Ein Austauschjahr beeinflusst den Selbstwert von Schülern positiv - zu diesem Ergebnis kommen zumindest Psychologen in einer aktuellen Studie. Das Ergebnis dürfte auch diejenigen Medizinstudenten bestätigen, die es im Zuge ihres Studiums häufiger in die Ferne zieht.
Jährlich gehen knapp 20.000 deutsche Jugendliche im Rahmen eines Schüleraustausches ins Ausland. Durch den Aufenthalt sollen Sprachkenntnisse verbessert, der Horizont erweitert und soziale Kompetenzen gestärkt werden. Kann ein Auslandaufenthalt aber auch den Selbstwert beeinflussen – hat er also Auswirkungen darauf, wie positiv oder negativ ein Mensch sich selbst wahrnimmt? Dieser Frage gingen Forscher unter der Leitung von Psychologen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) in einer aktuellen Studie nach. Die Wissenschaftler der Universitäten Münster, Utrecht, Kiel, Berlin und Mainz untersuchten, wie sich der Selbstwert während eines Austauschjahres verändert. Sie befragten dazu mehr als 800 im Durchschnitt 16-jährige Schüler, die ein gesamtes Schuljahr im Ausland verbrachten – vor, während, direkt nach dem Aufenthalt sowie ein Jahr später. Als Vergleichsgruppe wurden mehr als 700 Schüler in die Studie aufgenommen, die während der gesamten Zeit in Deutschland blieben. Ein zentrales Ergebnis: Die Austauschschüler sahen sich nach dem Aufenthalt in einem positiveren Licht als vorher. Im Gegensatz dazu beobachteten die Forscher bei den Daheimgebliebenen keine Selbstwertveränderung. Dr. Roos Hutteman vom Institut für Entwicklungspsychologie der Universität Utrecht, ehemalige Mitarbeiterin der WWU, hatte gemeinsam mit Prof. Dr. Mitja Back vom Institut für Psychologie der WWU die Federführung bei der Studie. „Es ist wichtig, auch die Erfahrungen, die die Schüler während des Austausches machen, zu untersuchen. Nur so kann man die Prozesse verstehen, die zu Veränderungen führen“, betont sie. „Wir sehen zum Beispiel, dass sich nicht alle Schüler gleich stark verändern. Manche zeigen kaum einen Anstieg des Selbstwertes, während andere über die Zeit des Aufenthaltes viel selbstbewusster werden. Besonders spannend: Vor allem solche Jugendliche, die zuvor ein weniger positives Bild von sich hatten, scheinen zu profitieren.“
Roos Hutteman erläutert weiter: „Nehmen wir etwa die zwei Austauschschüler Paul und Jonas. Paul sieht sich bereits vor dem Aufenthalt in einem sehr positiven Licht, während Jonas ein eher negatives Bild von sich selbst hat. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass während des Aufenthaltes der Selbstwert bei Jonas stärker zunimmt als bei Paul. Im Endeffekt führt das dazu, dass sich der Selbstwert der beiden nach dem Aufenthalt nicht mehr unterscheidet.“ Nicht nur persönliche Reifung, sondern auch das Knüpfen von neuen sozialen Kontakten ist für viele Schüler ein wichtiger Grund, ins Ausland zu gehen. Diese Aspekte scheinen voneinander abzuhängen. „Tatsächlich finden wir, dass soziale Beziehungen im Gastland eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Selbstwertes spielen“, erläutert Prof. Dr. Mitja Back. „Die Schüler, die sich während des Aufenthalts sozial eingebettet fühlen und neue Freundschaften knüpfen, zeigen auch einen stärkeren Anstieg im Selbstwert.“
Schüleraustauschorganisationen gehen davon aus, dass ein Auslandsaufenthalt das Leben der Schüler bleibend prägt. „Auch unsere Ergebnisse deuten auf langfristige Veränderungen hin. Wir haben die Schüler nicht nur direkt nach dem Aufenthalt befragt, sondern noch einmal ein Jahr nach der Rückkehr. Der Selbstwertanstieg während des Austauschjahres war auch dann noch sichtbar“, erklärt Roos Hutteman. Ein Schüleraustausch hat demzufolge bleibende positive soziale und persönliche Konsequenzen auf die Entwicklung von Jugendlichen, folgern die Forscher. Originalpublikation: Wherever I may roam: Processes of self-esteem development from adolescence to emerging adulthood in the context of international student exchange Roos Hutteman et al.; Journal of Personality and Social Psychology; 2014