INFEKTIO-KLARTEXT | Können Hausärzte HIV-Patienten behandeln? Welche Therapien und Prophylaxen gibt es und wie interagieren sie mit anderen Medikamenten? Ihr habt gefragt, unser Experte hat geantwortet.
In der aktuellen DocCheck CME Veranstaltung ging es um das Thema: „HIV: Verschlaf die Diagnose nicht!“. Im Live-Stream beantwortete unser Experte Prof. Jürgen Rockstroh eure Fragen zur Prävention, Diagnose und Therapie von HIV. Seine Antworten lest ihr hier.
Nach einer Ansteckung gibt es immer welche, die haben gar keine Symptome. Die meisten haben ein paar Symptome, aber das ist in der Regel nach zwei Wochen vorbei. Und dann beginnt eine Phase, die asymptomatisch ist und die kann bei jedem unterschiedlich lange sein. Im Mittel vergehen 10 Jahre, bis die Erkrankung ausbricht.
Der Schnelltest ist natürlich nicht so zuverlässig wie ein ELISA-Test, er muss dann also nochmal überprüft werden. Aber die Fehlerrate ist schon sehr gering, wobei man immer an die diagnostische Lücke, also die Zeitspanne zwischen Infektion und Nachweisbarkeit, denken muss. Und wir haben wie auch bei dem ELISA-Test das Problem, dass der Test auch mal falsch positiv sein kann. Denn diese Tests sind primär dafür konzipiert, dass sie möglichst jeden Fall erwischen, das heißt die Sensibilität ist hoch – über 99 % – aber die Spezifität ist ein bisschen niedriger.
Die primär favorisierten Medikamente sind zwei Generationen Integrasehemmer plus ein oder zwei NRTI. Diese Stoffe sind deshalb so attraktiv, weil sie zum einen wenig Nebenwirkungen verursachen aber vor allem auch, weil es in Studien selbst nach fünf Jahren und bei unregelmäßiger Einnahme keine Resistenzentwicklung gab.
Es gibt schon einen starken Wunsch nach Therapievereinfachung oder anderen Darreichungsformen. Es gibt jetzt auch erste long-acting Medikamente, die man alle acht Wochen intramuskulär spritzt. Aber für die Zukunft kann man sich auch vorstellen, dass diese Intervalle auf 6 Monate ausgeweitet werden können. Also es wird daran gearbeitet.
Es gibt zwei Formen, wie man PrEP nehmen kann. Entweder fortlaufend, da ist das Risiko für eine Resistenzentwicklung geringer, oder „on-demand“, wenn man weiß, dass man gleich jemanden trifft, dass man maximal zwei Stunden vorher zwei Tabletten nimmt und dann nochmal jeweils eine an den zwei Tagen darauf. Wenn man die PrEPs aber nicht vollständig einnimmt, dann können auch Resistenzen auftreten. Das haben wir in Einzelfällen gesehen, aber es passiert nicht so häufig.
Eigentlich ist eine echte Indikation nur gegeben, wenn eine sichere Index-Person mit einer nachweisbaren Viruslast vorhanden ist, an dessen Nadel man sich gestochen hat. Wenn man sich an der Nadel von jemandem sticht, der keine nachweisbare Viruslast hatte, dann würde man in der Regel keine Prophylaxe empfehlen. Aber manchmal wiegt man ab und bietet trotzdem eine Prophylaxe an, weil die Angst bei den Betroffenen zum Teil sehr groß sein kann.
Wir hatten dieses Problem bisher sehr, sehr selten, aber seit letztem Herbst ist es so, dass vor allem die Kombination, die wir für die PrEP benutzten (TDF/FTC), nicht mehr lieferbar ist. Das heißt, viele Menschen stehen jetzt ohne Prävention da. Und dann gibt es Menschen, die nehmen TDF/FTC als Teil ihrer HIV-Therapie – und das ist wirklich kompliziert. Denn Leute nehmen diese Kombination ja aus einem bestimmten Grund, zum Beispiel weil sie andere Medikamente nicht vertragen. Und jedes neue Medikament, das man alternativ nutzt, kann potenziell neue Nebenwirkungen hervorrufen.
Die Behandlung ist sehr viel einfacher geworden. Aber gerade, wenn es um das Wissen um bestimmte Medikamenten-Interaktionen geht, oder wenn es Resistenzen in der Vorgeschichte gibt, sind die Patienten doch in den Händen eines HIV-Behandlers gut aufgehoben. Aber ich denke trotzdem, dass Hausärzte, die ihre Patienten ja zum Beispiel für die Grippeimpfungen, Vorsorgeuntersuchungen oder Blutdruckeinstellungen sehen, oft auch mehr Erfahrung haben, wenn es um Risikoerfassung und Begleiterkrankungen geht. Insofern denke ich, dass es das Zusammenspiel zwischen beiden Behandlern ist, das entscheidend ist.
Das ist grundsätzlich etwas, das Hausärzte meiner Meinung nach tun können. Aber es gibt bestimmte Kriterien, an die man sich halten muss. Da informiert man sich am besten auf der Website der DAGNÄ um sich zu orientieren, dort gibt es auch ein Leitlinien-Papier für PrEP.
Es gibt da gar nicht so viele Einschränkungen. Wir unterscheiden nur bei Lebendimpfungen, da ist eine Impfung für Menschen, die mit HIV leben und eine nachweisbare Virus-Vermehrung oder Helferzellen von unter 200 Zellen pro Mikroliter haben, kontraindiziert. Ansonsten kann man eigentlich gegen alles impfen. Wir impfen auch gegen Pneumokokken und bieten auch die Gürtelrosenimpfung an, weil Gürtelrose gehäuft bei HIV-Patienten auftreten.
Früher war es so, dass es HIV-Medikamente gab, die man nicht zusammen mit PPI geben durfte, weil die Medikamente dann nicht aufgenommen wurden. Das ist zum Beispiel bei Atazanvir oder Rilpivirin so. Das hat sich aber jetzt geändert, die neuen Medikamente sind alle mit PPI kombinierbar.
Wir haben einen unheimlichen Rückgang an Tuberkulose-Erkrankungen in Deutschland gesehen, auch bei Menschen, die mit HIV leben. Aber jetzt durch die Migration, vor allem aus Osteuropa und der Ukraine, sehen wir einen Anstieg der Fälle. Da muss man wissen, dass in der Tuberkulose-Behandlung Rifampicin ein Bestandteil ist und Rifampicin senkt fast alle anderen Medikamenten-Spiegel ab. Zum Glück gibt es aber HIV-Medikamente, die man geben kann, da muss man sich dann ein bisschen auskennen, weil es eben sehr viele Interaktionen geben kann.
Das Ziel ist natürlich immer, diese Patienten in eine medizinische Versorgung und Versicherung zu bekommen. Zur Überbrückung gibt es zum Beispiel in der Stadt Köln ein Projekt für Leute, die nicht versichert sind, durch das sie erstmal eine Basisversorgung bekommen. Aber wenn die Helferzellenzahlen sehr gut sind, dann ist es auch nicht so schlimm, wenn ich zwei oder vier Wochen später mit der Therapie anfange, so schnell passiert da nichts. Man hat also sicherlich ein bisschen Zeit zu gucken, welche Möglichkeiten sich öffnen – weil es dann doch für viele Möglichkeiten gibt, in eine Regelversicherung zu kommen.
Bildquelle: Austin Distel, unsplash