Die Kopfschmerzen bessern sich schlagartig, wenn das Telefon klingelt. Klingt nach Zauberei, ist aber nur Konditionierung. Dass sie auch bei Schmerzen funktioniert, konnten Wissenschaftler nun nachweisen und eröffnen damit neue Behandlungsstrategien für Schmerzpatienten.
Pawlowsche Hunde, das waren die Hunde, bei denen zu jeder Mahlzeit eine Glocke bimmelte. Nach kurzer Zeit genügte bereits das Klingeln der Glocke, um bei den Tieren den Speichelfluss anzuregen – sie waren konditioniert, und ihr experimentierfreudiges Herrchen bekam für diese Versuche sogar im Jahr 1904 den Nobelpreis verliehen. Eine eben solche Konditionierung könnte auch Menschen mit chronischen Schmerzen helfen, wie Wissenschaftler in einem Experiment, das kürzlich im Fachmagazin PLOS One veröffentlicht wurde, zeigen konnten.
Schon lange ist bekannt, dass ein neuer Schmerz einen bestehenden quasi ablösen kann. Hat man sich also einen Zeh in der Tür einklemmt, tut dieser weniger weh, wenn man sich im Anschluss mit einem Hammer auf den Daumen haut. Bei diesem Vorgang blockiert das menschliche Nervensystem den ersten Schmerz, um dem zweiten, möglicherweise relevanteren Schmerz mehr Aufmerksamkeit schenken zu können. Wissenschaftler haben nun das „Schmerz-verdrängt-Schmerz“-Prinzip mit dem pawlowschen Effekt kombiniert – allerdings mit einem Trick. Denn natürlich bringt es Schmerzpatienten wenig Linderung, einen neuen Schmerz zu erzeugen, nur um den Körper vom alten abzulenken.
32 Testpersonen nahmen am Versuch der Wissenschaftler aus Luxemburg und den USA teil. Um einen ersten Schmerz zu erzeugen, erhielten die Probanden leichte, aber schmerzhafte Stromstöße am Fuß. Die Intensität des Schmerzes wurde von den Wissenschaftlern aufgezeichnet, indem sie die Probanden den empfundenen Schmerz auf einer Skala von 1 bis 10 bewerten ließen und die Auswirkungen des Schmerzempfindens wie Muskelzucken maßen.
Als zweiten Schmerzreiz benutzten die Forscher Eiswasser, in das die Probanden nach dem Stromstoß am Fuß eine Hand tauchen sollten. Wie erwartet, ließ der Schmerzreiz am Fuß dadurch nach. Und nun kommt der pawlowsche Effekt ins Spiel: Ein Teil der Versuchsteilnehmer hörte über Kopfhörer beim Eintauchen der Hand in den Eimer mit Eiswasser den Klingelton eines Telefons. Nach sechs Durchläufen genügte bei diesen Probanden bereits das Klingeln des Telefons, um den Schmerz im Fuß zu lindern. Im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne Klingelton war das Schmerzempfinden dieser Probanden nicht nur subjektiv schwächer, auch die objektiven, körperlichen Anzeichen von Schmerzen wie ein Zusammenzucken oder ein verzerrtes Gesicht fielen geringer aus.
„Wir haben gezeigt, dass ein ebensolcher Effekt wie bei der physiologischen Reaktion des Speichelflusses bei den pawlowschen Hunden auch hinsichtlich der Möglichkeit besteht, Schmerz bei Menschen auszublenden“, so Fernand Anton, Professor für biologische Psychologie an der Universität Luxemburg. „Umgekehrt spielen womöglich ähnliche Lerneffekte bei der Steigerung und Aufrechterhaltung von Schmerzen bei manchen Patienten eine Rolle“, fügt Raymonde Scheuren, verantwortliche Wissenschaftlerin dieser Studie, hinzu. Das würde bedeuten, dass Menschen sich auch antrainieren können, Schmerzen bei bestimmten Signalen stärker zu empfinden. Beide Erkenntnisse könnten für die Schmerztherapie eine wichtige Rolle spielen. Dazu müssen die Wissenschaftler aber zunächst noch klären, wie lange eine solche Schmerzkonditionierung beim Menschen anhält. Daran arbeiten die Forscher um Anton nun.