Pflanzenbasierte Ernährung verringert das Infektionsrisiko und mildert den Krankheitsverlauf von COVID-19. Das legt zumindest eine aktuelle Studie nah – doch die Ergebnisse sind mit Vorsicht zu genießen.
Wer sich vorwiegend pflanzlich oder rein vegetarisch ernährt, hat ein um 39 Prozent geringeres Risiko, an COVID-19 zu erkranken. Das hat jetzt eine aktuelle brasilianische Beobachtungsstudie ergeben. Offiziellen Angaben zufolge starben in Brasilien zwischen März 2020 und Januar 2024 annähernd 709.000 Menschen an COVID-19. Damit liegt das fünftgrößte Land der Welt, in dem ca. 2,7 % der Weltbevölkerung leben, hinter den USA, aber noch vor Indien, Russland und Mexiko auf Platz zwei der Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus. Im gleichen Zeitraum starben etwa 1,2 Millionen Menschen in den USA und 181.500 in Deutschland an dem tödlichen SARS-CoV-2-Virus.
Im Gegensatz dazu war die COVID-19-Mortalität auf der japanischen Insel Okinawa, eine der fünf so genannten blauen Zonen, sowie in zahlreichen Subsahara-Staaten Afrikas deutlich niedriger. Beide Regionen zeichnen sich unter anderem durch eine überwiegend pflanzliche Ernährung der Bevölkerung sowie eine geringere Inzidenz an kardiometabolischen Krankheiten wie Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen, Adipositas, Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs aus.
Dass ein gesunder Lebensstil die körperliche Abwehr gegen Krankheitserreger stärkt, ist keine neue Erkenntnis. Welche Rolle die Ernährung dabei spielt, ist bislang jedoch nur unzureichend erforscht. Ob eine überwiegend pflanzenbasierte Ernährung die Häufigkeit einer COVID-19-Erkrankung sowie deren Schwere und Dauer beeinflussen kann, hat ein Team brasilianischer Wissenschaftler unter der Leitung von Dr Júlio César Acosta-Navarro von der Medizinischen Fakultät der Universität São Paulo deshalb näher untersucht. Die Ergebnisse wurden im BMJ Nutrition Prävention & Health veröffentlicht.
Untersucht wurde der Einfluss einer vegetarischen bzw. flexitarischen Ernährung im Vergleich zu einer üblichen omnivoren Mischkost im Hinblick auf die Inzidenz und den Verlauf von COVID-19 bei insgesamt 702 erwachsenen Personen. Alle Probanden wurden während der dritten COVID-19-Welle, zwischen März und Juli 2022, über soziale Netzwerke sowie das Internet für die Beobachtungsstudie (Pandora Projekt) rekrutiert. Mit Hilfe standardisierter Online-Fragebögen wurden Alter, Geschlecht, Religion, Bildung, ethnische Zugehörigkeit, Krankengeschichte, Impfstatus, Größe und Gewicht (BMI), Raucherstatus, körperliche Aktivität sowie Essgewohnheiten erhoben.
Aufgrund der Angaben zur Ernährungsweise wurden die Studienteilnehmer zwei Gruppen zugeordnet. Probanden, die eine omnivore Mischkost zu sich nahmen, bildeten die Kontrollgruppe mit insgesamt 424 Personen. Die Teilnehmer der Interventionsgruppe mit einer überwiegend herbivoren Ernährungsweise (Vegetarier, Veganer, Flexitarier) umfasste 278 Personen. Die Interventionsgruppe wurde von den Forschern in zwei weitere Subgruppen unterteilt: Lakto- und Ovo-Vegetarier sowie Veganer bildeten zusammen mit 191 Personen die größere der beiden Untergruppen. Die zweite Untergruppe umfasste 87 Probanden, die sich entweder flexitarisch bzw. semivegetarisch ernährten. Darunter wurden Personen verstanden, die höchstens dreimal pro Woche Fleisch, Fisch, Schalentiere oder Geflügel konsumierten.
Der erforderliche Stichprobenumfang zur Überprüfung der Studienhypothese wurde im Rahmen einer Fallzahlschätzung auf Basis vorangegangener Untersuchungen ermittelt. Die Ausprägung der COVID-19-Erkrankung wurde in drei Klassen eingeteilt: keine Diagnose, leichte Symptome oder moderate bzw. schwere Verläufe. Erfasst wurde auch die Dauer der Erkrankung (Tage) sowie die Einschränkung der persönlichen Kontakte (Isolationsgrad) während der Pandemie. Der Zusammenhang zwischen dem jeweiligen Ernährungsmuster und der Inzidenz von COVID-19 wurde mittels logistischer Regression ermittelt.
