Ursprünglich zur Sedierung für Elefanten und andere Großtiere gedacht, ist Carfentanyl nun auch in der deutschen Drogenszene angekommen. Mehr zur aktuellen Lage und was ihr bei Erste-Hilfe-Maßnahmen beachten müsst, erfahrt ihr hier.
2022 starben deutschlandweit 1.990 Menschen an den Folgen ihres Drogenkonsums. Die meisten Drogentoten sind auf Vergiftungen mit Opiaten und Opioiden zurückzuführen und dieser Anteil hat sich in den letzten Jahren sukzessive erhöht.
Dazu vorab: Landläufig wird oft immer noch von „Überdosierungen“ gesprochen, dabei kann dieses Wort nur korrekt sein, wenn es eine reguläre verordnete Dosierung für eine entsprechende Indikation gibt. Dies ist aber hier nicht der Fall. Auch das Wort „Drogenkonsum“ verleitet zur Verniedlichung. Deshalb sollte man angesichts der wachsenden Bedeutung des Problems von „Vergiftung“ und „Missbrauch“ sprechen.
Uns muss klar sein: Drogen sind schon lange kein Problem mehr, das auf so bezeichnete Junkies in Bahnhofsvierteln und intravenöses Heroin begrenzt ist. Der Missbrauch von Drogen und die damit verbundenen Probleme können Menschen aus allen Schichten und Lebensbereichen betreffen. In der Drogenszene, auch in der Disco- und Partywelt, ja selbst in der vermeintlich feinen Gesellschaft zeigt sich nun ein äußerst besorgniserregendes Phänomen: stark wirksame, synthetische, orale Opioide.
Neben Oxycodon, Methadon, und Hydromorphon stellen insbesondere Fentanyl und Carfentanyl (mit i oder y geschrieben) ein besonderes Problem dar. Fentanyl ist eines der stärksten Opioide, etwa 100-mal wirksamer als Morphin. Die Synthese ist sehr einfach und effizient und kann unter milden Bedingungen und bei Raumtemperatur mit leicht erhältlichen Chemikalien stattfinden (verständlicherweise wird hier keine spezifische Quelle angegeben). Daher gewinnt es auf dem Schwarzmarkt an Beliebtheit, wo es mit anderen Drogen, zum Beispiel Heroin oder Kokain, vermischt wird, um die Kosten zu senken und den Effekt zu erhöhen.
Mit Carfentanyl hat nun ein noch einmal um das Hundertfache stärkeres Fentanylderivat auch Eingang in die deutsche Drogenszene gefunden. Es ist eine acylierte Version des Fentanyl. Bereits 1976 beschrieben und 1979 durch Janssen patentiert, wird es in der Veterinärmedizin ausschließlich zur Sedierung von sehr großen Tieren (Elefanten, Nashörner, etc.) verwendet. Mit einer ED50 von 0,00037 mg/kg ist es ca. 10.000-mal wirksamer als Morphin (ED50 ca. 5 mg/kg). Bereits 2 mg Carfentanyl (Größe eines Sandkorns) können tödlich sein.
Wie findet es seinen Weg nach Deutschland? Gegenwärtige Hypothese ist, dass die Rohstoffe aus China nach Mexiko kommen, dort weiterverarbeitet werden, dank lausiger oder nicht existierender Grenzkontrollen in die USA verbracht werden und von dort nach Europa gelangen, möglicherweise über baltische Länder. Noch stellen Fentanyl und Carfentanyl in Deutschland kein so großes Problem dar wie in den USA, wo jährlich circa 100.000 Drogentote zu beklagen sind. Allerdings wurde kürzlich in München bereits Carfentanyl sichergestellt, und 2022 starben laut Bundeskriminalamt 88 Menschen infolge einer Vergiftung mit Fentanyl.
Wie soll man sich nun verhalten, wenn man eine Person auffindet, die Verdachtssymptome einer Opiat-Vergiftung präsentiert? Hier gelten die üblichen Erste-Hilfe-Maßnahmen, also Bewusstseinslage prüfen, Atmung und Herz-Kreislauf stabilisieren, Notruf absetzen. Insbesondere Miosis und Atemdepression können auf Opiate hinweisen. Trotz der bereits erwähnten Giftigkeit bereits niedrigster Dosen sollten sich Ersthelfer nicht davon abbringen lassen, Hilfe zu leisten. Zwar kann Fentanyl über die Haut absorbiert werden, man denke nur an Fentanylpflaster zur Schmerztherapie, doch erfordert dies längeren direkten Kontakt. Vernünftige Vorsicht, insbesondere bezüglich Inhalation oder Ingestion kontaminierter Substanzen, sollte ausreichen.
In den USA kann jede Person, die annimmt, möglicherweise einmal in eine solche Erste-Hilfe-Situation zu kommen – und das kann in öffentlichen Verkehrsmitteln, auf einer Party, in der Diskothek oder zuhause passieren – kostenlos und rezeptfrei Naloxon-Nasenspray erhalten und mit sich führen. Dies mag zwar nach einer Lösung des Problems am falschen Ende aussehen, aber jedes gerettete Leben wäre es wert. Natürlich müssen langfristig die Ursachen der Drogenproblematik analysiert und angegangen werden. Im Vergleich zu den USA hat Deutschland hierfür noch einen kleinen Vorsprung, bevor die Situation sich so kritisch entwickelt.
Bildquelle: Hennie Stander, Unsplash