Die Body-Positivity-Bewegung wollte das System verändern und die Vielfalt stärken – nun wird sie oft falsch verstanden und ausgenutzt. Wie finden Ärzte den richtigen Umgang mit Gewichtsfragen?
Der Grundgedanke ist eigentlich einfach: Jeder Körper ist schön, niemand sollte aufgrund seines Aussehens diskriminiert oder verachtet werden. Eine wichtige Botschaft, wenn man bedenkt, wie tief das schlanke Schönheitsideal in unserer Gesellschaft verankert ist. In einer Forsa-Umfrage, beauftragt von der Krankenkasse DAK, gaben 38 Prozent der Befragten an, dicke Menschen unästhetisch zu finden. Bei Fettleibigen waren es mehr als zwei Drittel. Manche meiden sogar explizit den Kontakt mit dicken (5 Prozent) oder fettleibigen (15 Prozent) Personen. Ganz offensichtlich brauchen wir hier ein Umdenken.
Bereits in den 1970er Jahren begann der sogenannte Fat Activism, auch wenn damals noch andere Begriffe verwendet wurden. Body Positivity selbst war eine Reaktion von Fettaktivisten, Schwarzen und LGBTQ-Gruppen, um sich gegen die Unsichtbarkeit von nicht-weißen, nicht-schlanken Körpern in der gesellschaftlichen, politischen und medialen Landschaft aufzulehnen. Seitdem ist viel geschehen und tatsächlich zeigen Magazine und Werbungen deutlich häufiger verschiedene Körpertypen. Der Haken daran: Firmen geben gerne damit an, wie divers sie aufgestellt sind – gleichzeitig zeigt der Großteil der Bilder noch immer weiße, dünne Models. Deshalb sprechen manche in der Mode-Branche schon von „Fat-Washing“, in Anlehnung an „Greenwashing“, also alibihafte klimafreundliche Verhaltensweisen zu Werbezwecken.
Was als politischer Aufruf begann, wird mittlerweile zudem immer öfter zum Wohlfühlprogramm umfunktioniert, unter dem Motto: „Sei zufrieden mit deinem Körper.“ Damit liegt die Verantwortung für das Wohlbefinden wieder beim Individuum. Ausgeblendet werden die vollkommen reale Diskriminierung und Ausgrenzung von nicht-schlanken Menschen. Das Stigma, dicke oder mehrgewichtige Personen seien faul oder undiszipliniert, macht vielen das Leben schwer: Untersuchungen zeigen etwa, dass Übergewichtige sich weniger bewegen, weil sie Spott fürchten.
Um die Body Positivity gibt es noch mehrere andere psychologische und vor allem politische Aspekte, die diskutiert werden. Doch auch die medizinische Seite ist nicht eindeutig. Hier wird einerseits argumentiert, ein Übermaß an Körperfett bringe gesundheitliche Risiken mit sich – etwa Bluthochdruck, Herzerkrankungen oder Typ-2-Diabetes. Andererseits sind die biologischen Zusammenhänge schlechter ergründet, als man meinen könnte. Tatsächlich gibt es Forscher, die eine alternative Erklärung vorschlagen: Die negativen Auswirkungen könnten zumindest zu einem Teil auf Stress basieren, etwa durch Stigmatisierung oder andauernde Abnehmversuche.
Dr. Elisabeth Rauh ist Chefärztin am Fachzentrum für Psychosomatik an der Schön Klinik Bad Staffelstein. Sie sieht an der Body-Positivity-Bewegung mindestens ein Gutes: „Sie bringt die Menschen in ein Gespräch über den exzessiven Schlankheitswahn.“ Allerdings, so die Ärztin im Interview für die DocCheck News, sei es zu kurz gedacht, einfach alle Körper als „genau richtig“ zu bezeichnen. Bei Gewicht und Aussehen gebe es zwei entscheidende Faktoren: „Es gibt eine Veranlagung – groß, klein, dick, dünn, kurvig, birnenförmig. Diese Eigenschaften sollten wir in jedem Fall akzeptieren.“ Dazu komme aber der zweite Aspekt, das Verhalten.
