenden unprovozierten epileptischen Anfällen einhergehe, das ist die Definition“, sagt Lerche: „Die Anfälle können verschiedene Gründe haben. Die häufigsten Ursachen sind Läsionen im Gehirn wie zum Beispiel Hirntumoren, Schlaganfälle oder Narben. Andere Ursachen für Epilepsie können Stoffwechsel-Defekte, Autoimmunreaktionen und genetische Prädispositionen sein.“ Epileptische Anfälle könnten sehr milde ausfallen, vielleicht nur mit einer Übelkeit einhergehen, die nach außen hin gar nicht auffalle, mit einem Kribbeln in der Hand oder mit einem leichten Zucken. Die schwerste Form des Anfalls ist der so genannte generalisierte tonisch-klonische Anfall, bei dem sich der ganze Körper verkrampft und zuckt. „Operieren kann man dann, wenn die Anfälle von einer bestimmten Hirnregion ausgehen und diese Hirnregion auch chirurgisch entfernt werden kann, ohne dass dauerhafte Ausfälle von Hirnfunktionen zu erwarten sind. Wenn der epileptische Anfall zum Beispiel im Sprachzentrum beginnt, kann man nicht operieren, sonst könnte der Patient danach nicht mehr sprechen.“
Man nenne die durch eine Operation behandelbaren auch fokale Epilepsien, weil sie an einer bestimmten Stelle des Gehirns, dem epileptogenen Fokus oder Herd beginnen würden, erklärt Lerche: „Dem gegenüber stehen die generalisierten Epilepsien, bei denen man nicht genau bestimmen kann, an welcher Stelle es beginnt. Im EEG sieht es dann so aus, als ob es überall gleichzeitig losginge. In diesen Fällen kann man nicht operieren.“ Dabei sei es wichtig, zwischen einer generalisierten Epilepsie und einem generalisierten Anfall zu unterscheiden, denn ein generalisierter Anfall könne auch sekundär bei einer fokalen Epilepsie entstehen, in dem sich die epileptische Aktivität von dem Fokus aus in das ganze Gehirn ausbreite. „Wenn man bei solchen Patienten den Fokus durch eine Operation entfernt, hören auch die generalisierten Anfälle auf. Eine generalisierte Epilepsie, bei der kein Fokus für den Beginn der epileptischen Aktivität lokalisiert werden kann, ist nicht operabel“, sagt der Experte. Die Lokalisierung des Anfallursprungs selbst erfolge zunächst durch die Symptome zu Beginn eines Anfalls, etwa bei Zuckungen eines Körperteils in der entsprechenden Region des Bewegungszentrums. „Mit einer hochaufgelösten Kernspintomographie in der entsprechenden Region wird dann nachgeschaut, ob sich dort eine Läsion befindet“, so Lerche: „Zudem sucht man auch im EEG nach passenden epilepsietypischen Veränderungen. Mit diesen drei Methoden kann man einen epileptischen Fokus oder Herd meist gut lokalisieren.“
Die nun vorliegende Studie, initiiert und geleitet vom Direktor des Neuropathologischen Instituts der Universität Erlangen Ingmar Blümcke, zeige nun erstmals valide, dass es wichtig sei, die Patienten nicht zu spät zu operieren. Dann seien die Chancen wesentlich besser, dass sie anfallsfrei blieben. Die große Zahl der Befundsammlung der European Epilepsy Brain Bank habe es ermöglicht, die Art und die Häufigkeit der verschiedenen Hirnläsionen zu beschreiben, die eine Epilepsie verursachen und operativ behandelt werden können, sagt Lerche. Nach dem Eingriff seien 65 Prozent aller operierten Kinder und 58 Prozent der Erwachsenen von ihren Anfällen befreit. Darum sei es so wichtig, mit der Operation nicht zu lange zu warten: „Leider gibt es keinen Zeitraum, den man als ‚nicht zu spät‘ bezeichnen kann. Wir wissen aber, dass die Prognose für Patienten, die über Jahrzehnte hinweg Anfälle haben nicht operiert werden, deutlich schlechter ist als bei einer Operation bereits nach wenigen Jahren“, so der Experte. Ärzte sollten Patienten, die nicht auf Medikamente reagierten, eher früher als später zum Spezialisten überweisen: „Je früher dies geschieht, desto größer sind die Chance auf Heilung.“