Wirken Notfallkontrazeptiva auch bei Frauen mit höherem Gewicht? Diese Frage diskutieren Gynäkologen, Pharmazeuten und Aufsichtsbehörden äußerst kontrovers. Nun sprach sich die EMA gegen solche Warnhinweise aus. Befürworter der Rezeptfreiheit sind damit einen Schritt weiter.
Nach wie vor scheiden sich die Geister, ob Notfallkontrazeptiva mit Levonorgestrel beziehungsweise Ulipristal aus der ärztlichen Verschreibungspflicht entlassen werden sollen. Ende 2013 sorgten zwei Studien für Aufsehen: Bei Patientinnen mit höheren BMI-Werten kam es zu deutlich mehr Schwangerschaften als bei normalgewichtigen Frauen.
Zu den Details: In ihrer Veröffentlichung hat Anna Glasier von der Universität Edinburgh zusammen mit Wissenschaftlern des Herstellers HRA Pharma, Paris, Ergebnisse zweier randomisierter kontrollierter Studien zusammengefasst. Sie berichtet, dass adipöse Frauen trotz der Einnahme von Levonorgestrel (NorLevo®) mehr als viermal häufiger schwanger wurden als normalgewichtige Frauen einer Vergleichsgruppe. Die Werte waren statistisch signifikant. Bei Ulipristal lag das Risiko 2,5-fach höher, allerdings ohne statistische Signifikanz. Grund genug für Glasier, ab einem BMI von 25 Kupfer-Intrauterinpessare bei Verhütungspannen zu empfehlen. HRA Pharma selbst warnt in einer Fachinformation, die Wirkung lasse ab 75 Kilogramm Körpergewicht nach. Und ab 80 Kilogramm sei kein zuverlässiger Schutz mehr vorhanden.
Umso überraschter waren Gynäkologen, als sich die Europäische Arzneimittelagentur EMA zu Wort meldete: „Levonorgestrel und Ulipristal bleiben geeignete Notfallkontrazeptiva für alle Frauen, unabhängig von Körpergewicht“, heißt es in einer Mitteilung. Mitglieder des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) nahmen Daten europäischer Frauen aus 2006 und aus 2010 unter die Lupe. Insgesamt wurden 0,96 Prozent aller Normalgewichtigen (BMI 18,5 bis 25) trotz der Notfallkontrazeption schwanger. Bei BMI-Werten von 25 bis 30 waren es 2,36 Prozent, und darüber hinaus sogar 5,19 Prozent. Trotz dieser Metaanalyse halten Aufsichtsbehörden eine Warnung für überflüssig. Dahinter steckt eine weitere Metaanalyse mit Frauen asiatischer und afrikanischer Herkunft. Bei WHO-Arbeiten aus 1998, 2002 und 2010 trat keine signifikante Verschlechterung der Wirkung mit zunehmendem Körpergewicht auf. Hier wurden 0,99 Prozent aller normalgewichtigen, 0,57 Prozent aller übergewichtigen und 1,17 Prozent aller adipösen Frauen trotz Notfallmedikation schwanger. Grund genug für EMA-Vertreter, Zweifel über Bord zu werfen. Die Datenlage sei „zu eingeschränkt“ und „nicht robust“.
Fachgesellschaften zeigten sich von der Entscheidung überrascht. „Wir halten die aktuellen Studien für qualitativ überlegen, in denen ein Zusammenhang zwischen Körpergewicht und Versagen der Notfallverhütung festgestellt wurde“, erklärt Dr. Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte (BVF). „Wir empfehlen deshalb weiterhin allen Ärzten in Deutschland, unbedingt weiterhin bei Frauen mit einem Körpergewicht über 75 Kilogramm bzw. einem BMI über 25 von einer abgeschwächten Wirksamkeit von Levonorgestrel auszugehen und in diesen Fällen Ulipristalacetat (UPA) zu verwenden.“ Albring weiter: „Bei UPA scheint die Wirkung erst ab einem Körpergewicht von 95 Kilogramm zu sinken. Ist eine Frau noch schwerer, kann für eine sichere Notfallverhütung noch die Einlage einer Kupferspirale empfohlen werden.“
Bislang sprachen sich sowohl der BVF als auch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) für eine Verschreibungspflicht aus, um Patientinnen gegebenenfalls mit anderen Notfallkontrazeptiva zu versorgen. Entsprechende Argumente wurden zuletzt bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages diskutiert. Dabei ging es um zwei Anträge: „Selbstbestimmung bei der Notfallverhütung stärken – Pille danach mit Wirkstoff Levonorgestrel schnell aus der Verschreibungspflicht entlassen“ (Bündnis 90/Die Grünen) sowie „Bundestagsmehrheit nutzen – Pille danach jetzt aus der Rezeptpflicht entlassen“ (Die Linke). Zuvor waren Versuche von Bundesratsmitgliedern, eine Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) herbeizuführen, an Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) gescheitert. Mechthild Rawert, Gesundheitspolitikerin der SPD, kommentiert jetzt die EMA-Veröffentlichung: „Levonorgestrel ist unabhängig vom Körpergewicht ein geeignetes Notfallkontrazeptivum für alle Frauen. Ungefährlich für die Gesundheit der Frauen ist es auch. Ich kämpfe weiter für die Rezeptfreiheit. Ich will ungewollte Schwangerschaften verhindern helfen, will Frauen auch unnötige Ängste ersparen.“ Von Hermann Gröhe erwartet ihre Partei, eine „Befreiung von der Verschreibungspflicht per Verordnung umzusetzen“. Jenseits aller wissenschaftlichen Kontroversen ist das Thema erneut zum Politikum geworden.