„Nutze ich das Essen vielleicht, weil mir langweilig ist oder ich damit Stress und Sorgen verdränge?“ Dann sei es medizinisch falsch zu sagen, man solle nichts verändern. „Es gibt Menschen, die selbstfürsorglich essen und sich bewegen und trotzdem dick sind“, so Rauh. „Bei anderen liegt das Über- oder Untergewicht an ungesunden Verhaltensweisen, die den Betroffenen schaden können.“ Das zu ändern oder auch nicht, liege dann in der eigenen Verantwortung. „Sich ungesund zu ernähren und zu wenig zu bewegen, kann natürlich genauso eine bewusste Entscheidung sein wie etwa zu rauchen.“
An einer Tatsache hat die Body-Positivity-Bewegung jedenfalls nichts geändert: Schlank zu sein, ist noch immer das erklärte Ziel vieler Menschen. Das verdeutlicht der Zuwachs von Essstörungen, der sich sogar schon bei Kindern und Jugendlichen ab 10 Jahren zeigt. Zudem steht das Abnehmen weiter im medialen Fokus, im Internet und in Magazinen finden sich unzählige Tipps, Tricks und Diäten-Rankings.
Mehr oder weniger neu sind Abnehmspritzen, die eigentlich zur Behandlung von Diabetes gedacht waren. Gefeiert wird etwa das Medikament Ozempic®. Auf Tiktok, Instagram und anderen sozialen Medien dokumentieren Menschen unter #myozempicjourney, wie sie damit Gewicht verlieren. Sinnvoll ist das freilich nicht, denn Ozempic® ist nicht für diesen Zweck zugelassen und in ganz Europa eigentlich nur mit einem ärztlichen Rezept erhältlich. Aufgrund der großen Beliebtheit gibt es aber immer wieder illegale Angebote und einen Online-Schwarzmarkt. Solche Produkte sind nicht sicher und die Einnahme sollte in keinem Fall ohne ärztliche Beratung erfolgen.
Rauh kann den Hype um Abnehmspritzen verstehen, auch wenn sie ihn nicht gutheißt: „Es ist natürlich verlockend, alles essen zu können und trotzdem abzunehmen – aber das ist eine Illusion, bei der man die Verantwortung für den eigenen Lebensstil abgibt.“ Solche Abkürzungen seien gefährlich, ebenso wie eine restriktive Ernährung. „Es gibt viele Ursachen für Essstörungen, aber nur einen Auslöser: Diäten.“ Die häufig langfristig nicht funktionieren. Der Jojo-Effekt ist den meisten Menschen bekannt, dennoch scheinen viele zu glauben, dass er auf sie nicht zutrifft.
Eine aktuelle Studie legt nahe: Wer abnehmen möchte, um idealisierten Körpervorstellungen zu genügen und um dem Stigma zu entkommen, wird mit großer Wahrscheinlichkeit in einen Teufelskreis aus Gewichtsverlust und -zunahme geraten. Das unterstreicht den Rat von Rauh: „Der Weg zu einem gesunden Körper geht über eine selbstfürsorgliche Ernährung, mit der man sich wohlfühlt und genug Energie hat – und über ausreichend Bewegung.“ Das wäre, kombiniert mit den ursprünglichen Gedanken der Body Positivity, ein gutes Ziel für die Menschen als Individuen und die Gesellschaft als Ganzes. Wenn wir möchten, dass jeder zu einem gesunden Essverhalten findet, müssen wir dafür sorgen, dass auch alle Körper akzeptiert werden und weiße Schlankheit weder die Medien noch irgendeine andere Branche dominiert.
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Romo, L. et al. 2024. A qualitative model of weight cycling. Qual Health Res. Doi: 10.1177/10497323231221666
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