Das Herbizid Glyphosat darf weitere fünf Jahre verkauft werden. Bei der Diskussion um mögliche Risiken hatten sich Wissenschaftler auf Krebs konzentriert, andere Gefahren jedoch kaum beachtet. Dazu gehören Kreuzresistenzen gegen Antibiotika.
Ende November sprachen sich 18 aller 28 EU-Mitgliedsstaaten dafür aus, Glyphosat für weitere fünf Jahre zuzulassen. Nachdem sich Deutschland zuvor enthalten hatte, gab Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CDU) entgegen internen Absprachen der geschäftsführenden Regierung doch noch seinen Segen. Jenseits des politischen Flächenbrands kritisieren Wissenschaftler, die Diskussion habe sich zu stark auf mögliche Krebsrisiken fokussiert und andere Gefahren außer Acht gelassen.
Prof. Dr. Maria Finckh © Uni Kassel. „Es wurden in den vergangenen Jahren bei Mikroorganismen Kreuzresistenzen gegen unterschiedliche Antibiotika-Klassen und Glyphosat nachgewiesen, sagt Professor Dr. Maria R. Finckh. Sie ist Fachgebietsleiterin Ökologischer Pflanzenschutz im Fachbereich Agrarwissenschaften an der Uni Kassel. "Da die Berichte über Antibiotikaresistenzen parallel zum Einsatz von Glyphosat weltweit massiv zugenommen haben, muss dringend erforscht werden, ob Glyphosat dabei eine Rolle spielt." Bei Kreuzresistenzen werden Bakterien gegen ähnliche Moleküle oder Stoffe mit vergleichbarem Wirkmechanismus widerstandsfähig. „Von vielen Bioziden ist bekannt, dass sie einen Mehrfachantibiotikaresistenz-Phänotyp induzieren“, berichtet Brigitta Kurenbach von der University of Canterbury in Christchurch, Neuseeland. „Dies kann entweder auf eine Erhöhung der Expression von Efflux-Pumpen, eine reduzierte Synthese von äußeren Membranporinen oder auf beides zurückzuführen sein.“ Efflux-Pumpen befördern Fremdstoffe unter Energieverbrauch aus dem Inneren von Zellen nach außen. Ärzte kennen sie eher von Patienten, bei denen Chemotherapeutika plötzlich nicht mehr anschlagen. Im Unterschied dazu diffundieren Moleküle durch Porine, also Transmembranproteine, aufgrund von Konzentrationsunterschieden passiv nach innen. Neben den Aquaporinen, die der Wasserversorgung dienen, gibt es etliche Vertreter. Die Kreuzresistenz zwischen Glyphosat und Antibiotika betraf in Kurenbachs Arbeit medizinisch relevante Stämme wie Escherichia coli und Salmonella Typhimurium. Ariena van Bruggen bestätigte dies bei typischen Bodenbakterien und Benzylpenicillin. Sie forscht an der der University of Florida in Gainesville.
Ausgehend von zahlreichen Einzelbeobachtungen haben Bruggen, Finckh und Kollegen jetzt eine breit angelegten Übersichtsarbeit veröffentlicht. Basis waren 220 Studien der letzten Jahre. Ihre Erkenntnisse sind:
Abbau von Glyphosat zu Aminomethylphosphonsäure (AMPA; Weg A) und weiter zu Ammoniak/ Kohlendioxid beziehungsweise zu N-Methlyglycin (Weg B) und weiter zu Glycin © Yikrazuul / Wikipedia „Unsere Meta-Studie zeigt auf, dass die erlaubten Rückstandswerte überarbeitet werden müssen“, fasst Finckh zusammen. „Erstens müssen nicht nur die Rückstände von Glyphosat, sondern auch die von AMPA reguliert werden. Zweitens wurden die MRL nicht aus wissenschaftlichen Gründen, sondern aus Gründen der Praktikabilität erhöht.“. Dies sei „absolut inakzeptabel und mit dem Vorsorgeprinzip, das in der EU gilt, nicht vereinbar“. Als Maximum Residue Level (MRL, Rückstandshöchstmenge) definieren EU-Behörden Konzentrationen eines Pestizids in Lebensmitteln ohne negative gesundheitliche Folgen. Für Glyphosat in Sojabohnen wurde dieser Wert schon vor Jahren von 0,1 mg/kg auf 20 mg/kg angehoben.
Weitere Daten befeuern die Kontroverse um Grenzwerte. Landwirte setzen Glyphosat in zunehmendem Maße ein. Seit 1994 sind gentechnisch veränderte, gegen das Herbizid nicht empfindliche Ackerpflanzen verfügbar. Paul J. Mills von der University of California, San Diego, wollte wissen, ob steigende Mengen des Moleküls und seiner Stoffwechselprodukte im menschlichen Organismus landen. Daten bekam er von der Rancho Bernardo Study (RBS) of Healthy Aging, einer prospektiven Kohortenstudie mit Probanden über 50 Jahren. Für die RBS rekrutieren Wissenschaftler bereits seit 1972 Teilnehmer im südlichen Kalifornien. Von 1.000 Personen hatten 112 mehrere Urinproben zwischen 1993 und 2016 abgegeben. Die Nachweisgrenze (Limits of detection, LOD) lag bei 0,03 μg/L für Glyphosat und 0,04 μg/L für AMPA. Zwischen 1993/1996 (0.024 μg/L) und 2014/2016 (0,314 μg/L) erhöhte sich die Glyphosat-Belastung kontinuierlich. Ähnlich sah es im gleichen Zeitraum mit dem Metaboliten AMPA aus (0,008 versus 0,285 μg/L). © Paul J. Mills et al.
Bevor Experten jahrelang über Glyphosat-Obergrenzen streiten, stellt sich eine ganz andere Frage: Lässt sich das Molekül nicht ersetzen? Das ist umstritten. Alternativen seien für die Umwelt häufig deutlich schädlicher, betonen Professor Dr. Christoph Schäfers, Ökotoxikologe am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie in Schmallenberg, und Klaus Gehring von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft. Professor Dr. Daniel Dietrich, Leiter der Arbeitsgruppe Human- und Umwelttoxikologie an der Uni Konstanz bestätigt diese Sichtweise: „Andere zugelassene Herbizide sind toxischer für die Umwelt.“ „Die wichtigste Maßnahme ist ein Umdenken in den Agrarsystemen", widerspricht Maria Finckh ihren Kollegen. Sie rät zu weniger Dünger, zur Einhaltung von Fruchtfolgen und zu Unkraut unterdrückenden Zwischenfrüchten. „In solchen Systemen kann mit wenigen mechanischen Eingriffen die Beikraut-Kontrolle bewältigt werden und Herbizide würden seltener gebraucht.“