Eine aktuelle Studie belegt: In Deutschland fehlen jährlich fast 2.500 ärztliche Nachbesetzungen. Mehr Studienplätze können eine Aufrechterhaltung der Versorgung nicht gewährleisten. Was also tun?
Von 2022 bis 2040 würden laut Studie kumuliert rund 50.000 Ärzte fehlen, um die derzeit 73 Millionen gesetzlich Versicherten auf dem gewohnt hohen medizinischen Niveau versorgen zu können. Ohne Berücksichtigung der Zuwanderung von Ärzten aus dem Ausland droht bis 2040 ein allmähliches Absinken des vertragsärztlichen Versorgungsgrads auf dann nur noch 74 Prozent des heutigen Niveaus.
Die abzusehenden Engpässe in der medizinischen Versorgung sind durch ein erhöhtes Studienangebot allerdings nicht mehr aufzuhalten. Selbst wenn die Studienplatzkapazitäten im Fach Humanmedizin kurzfristig signifikant erhöht würden, kämen die Auswirkungen aufgrund der Ausbildungslänge erst nach etwa 15 Jahren in der ambulanten haus- und fachärztlichen Versorgung an.
Angesichts der Versäumnisse, frühzeitig dem erwarteten Mangel an Ärzten durch ein Aufstocken der Studienplätze entgegenzuwirken, werden Engpässe in der medizinischen Versorgung daher nur durch flankierende Maßnahmen teilweise kompensiert werden können. Hierzu zählen Anreize für berufstätige Ärzte, sich möglichst lange und mit voller Arbeitskraft in der medizinischen Versorgung zu engagieren, die Entlastung von arztfremden Verwaltungsarbeiten sowie die Erweiterung ärztlicher Delegationsmöglichkeiten. Das sind die zentralen Ergebnisse einer aktuellen „Bedarfsprojektion für Medizinstudienplätze in Deutschland“, die das Zi veröffentlicht hat.
„In ganz Europa zeichnet sich ein zunehmender Fachkräftemangel in der medizinischen Versorgung ab. Wir befinden uns mitten in einem ‚war for talents‘ um ausgebildete Medizinerinnen und Mediziner. Es dürfte daher künftig noch herausfordernder werden, das heutige medizinische Leistungsangebot in Zukunft flächendeckend zu stabilisieren und eine Benachteiligung strukturschwächerer Regionen zu verhindern“, sagt der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried. „Unsere Analyse zeigt, dass frühere Versäumnisse in der Ausbildung in den kommenden zehn Jahren nicht mehr aufzuholen sind. Der Mangelumfang wird aber auch stark davon abhängen, wie gut es gelingt, international attraktive Rahmenbedingungen für die ärztliche Tätigkeit zu schaffen und Ärztinnen und Ärzte dazu zu motivieren, möglichst lange und engagiert in der medizinischen Versorgung zu bleiben“, so von Stillfried weiter.
Risiken für die Patientenversorgung ergäben sich daraus, dass niedergelassene Ärzte aufgrund steigender Arbeitsbelastung sowie dem Wunsch nach einer besseren Work-Life-Balance der ambulanten Versorgung immer häufiger den Rücken kehren oder ihren Tätigkeitsumfang reduzieren, indem sie in ein Anstellungsverhältnis wechseln. Ein weiterer Stressfaktor sei die zunehmende Belastung ärztlicher Arbeitszeit mit einer Flut von Verwaltungsaufgaben und sinnentleerter Digitalisierungsmaßnahmen.
„Hier gilt es, Anreize zu setzen, damit sich ein überdurchschnittliches zeitliches Engagement auch überdurchschnittlich lohnt. Das wird aber durch die bestehenden Budgetrestriktionen in der vertragsärztlichen Versorgung aufs Gröbste konterkariert. Die Botschaft lautet hier: Leistung lohnt sich nicht! Fleißige Praxen werden vielmehr bestraft, indem ihnen rechnerisch sechs Wochen im Jahr nichts für die Behandlung gesetzlich Versicherter bezahlt wird. Im Klartext: Wenn die Praxen das täten, was die Politik ihnen per Gesetz vorgibt, dann müssten zehn Prozent aller Untersuchungen und Behandlungen entfallen. Diese Leistungsbegrenzungen stammen aus einer Zeit, als man meinte, zu viele niedergelassene Ärztinnen und Ärzte zu haben. Heute sind diese Vorgaben einfach aus der Zeit gefallen. Wir müssen es unterstützen, wenn junge Ärztinnen und Ärzte sich niederlassen und ältere ihre Praxen länger betreiben wollen“, bekräftigte der Zi-Vorstandsvorsitzende.
Über alle Versorgungsbereiche hinweg betrachtet, steigt der jährliche Nachbesetzungsbedarf bis 2025 auf knapp 16.000 Mediziner, so die Zi-Studie. Erst danach sinkt er allmählich leicht ab. Bis 2040 sind pro Jahr knapp 12.000 Stellen nachzubesetzen. Im Vergleich zwischen dem vertragsärztlichen und dem stationären Sektor sowie sonstigen Bereichen zeigt sich, dass der Nachbesetzungsbedarf im vertragsärztlichen Sektor kurz- und mittelfristig am größten ist. Maßgeblicher Grund hierfür ist, dass Vertragsärzte im Basisjahr 2021 durchschnittlich älter sind als die im Krankenhaus angestellten Ärztinnen und Ärzte. Der Nachbesetzungsbedarf an niedergelassenen Haus- und Fachärztinnen und -ärzten beträgt bis 2030 jährlich rund 8.000 bis 9.000 Köpfe. Bis zum Jahr 2040 sinkt diese Zahl auf knapp 5.000 pro Jahr ab.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Zentralinstituts der kassenärztlichen Versorgung (Zi). Die Originalpublikation haben wir euch hier verlinkt.
Bildquelle: Amirreza Jamshidbeigi, Unsplash