Die Kontrollgruppe der Mischkost-Esser (n = 424) unterschied sich signifikant von der Interventionsgruppe der Pflanzenesser (n = 278) in Bezug auf die ethnische Zugehörigkeit (p = 0,001), die Anzahl der Vorerkrankungen (p = 0,017), den Bildungsgrad (p = 0,002), den Bewegungsstatus (p = 0,010) sowie der Prävalenz von Übergewicht und Adipositas (BMI; p = 0,010). Keine Unterschiede zeigten sich hingegen bei den Merkmalen Geschlecht, Alter, Impf- und Raucherstatus sowie dem Grad der häuslichen Isolation während der Pandemie.
Die Teilnehmer der Interventionsgruppe, die sich flexitarisch, vegetarisch oder vegan ernährten, konsumierten signifikant mehr Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen (p < 0,001). Gleichzeitig verzehrten sie aber deutlich weniger bis keine Milchprodukte, Eier, Wurst- und Fleischwaren sowie raffinierte Pflanzenöle (p < 0,001) im Vergleich zur Kontrollgruppe der Mischköstler. Keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen den beiden Gruppen gab es hingegen beim Konsum von Cerealien (p = 0,090), Süßigkeiten und Desserts (p = 0,737).
Von dem Gesamtkollektiv (n = 702) gaben 330 Teilnehmer (47 %) an, schon einmal COVID-19 gehabt zu haben. Von diesen berichteten 224 Probanden (32 %) über leichte Symptome und 106 (15 %) über mittelschwere bis schwere Symptome. In der Kontrollgruppe der ominvoren Mischköstler (n = 424) war die beobachtete Inzidenz von COVID-19 mit 51,6 % deutlich höher als in der pflanzlichen Interventionsgruppe (n = 278) mit 40 %. Der Unterschied von annähernd 12 % war statistisch signifikant (p = 0,005). Auch die Wahrscheinlichkeiten leichter oder mittelschwerer und schwerer Infektionen waren in der Kontrollgruppe höher als in der Interventionsgruppe (33,9 % versus 28,8 %; p = 0,005 bzw. 17,7 % versus 11,2 %; p = 0,005). Hinsichtlich der Erkrankungsdauer gab es keine Unterschiede.
Nach Adjustierung für alle relevanten Einflussfaktoren ergab sich für die Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe eine um 39 % geringere Wahrscheinlichkeit, an COVID-19 zu erkranken (OR = 0,61, 95 % KI 0,44 bis 0,85; p = 0,003). Nahezu die gleiche Reduktion des Infektionsrisikos ergab sich auch beim Vergleich der vegetarisch-veganen Interventions-Subgruppe (n = 191) mit der Kontrollgruppe (OR = 0,61, 95 % KI 0,42 bis 0,88; p = 0,009).
Wegen der geringeren Fallzahl verfehlte der direkte Vergleich zwischen der flexitarisch-semivegetarischen Interventions-Subgruppe (n = 87) mit der Kontrollgruppe nur knapp das statistische Signifikanzniveau (OR = 0,62, 95 % KI 0,30 bis 1,01; p = 0,057). Die geringere COVID-19-Inzidenz der Interventionsgruppe (n = 278) im Vergleich zur Kontrolle (n = 424) geht also in erster Linie auf die Subgruppe der Vegetarier und Veganer (n = 191) und weniger auf die Subgruppe der Flexitarier/Semi-Vegetarier (n = 87) zurück. Ein Zusammenhang zwischen der Ernährungsweise und der Schwere oder Dauer der COVID-19-Erkrankung wurde hingegen bei keinem Vergleich beobachtet.
Die Studienresultate stehen in Einklang mit den Ergebnissen aus anderen Studien mit vergleichbarer Fragestellung und Methodik. So fanden Wissenschaftler vom Stamford Memorial Hospital im US-Bundesstaat Connecticut während der ersten COVID-19-Welle im Jahr 2020 in einer Fall-Kontroll-Studie mit 2.884 Teilnehmern verschiedener Gesundheitsberufe aus fünf europäischen Ländern und den USA ein um 73 % geringeres Infektionsrisiko für mittlere bis schwere Erkrankungen bei Probanden, die eine pflanzenbasierte Diät konsumierten. Auch bei Pescetariern war das Infektionsrisiko immerhin noch um 59 % reduziert. Die Dauer der Infektion hing auch in dieser Untersuchung nicht von dem Ernährungsmuster ab.
