Im letzten Jahr haben gesetzliche Krankenversicherungen 3,9 Prozent mehr für Arzneimittel ausgegeben. Versorgungsforscher sehen vor allem patentgeschütze Präparate, speziell aber Biologicals, als Preistreiber. Daran wird sich auch in absehbarer Zeit nichts ändern.
Im letzten Jahr haben Gesetzliche Krankenversicherungen rund 38,5 Milliarden Euro für Arzneimittel ausgegeben. Zuzahlungen von Versicherten wurden hier ebenfalls berücksichtigt. Das berichten Gesundheitsökonomen um Prof. Ulrich Schwabe im neuen Arzneiverordnungsreport des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). „Der Kostenanstieg von 1,4 Milliarden Euro ist trotz gestiegener Rabatteinnahmen der Krankenkassen von 3,9 Milliarden Euro und Einsparungen durch Erstattungsbeträge von 1,4 Milliarden Euro eingetreten“, sagt Schwabe. „Dagegen war der Anstieg des Verordnungsvolumens mit 2,1 Prozent deutlich geringer.“ Folglich seien nicht nur mehr, sondern vor allem teurere Arzneimittel verordnet worden.
Beim Bruttoumsatz stehen Onkologen wenig überraschend an der Spitze (1,9 Millionen Euro pro Arzt und Jahr), gefolgt von Internisten (666.000 Euro), Neurologen/Nervenärzten (706.000 bzw. 621.000 Euro) und Pneumologen (563.000 Euro). Betrachtet man die Zahl der Verordnungen, führen Hausärzte (8.312 pro Arzt und Jahr) und hausärztlich tätige Internisten (8.477) das Feld klar an. Deutlich abgeschlagen folgen Nervenärzte (5.898), Pneumologen (5.128) und Kinderärzte (5.403).
Gemessen an der Verordnungszahl ist Ibuflam® (Ibuprofen) klarer Gewinner des Rankings. In 2016 haben Ärzte aller Fachrichtungen 20,3 Millionen Verordnungen ausgestellt. Gut im Rennen liegen auch Novaminsulfon Lichtenstein® (20,1 Millionen), RamiLich® (Ramipril; 10,4 Millionen), Pantoprazol TAD ® (9,0 Millionen) und L-Thyroxin Henning® (8,4 Millionen). Krankenkassen interessieren sich aber auch für die Gesamt-Nettokosten. Diese Liste führt Humira® (Adalimumab; 908 Millionen Euro) an. Dann kommen Xarelto® (Rivaroxaban; 647 Millionen Euro), Enbrel® (Etanercept; 475 Millionen Euro), Harvoni® (Sofosbuvir und Ledipasvir; 338 Millionen Euro) sowie Eliquis® (Apixaban; 336 Millionen Euro). Schwabe führt die höheren Arzneimittelkosten auf fünf Indikationsgruppen zurück:
„Unser aktueller Preisvergleich hat bestätigt, dass patentgeschützte Arzneimittel in Deutschland pro Jahr 1,5 Milliarden Euro mehr kosten als in acht europäischen Ländern“, erklärt Schwabe. Größtenteils handelt es sich um Arzneimittel, die vor dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) auf den Markt kamen. „Deshalb dürfen sie in Deutschland immer noch mehr kosten, als sie wert sind“, resümiert der Wissenschaftler. Als weiteres Problem sieht er die freie Preisgestaltung neuer Wirkstoffe im ersten Jahr ihrer Markteinführung. Schwabe: „Das Problem ist seit langem bekannt und sollte im Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) mit der Einführung einer Umsatzschwelle gelöst werden. Aber auch dieser zaghafte Schritt ist im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wieder abgeschafft worden.“ Beispielsweise kam Tecfidera® zur Behandlung der Multiplen Sklerose in Deutschland mit einem um 80 Prozent höheren Listenpreis als in den Niederlanden auf den Markt.
Laut WIdO-Geschäftsführer Jürgen Klauber gewinnen Biopharmazeutika mehr und mehr an Bedeutung. Knapp jeder dritte neu zugelassene Wirkstoff ist ein Biologikum. Zuletzt lag das Umsatzvolumen bei 7,8 Milliarden Euro. Jede Verordnung schlägt mit durchschnittlich 425,90 Euro zu Buche. Bei klassischen Wirkstoffen sind es 48,81 Euro. Klauber nennt hier die möglichen Einsparpotenziale durch Biosimilars. Deren Nettokosten lagen zuletzt bei 1,5 Milliarden Euro, was einer Einsparung von 77 Millionen Euro entspricht. Der Unterschied zwischen Original und Nachahmerprodukt beträgt aber nur 20 Prozent. Die Autoren fordern von Ärzten, konsequent Biosimilars zu verordnen.