Forscher haben jetzt herausgefunden, wie eine bestimmte genetische Mutation zu neuronalen Schäden bei zwei schweren Krankheiten führt, die sogar auf einmal in ein und derselben Person auftreten können: Bis jetzt war nicht bekannt, was ALS und frontotemporale Demenz auslöst.
Amyotrophe Lateralsklerose ist eine folgenschwere Motoneuronerkrankung, die rasch zu einer Schwächung der Muskulatur und schließlich zum Tod führt. Frontotemporale Demenz ist die zweithäufigste Ursache von Demenz bei Menschen unter 65 Jahren. Zu den Symptome zählen Veränderungen der Persönlichkeit und des Verhaltens sowie Sprach- und Denkschwierigkeiten. Die DNA betroffener Patienten enthält eine Mutation: Es gibt Tausende von Wiederholungen eines bestimmten kurzen Abschnitts des genetischen Materials, während die DNA nicht betroffener Personen nur bis zu dreißig Kopien dieses Segments aufweist. Diese spezifische genetische Veränderung liegt der Erkrankung bei etwa acht Prozent der Patienten mit dieser Art von Motoneuronkrankheit oder Demenz zugrunde. Acht Prozent ist ein relativ hoher Anteil. Bei der Alzheimer-Erkrankung beispielsweise machen die genetischen Ursachen der Erkrankung weniger als ein Prozent aus. Forscher des Max-Planck-Instituts für Biologie des Alterns, des Instituts für Neurologie und des “Institute for Healthy Ageing” am University College London haben nun gemeinsam herausgefunden, dass die Neurodegeneration bei diesen Krankheiten ausgelöst wird durch toxische Proteine, die aufgrund der Wiederholungen im mutierten Gen erzeugt werden.
Bisher ging man davon aus, dass die Schäden eine Folge der Unterbrechung des Gens durch die abnormen Wiederholungen sein könnten. Oder dass durch die Wiederholungen ein toxisches RNA-Molekül erzeugt wird. Nun stellte sich heraus, dass die Wiederholungen in dem mutierten Gen zur Produktion einer Vielzahl von Proteinen führen, und dass zwei von diesen extrem schädlich für Nervenzellen sind. Beide sind sehr reich an der Aminosäure Arginin. Um genau herauszufinden, welche Rolle die Proteine spielen, stellten die Forscher künstliche Wiederholungen in der DNA her: Wiederholungen, die zugleich potenziell toxische RNA und Proteine erzeugten – und Wiederholungen, die nur zur Produktion potentiell toxischer RNA beziehungsweise nur zur Produktion der Proteine führten. Diese künstlich erzeugten Wiederholungen brachten sie in die Nervenzellen von Fruchtfliegen ein, in denen Neurodegeneration in ähnlicher Weise abläuft wie im Menschen. Das Ergebnis: Wiederholungen in der DNA, die zugleich potenziell schädliche RNA und Proteine bedingt, führte zu starker Neurodegeneration und reduzierte die Lebensdauer der Fliegen. Dies zeigt zugleich, dass Fliegen ein geeigneter Organismus sind, entsprechende Krankheiten zu untersuchen. Interessanterweise verursachten die Wiederholungen, die ausschließlich zur Produktion der Proteine führten, eine genau so markante Neurodegeneration. Im Gegensatz dazu zogen die nur-RNA-erzeugenden Wiederholungen keine Nervenschäden nach sich. Somit war die toxische Wirkung der Proteine gezeigt. Dabei richteten die stark Arginin-haltigen Proteine den größten Schaden an. Mit ihren Ergebnissen haben die Kölner und Londoner Forscher ein neues Licht auf die toxische Rolle Arginin-haltiger Proteine bei Motoneuronerkrankungen und Demenz geworfen. Ihre Erkenntnisse könnten künftig bei der Entwicklung von Medikamenten gegen diese schweren Leiden helfen. Originalpublikation: C9orf72 repeat expansions cause neurodegeneration in Drosophila through arginine-rich proteins Sarah Mizielinska et al.; Science, doi: 10.1126/science.1256800; 2014