In einer weiteren prospektiven Kohortenstudie mit fast 600.000 Teilnehmern fanden Wissenschaftler der Harvard Medical School in Boston, dass ein überwiegend pflanzliches Ernährungsmuster mit einem um 9 % geringeren Infektionsrisiko (HR = 0,91; 95 % KI 0,88 bis 0,94) und einem um 41 % geringeren Schweregrad der COVID-19-Erkrankung (HR = 0,59; 95 % KI 0,47 bis 0,74) verbunden war. Auch in einer taiwanesischen Studie wurde ein ähnlicher Zusammenhang zwischen verschiedenen Ernährungsmustern und der Schwere von COVID-19 bei 906 hospitalisierten Patienten im Alter von 65 Jahren und älter beobachtet. Aus zwei umfangreichen Metaanalysen (hier und hier) war bereits schon vorher bekannt, dass Übergewicht, Adipositas und Bewegungsmangel sowohl das Risiko von COVID-19-bedingten Krankenhauseinweisungen als auch das Sterblichkeitsrisiko signifikant erhöhten.
Der protektive Effekt der pflanzlichen Ernährung im Hinblick auf COVID-19 und andere ansteckende Erkrankungen wird auf den höheren Gehalt an Vitaminen und sekundären Pflanzenstoffen zurückgeführt. So ist z. B. bekannt, dass Carotinoide aus Tomaten und Karotten, Sulfide aus Knoblauch und Zwiebeln, Glukosinolate aus Rettich und Radieschen, Monoterpene aus Zitrusfrüchten und Fenchel, Saponine aus Hafer und Hülsenfrüchten sowie Polyphenole bzw. Anthocyane aus Trauben und Kirschen die körperlichen Abwehrkräfte aufgrund ihrer antioxidativen, immunmodulierenden und antientzündlichen Eigenschaften stärken. Vielen dieser bioaktiven Phytochemikalien wird auch eine direkte antibakterielle und antivirale Wirkung nachgesagt.
Aber auch Faserstoffe spielen eine wichtige Rolle für die Infektionsabwehr. So werden z. B. lösliche Ballaststoffe wie Beta-Glukan, Pektin, Inulin und einige Hemizellulosen von den Darmbakterien zu kurzkettigen Fettsäuren, Vitaminen, Peptiden und bioaktiven Substanzen metabolisiert, die das Immunsystem stärken. Bei all diesen Beobachtungen ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich die positiven Wirkungen in der Regel nur auf die frischen, naturbelassenen Lebensmittel beziehen und nicht auf die daraus isolierten Stoffe bzw. Extrakte. Die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) hat die Studienlage zur Wirkung zahlreicher isolierter sekundärer Pflanzenstoffe untersucht und bei den meisten keinen wissenschaftlichen Beweis feststellen können. An eine Supplementierung mit Nahrungsergänzungsmitteln sollten deshalb nicht allzu hohe Erwartungen geknüpft werden – das Ganze ist eben doch mehr als die Summe seiner Teile.
Alles in allem unterstützen die Ergebnisse der brasilianischen Studie die Hypothese, wonach Menschen in Industrienationen häufiger, länger und schwerer an Infektionen wie z. B. Corona erkranken. Denn in diesen Ländern werden mittlerweile 60–80 % der zugeführten Kalorien in Form stark verarbeiteter Fertigprodukte verzehrt, die keine bzw. nur noch geringe Mengen an Vital- und Ballaststoffen enthalten.
Bei aller Begeisterung über das erfreuliche Ergebnis darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich bei der Untersuchung um eine Beobachtungsstudie handelt. Aus Studien dieser Art können keine unmittelbaren kausalen Zusammenhänge abgeleitet werden. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass zahlreiche störende Einflussfaktoren wir z. B. die vielfältigen Strukturunterschiede zwischen Kontroll- und Interventionsgruppe durch die Methodik nicht hinreichend kontrolliert werden können. Hinzu kommt, dass die selbstberichteten Angaben der Studienteilnehmer fehleranfällig sind (Reporting Bias) und nicht unabhängig überprüft werden können. Nicht zuletzt birgt die Rekrutierung der Probanden über das Internet sowie die sozialen Netzwerke die Gefahr der Verzerrung (Selektions-Bias). Von einer repräsentativen Stichprobe kann also nicht ausgegangen werden. Weitere Studien sind somit erforderlich, um die vorgelegten Ergebnisse zu untermauern.
Bildquelle: Randy Fath, unsplash