Viele Patienten interessieren sich für alternative und komplementäre Heilmethoden – und kommen mit ihren Fragen auch zu uns in die Apotheke. Lest hier, worauf ihr bei der Beratung achten müsst.
Immer mehr Menschen wenden sich komplementären und alternativen Heilmethoden (CAM) zu, sei es zur Abmilderung von Beschwerden, zur Förderung des Wohlbefindens oder zusätzlich zu einer sogenannten schulmedizinischen Behandlung. Das belegt eine aktuelle Studie aus den USA. Diese zunehmende Beliebtheit wirft auch immer wieder Fragen in der Apotheke auf, insbesondere wenn es um den Bereich der evidenzbasierten Medizin geht. Wie sollten wir angemessen auf die wachsende Nachfrage reagieren?
Zunächst einmal eine Begriffsklärung: die „komplementären Heilmethoden“ beziehen sich auf ein breites Spektrum von therapeutischen Ansätzen und Behandlungen. Sie umfassen eine Vielzahl von Praktiken, die oft auf unterschiedlichen kulturellen Traditionen und medizinischen Philosophien basieren. Dazu gehören beispielsweise Methoden wie Akupunktur, Ayurveda, Homöopathie, Naturheilverfahren, traditionelle chinesische Medizin, chiropraktische Behandlungen, Kräutermedizin, Yoga, Meditation und viele andere. Sinnvoll ist es, diese Methoden nicht als Alternative zur Schulmedizin zu betrachten, sondern vielmehr als zusätzliche Optionen, die gemeinsam mit herkömmlichen medizinischen Interventionen angewendet werden können.
Es ist wichtig, schon im Beratungsgespräch anzusprechen, dass komplementäre Heilmethoden oft nicht wissenschaftlich fundiert sind und ihre Wirksamkeit kontrovers diskutiert wird. Daher ist es entscheidend, dass Patienten und Fachleute eine informierte Entscheidung über die Anwendung dieser Methoden treffen, basierend auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen, individuellen Bedürfnissen und persönlichen Präferenzen.
Selbst bei Methoden, für die Studien existieren, können Ergebnisse widersprüchlich sein. Das kann es schwierig machen, eine wissenschaftlich fundierte Meinung darüber zu bilden, ob eine bestimmte Methode empfohlen werden soll oder nicht. Dazu kommt, dass die Wirksamkeit komplementärer Heilmethoden stark von Person zu Person variieren kann. Was bei einem Menschen wirkt, muss nicht unbedingt für die meisten anderen Person funktionieren. Dies macht es schwierig, generelle Empfehlungen zu geben, die für alle Patienten gleichermaßen gültig sind.
Infolgedessen müssen wir bei der Beratung von Kunden hier äußerst vorsichtig sein. Wir müssen transparent über die begrenzte Evidenzbasis solcher Methoden informieren, potenzielle Risiken und Vorteile abwägen und die Fragenden ermutigen, mit ihren Ärzten zu sprechen, um fundierte Entscheidungen zu treffen. Letztendlich liegt es am Patienten, gemeinsam mit seinem medizinischen Fachpersonal zu entscheiden, welche Behandlungen für ihn am besten geeignet sind.
Vor allem die Behandlung von Schmerzen, insbesondere im Rahmen rheumatischer Erkrankungen, hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. Die Einführung von Treat-to-Target-Therapien, die eine vordefinierte therapeutische Zielvorgabe erreichen, eine niedrige Krankheitsaktivität erhalten, und langfristige Gelenkschäden minimieren sollen, haben zu einer deutlichen Reduzierung der mit Schmerzen verbundenen Einschränkungen geführt.
Ein wichtiger Schritt zur Bewertung und Integration von CAM in die medizinische Praxis ist die Gründung spezialisierter Kommissionen. Eine davon ist die im Jahr 2021 von der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) gegründete „Kommission Komplementäre Heilverfahren und Ernährung“. Diese Kommission hat die Aufgabe, die aktuelle Evidenz für CAM-Anwendungen in der Rheumatologie zu sichten und praktisch anwendbare Empfehlungen zu erarbeiten. Forschungsergebnisse dieser Kommission haben gezeigt, dass CAM-Anwendungen bei rheumatischen Erkrankungen wie Gichtarthritis, Spondyloarthritiden, Arthrose und entzündlichen Gelenkerkrankungen – in Kombination mit konventionellen Medikamenten – hilfreich sein können.
Manche Methoden, wie beispielsweise die mediterrane Kost oder der Einsatz von Kurkuma in der ayurvedischen Medizin, zeigten eine moderate Evidenz für ihre Wirksamkeit. Andererseits gibt es auch CAM-Verfahren, deren Wirksamkeit nicht ausreichend belegt ist oder die potenzielle Risiken und Nebenwirkungen mit sich bringen. Das Spannungsfeld zwischen dem Bemühen um evidenzbasierte Therapie und qualitativ hochwertige Therapieansätze wird hier deutlich. Es ist wichtig, CAM-Methoden nicht pauschal zu bewerten, sondern differenziert zu betrachten.
Eine solche Betrachtungsweise, die eine ausgewogene Diskussion über die Eigenschaften, Potenziale und Einschränkungen sowohl konventioneller als auch alternativer Therapieansätze zulässt, kann dazu beitragen, Unklarheiten bei Patienten zu mindern und das Vertrauensverhältnis zu stärken. Es ist erwähnenswert, dass nur etwa die Hälfte der Patienten, die alternative Behandlungsmethoden anwenden, diese Praktiken auch mit ihren behandelnden Ärzten teilen. Studien haben gezeigt, dass eine offene und partizipative Kommunikation dazu führt, dass Patienten freimütiger über ihre Erfahrungen mit alternativen Therapien berichten (hier und hier). Eine solche transparente Kommunikation kann auch dabei helfen, zu verhindern, dass Patienten durch alternativmedizinische Methoden – sei es durch Neben- oder Wechselwirkungen, Mangelerscheinungen oder Überdosierungen – geschädigt werden. Nicht alle alternativen Therapien sind risikofrei.
Bei der Bewertung der Effektivität alternativer Therapien ist es wichtig, die Prinzipien der evidenzbasierten Medizin zu beachten. Dennoch sollten wir berücksichtigen, dass diese Therapien oft auf Aspekte abzielen, die nicht unbedingt durch klinische Messungen abgebildet werden. Stattdessen konzentrieren sie sich oft auf die Bewertung von persönlichen Patientenerfahrungen, wie z. B. zur mentalen Leistungsfähigkeit, körperlichen Belastbarkeit, emotionalen Ausgeglichenheit oder Qualität des Schlafs.
Für Ärzte und Apotheker kann es sich also lohnen, neben der klassischen Medizin auch CAM-Methoden zu berücksichtigen, insbesondere bei austherapierten Schmerzpatienten. Eine integrierte Behandlung, die sowohl konventionelle als auch komplementäre Ansätze umfasst, kann in einigen Fällen zusätzliche Linderung bieten. Es ist jedoch entscheidend, dass die Schulmedizin stets Priorität hat und CAM-Methoden nur ergänzend eingesetzt werden.
Quellen:
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