Was haben Diabetes, zu viel Alkohol und Vitamin-B12-Mangel gemeinsam? Sie alle sind in der Lage, eine Small-Fiber-Neuropathie auslösen. Neurologen können die Erkrankung in der Regel identifizieren – doch die Ursache zu finden, ist oft schwierig.
Schmerzen, Kribbeln und verändertes Temperaturempfinden, allein oder in Kombination, könnten Anzeichen für eine Small-Fiber-Neuropathie (SFN) sein – eine Erkrankung des peripheren Nervensystems. Small Fiber steht dabei für zwei verschiedene Formen von Nervenfasern, die Schmerzsignale weiterleiten: Die dünn myelinisierten Aδ-Fasern sind für eine schnelle Schmerzleitung und für das Temperaturempfinden zuständig, die C-Fasern geben Signale hingegen langsam ans Gehirn und haben an ihren freien Enden Schmerzrezeptoren, die einen dumpfen, anhaltenden Schmerz vermitteln. Bei einer SFN sind diese Nervenfasern beschädigt und verursachen unangenehme bis schmerzhafte Symptome.
Wie häufig eine solche Neuropathie vorkommt, ist schwer zu sagen. Es gibt nur wenige epidemiologische Studien mit teils recht unterschiedlichen Ergebnissen: Eine Schätzung aus den südlichen Niederlanden kam zwischen 2006 und 2011 auf eine Prävalenz von etwa 53 Betroffenen pro 100.000 Einwohnern. Zwischen 2016 und 2019 fand eine andere Erhebung in der Schweiz mit 132 Fällen pro 100.000 Menschen mehr als die doppelte Anzahl. Fachleute gehen davon aus, dass die Zahlen in den nächsten Jahren steigen werden – nicht, weil SFN tatsächlich häufiger werden, sondern schlicht, weil das Krankheitsbild mehr Beachtung bekommt.
Komplex ist die Erkrankung vor allem wegen ihrer starken Diversität. „Neben klassischen Schmerz- und Taubheitsgefühlen können bei SFN auch ganz andere Symptome auftreten“, erklärt Dr. Gerd Reifschneider, Facharzt für Neurologie am NeuroCentrum Odenwald. Dazu gehören beispielsweise auch außergewöhnlich starkes Herzklopfen, Veränderungen der Haut, des Haar- und Nagelwachstums, Inkontinenz, eine gestörte Sexualfunktion und Sehstörungen.
Vielfältig sind auch die Ursachen. „Häufig wird die SFN von Diabetes, zu viel Alkohol oder Vitamin-B12-Mangel ausgelöst“, sagt Reifschneider. „Aber es kommen noch viele andere Möglichkeiten infrage.“ Den richtigen Auslöser zu finden, ist für die effektive Behandlung unbedingt notwendig. In rund einem Drittel der Fälle gelingt das jedoch nicht. Dann lässt sich zwar die SFN mithilfe der Krankheitsgeschichte und einer Hautbiopsie mit der Messung der Nervenfaserdichte nachweisen, der Grund bleibt aber ungeklärt. „In solchen Fällen können nur die Symptome gelindert werden“, so der Neurologe. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) empfiehlt in ihren Richtlinien zunächst eine Behandlung mit Pregabalin, Gabapentin, Duloxetin und Amitriptylin, die auch für Angststörungen und Depression zugelassen sind. In zweiter Linie stehen generelle Schmerzmedikamente wie topisches Capsaicin und Lidocain, notfalls können Opioide helfen. Cannabis darf in Deutschland zwar unter bestimmten Bedingungen verschrieben werden, wird aber von der DGN explizit nicht bei einer SFN empfohlen.
Besser wäre es natürlich, die Ursachen zu beheben – schon um zu verhindern, dass die Schmerzfasern weiter geschädigt werden. Durch die vielfältigen Eventualitäten zu gehen, kann sehr aufwendig sein. „In einer neurologischen Praxis haben wir gar nicht die zeitlichen und finanziellen Kapazitäten, um alle Möglichkeiten zu testen“, erklärt Reifschneider. „Wenn wir nicht weiterkommen, überweisen wir die Betroffenen an die Deutsche Klinik für Diagnostik (DKD).“ Dort können beispielsweise genetische Faktoren untersucht werden.
Manche Fachleute fordern für die Diagnose von SFN einen Goldstandard. Zudem wäre – wie bei so vielen Erkrankungen – mehr Grundlagen- und Therapieforschung hilfreich. Eine generelle Unterversorgung bei SFN sieht Reifschneider allerdings nicht: „Neurologen erkennen die Krankheit in der Regel und können oft wirksam helfen.“
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