Infektionen und Hormone beeinflussen sich gegenseitig – Daten aus der Coronapandemie bestätigen das. Jetzt gibt es Hinweise dafür, dass einfache Schnupfen-Medikamente gegen Diabetes helfen könnten.
Lieber zu viel als zu wenig – aber stimmt das wirklich immer? Unser Leben im Überfluss führt auch zu mehr Krankheiten, wie zum Beispiel Bluthochdruck, Diabetes und Adipositas. So leitet Kongresspräsident Prof. Holger S. Willenberg die Pressekonferenz zum diesjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) ein.
Während der Coronapandemie sind laut Prof. Stefan Bornstein, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik III sowie des Zentrums für Innere Medizin des Carl Gustav Carus Klinikums in Dresden, viele Diabetiker, die ein metabolisches Syndrom, eine Vorstufe davon oder eine ausgeprägte Diabeteserkrankung hatten, verstorben. Unter den jüngeren Menschen, die während der Pandemie verstarben, fand sich wohl eine Gemeinsamkeit – sie wiesen einen sehr hohen BMI auf. Für Bornstein wird dadurch eine Verbindung zwischen den Erkrankungen deutlich. „Wo sind die übergewichtigen Diabetiker und wo sind die vielen Patienten, die in dieser Pandemie verstorben sind? Die Landkarten schauen fast überlappend aus“. Auch Diabetes breitet sich immer weiter aus und entwickle, laut Bornstein, Pandemie-Charakter. Adipositas erreicht ebenso Epidemie-Status.
„Wir wissen seit längerem, dass ein Diabetiker es in seinem Leben kaum vermeiden kann, Infektionen zu bekommen. Von einer Entzündung an den Zähnen bis zur Harnwegsentzündung sowie Patienten mit diabetischem Fuß.“ Zudem wisse man, dass Stoffwechsel und Darmbakterien eng miteinander verbunden sind und auch Hormone die Empfindlichkeit für Infektionen regulieren können. Neu sei, laut Bornstein, aber eine endokrine Biologie, die dieses Mikrobiom zusammen mit dem Virom wie eine weitere hormonell stoffwechselaktive Drüse betrachten lässt. Denn auch Viren seien in der Lage, „und das weiß man erst seit zwei oder drei Jahren, hormonartige Substanzen – vielleicht sogar eine Art Insulin oder Insulin-like Peptide – zu produzieren. Das öffnet natürlich eine ganz neue Dimension“, so der diesjährige Empfänger der Berthold-Medaille der DGE.
Das Fettgewebe könne man sich wie ein entzündliches Reservoir vorstellen. Es stelle für Viren und Bakterien einen geschützten Raum dar, in dem viele hormonartige Substanzen wie Zytokine oder Adipokine produziert werden. Aber auch Bakterien können dort gespeichert werden, wie zum Beispiel Tuberkel. Laut Bornstein ist Fett ein stoffwechselaktives Gewebe, das auch von Viren beeinflusst werden kann – es spiele daher bei Infektionen eine begünstigende Rolle. So zeigen Daten aus der Coronapandemie, dass sich nach einer COVID-Erkrankung auch die Wahrscheinlichkeit erhöht, Typ-1-Diabetes zu entwickeln. In diesem entzündlichen Reservoir werden aber auch „Botenstoffe und Entzündungsfaktoren ausgeschüttet, die Herz und Gefäße schädigen und Stoffwechselstress verursachen, der zu langfristigen Komplikationen des Herz-Kreislauf-Systems führt.“ Es besteht also eine Wechselbeziehung zwischen Infektionen und Stoffwechsel, die Einfluss auf mehrere Körperfunktionen hat.
Verglichen mit endokrinen gesunden Menschen, seien Patienten mit Stoffwechselerkrankungen stärker gefährdet, an schweren Infektionen zu erkranken. Das betreffe nicht nur COVID-19 und Influenza, sondern auch Long- und Post-COVID sowie Malaria. Bornstein wirft die Frage auf, ob sich dadurch nicht auch ganz andere Therapieprinzipien ableiten ließen. „Kann ich mit Impfungen auch Stoffwechselkrankheiten verhindern? Und umgekehrt: Lassen sich bei gut eingestellte Patienten schlimme Verläufe während Pandemien verhindern?“
Jetzt habe man festgestellt, dass einfache Medikamente gegen Schnupfen oder auch Virostatika, die Insulin-produzierenden Beta-Zellen länger am Leben lassen, so Bornstein. „Nicht nur Impfungen verhindern Stoffwechselkrankheiten, sondern anscheinend auch normale Medikamente, die wir in der Infektiologie schon lange einsetzen. Auch Medikamente aus der Endokrinologie, beispielsweise Stoffwechselpräparate und Medikamente gegen Diabetes, scheinen Infektionskrankheiten positiv zu beeinflussen – auch Long-COVID.“
Bornstein sieht in der Verbindung zwischen Infektionen, Stoffwechselerkrankungen und Hormonen ein wichtiges Forschungsgebiet mit Zukunftspotential. Besonders für junge Forscher lohne sich der Blick in die Thematik, mit dem Ziel eine Brücke zwischen diesen zwei Disziplinen zu bauen, diese weiter zu beforschen und letztendlich für Patienten und die Praxis nutzbar zu machen.
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