Neu entdeckte Gene spielen vermutlich eine Rolle bei der chronischen Nierenerkrankung. Die gefundenen Effekte könnten jetzt dazu beitragen, geschlechtsspezifische Unterschiede besser zu verstehen und neue Therapieansätze liefern.
Etwa zehn Prozent der Weltbevölkerung leiden unter einer chronischen Nierenerkrankung (CKD). Für Betroffene bedeutet das ein erhöhtes Risiko für Nierenversagen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krankenhausaufenthalte – und damit für das Gesundheitssystem eine hohe Belastung. Prognosen zufolge könnte sich, bedingt durch den demographischen Wandel, die CKD bis 2040 zu einer der fünf häufigsten Todesursachen weltweit entwickeln.
In einer groß angelegten Studie untersuchten Wissenschaftler der Universitätsmedizin Leipzig in Kooperation mit weiteren internationalen Studiengruppen genetische Assoziationen zwischen Varianten des X-Chromosoms und sieben ausgewählten Parametern der Nierenfunktion bei Männern und Frauen. Datengrundlage der Studie waren Blutwerte und genetische Informationen von insgesamt mehr als 900.000 Personen, von denen 80 Prozent europäischer Herkunft waren. „Insgesamt konnten wir 23 Assoziationen feststellen: 16 betreffen die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate der Niere und sieben die Harnsäure“, erläutert Studienleiter Prof. Markus Scholz vom Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie (IMISE) der Universität Leipzig. Die glomeruläre Filtrationsrate ist neben der Harnsäure ein zentraler Wert zur Bestimmung der Nierengesundheit. Sie zeigt an, wieviel Blut die Glomeruli pro Zeiteinheit filtern können.
An sechs Positionen im Genom fanden die Forscher unterschiedliche Effekte bei Männern und Frauen. Den neu gefundenen genetischen Effekten konnten die Wissenschaftler funktionell plausible Gene zuordnen. „Die geschlechtsspezifischen Unterschiede könnten durch hormonelle Regulationen der zugeordneten Gene erklärt werden“, berichtet Studienanalystin Katrin Horn vom Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie. „Diese Erkenntnis hilft uns, mögliche Mechanismen der Krankheitsentstehung und -entwicklung besser zu verstehen“, ergänzt Scholz. „So weiß man beispielsweise jetzt schon, dass die Erkrankung häufiger bei Frauen auftritt, sie aber bei Männern schneller voranschreitet. Jetzt haben wir geeignete Mechanismen, um diese Phänomene weiter zu untersuchen.“
In ihrer Analyse X-chromosomaler Varianten schauten sich die Leipziger Wissenschaftler Mutationen an etwa 270.000 Positionen des Chromosoms an und setzten diese in Beziehung mit den klinischen Nierenparametern. Sie überprüften auch anhand von Gewebedaten, ob und wie die Erbinformationen tatsächlich ausgelesen wurden. Dabei wurde gezielt nach geschlechtlichen Unterschieden gesucht. „Wir hatten uns bewusst das kompliziertere X-Chromosom zur Analyse ausgesucht, welches bisher nur unzureichend hinsichtlich genetischer Assoziationen untersucht wurde, obwohl es sehr vielversprechend ist, was geschlechtsspezifische Unterschiede bei Erkrankungen betrifft“, erläutert Scholz. „Der Grund hierfür ist, dass bei Frauen zwei dieser Chromosomen vorliegen, aber die Erbinformation nur teilweise genutzt wird und nicht genau verstanden ist, in welcher Weise, welchem Umfang dies geschieht.“
Die von Scholz und seinem Team für die Studie erarbeitete Methodik, Chromosom X nun tiefgehend zu analysieren und Geschlechtsunterschiede aufzufinden, kann in Zukunft auch von anderen Forscherteams genutzt werden, um Beiträge zur geschlechtersensitiven Medizin bei anderen Erkrankungen zu leisten.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Universität Leipzig. Die Studie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Volodymyr Hryshchenko, Unsplash