Herr Berg hat Atemnot, seine Ärzte sind in Erklärungsnot: Eine Herzinsuffizienz wird diagnostiziert, doch trotz medikamentöser Therapie wird er nicht fit. Steckt noch mehr dahinter?
Nachdem sich Herr Berg lange relativ guter Gesundheit erfreut hat, erkrankt er mit 51 Jahren an einer schweren Herzinsuffizienz. Mit einem Mal wird er aus seiner Normalität gerissen. Er wird medikamentös eingestellt, bleibt aber nur eingeschränkt körperlich belastbar. Er versucht, sein altes Leben wiederaufzunehmen, hat aber immer wieder mit Beschwerden zu kämpfen, die auch nicht so richtig zu einer Herzinsuffizienz passen. Drei Jahre lang sucht seine Hausärztin nach der Ursache. Die Diagnose wird schließlich während einer Reha gefunden – doch die Frage, ob Herr Bergs Leidensodyssee hätte verhindert werden können, bleibt.
Herr Berg wurde 1969 geboren, ist verheiratet, hat zwei Kinder und arbeitet in der Werkfeuerwehr. Er hatte keine wesentlichen Kinderkrankheiten, einen BMI von ca. 30 und Asthma bronchiale, welches aber gut eingestellt ist. Zwischen 2004 und 2013 erleidet er mehrere Bandscheibenvorfälle und muss auch mehrfach operiert werden, abgesehen davon ist er aber in gutem gesundheitlichem Zustand.
Doch das ändert sich 2020: Zunächst wird bei ihm eine Schlafapnoe diagnostiziert und er beginnt eine CPAP-Therapie. Im Juli bekommt er dann akute Luftnot und wird notfallmäßig stationär aufgenommen. Schnell wird klar: Er hat eine stark reduzierte Ejektionsfraktion des Herzens (EF: 22–24 %). Die Kardiologen vermuten entweder eine abgelaufene Myokarditis oder eine dilatative Kardiomyopathie. Eine koronare Herzkrankheit wird invasiv ausgeschlossen und eine Herzinsuffizienz-Therapie eingeleitet. Ein paar Monate später wird ein erneutes Kardio-MRT gemacht und seine EF hat sich bereits auf 32 % verbessert.
Da er aber immer noch über Luftnot klagt, werden seine Behandlungspläne nochmal überprüft. Die Schlafapnoe-Therapie ist ideal eingestellt, aber bei der Herzinsuffizienz-Therapie wird noch etwas geschraubt. Er wird umgestellt auf ein recht neues Medikament – Entresto® – und er bekommt einen Schrittmacher implantiert. Als er Ende 2020 erneut beim Kardiologen vorstellig wird, hat er eine EF von 35 %. Ihm wird eine chronische Herzinsuffizienz diagnostiziert, eingestuft als NYHA II-III.
Im Dezember 2020 sucht Herr Berg seine Hausärztin auf. Er berichtet von Konzentrations- und Gedächtnisproblemen und Abgeschlagenheit. Er hat in letzter Zeit zudem häufig Bronchitis gehabt, was auch durch sein Asthma bedingt ist. Sie testet ihn auf Demenz, macht einen MMST und einen Uhrentest, aber der Patient ist unauffällig.
Im Juni des nächsten Jahres tritt er eine Reha für seine eingeschränkte körperliche Belastbarkeit an. Er bleibt 3 Wochen und wird schließlich als arbeitsfähig für mittelschwere Tätigkeiten, die länger als 6 Stunden andauern, entlassen. Die behandelnden Ärzte raten, Herrn Berg psychotherapeutisch anzubinden, damit er keine Anpassungsstörung aufgrund seiner durchgemachten schweren Erkrankung entwickelt. Außerdem empfehlen sie ihm, Sport für Herzkranke zu machen, um seine Belastbarkeit zu steigern. Beidem geht Herr Berg allerdings nicht nach. Im August 2021 wird er wieder in Vollzeit in seinem Beruf eingegliedert.
Doch Herr Berg hat weiter mit körperlichen Beschwerden zu kämpfen. Gegen Ende des Jahres sucht er seine Hausärztin wegen Schwindel und Taumel auf. Sie schickt ihn ins CT, um sein Neurokranium zu untersuchen, doch der Befund ist unauffällig. Im Mai 2022 infiziert er sich mit SARS-CoV-2 und muss für eineinhalb Monate krankgeschrieben werden. An diesem Punkt sucht ihn der Behindertenbeauftragte seiner Firma auf und rät ihm, in Teilzeit zu gehen, doch Herr Berg lehnt ab. Er arbeitet weiter in Vollzeit, mit wechselnden AUs. Im Herbst fängt er sich erneut einen Infekt ein, diesmal nicht Corona, aber er liegt trotzdem wieder eineinhalb Monate flach. Seine Hausärztin impft ihn gegen Pneumokokken, doch auch das hilft nicht gegen seine regelmäßigen Erkrankungen.
Im Januar 2023 diagnostiziert sie ihm schließlich ein Erschöpfungssyndrom, denn die Infekte allein scheinen das ständige, meist recht lange Kranksein nicht vollständig zu erklären. Herr Berg wird im gleichen Monat auch wieder beim Kardiologen vorstellig. Sein EF liegt mittlerweile bei 40 %, er scheint also gut eingestellt zu sein – und in besserem Zustand als seine Hausärztin zu Beginn der Krankheit erwartet hätte.
Trotzdem geht es Herrn Berg zunehmend schlechter. Im Februar beklagt er sich über kontinuierliche Luftnot, er könne nicht mehr als 100–200 Meter weit laufen. Also lässt seine Hausärztin ihn nochmals durchtesten. Zuerst geht er zum Kardiologen, doch dort ist alles unauffällig. Auch der Pneumologe bescheinigt ihm ein gut eingestelltes Asthma und keine weiteren Auffälligkeiten. Er merkt allerdings an, dass es sich um eine depressive Verstimmung handeln könnte. Die Hausärztin teilt diesen Verdacht, vor allem da sie weiß, dass Herr Berg auch einige private Sorgen hat. Sie schickt ihn also zum Neurologen.
Dieser stellt ebenfalls eine Erschöpfung, aber keine schwere depressive Symptomatik fest. Trotzdem empfiehlt er eine Psychotherapie, da das Auftreten der Herzinsuffizienz einen schweren Einschnitt in Herrn Bergs Leben bedeutet hätte und dies aufgearbeitet werden sollte. Da Herr Berg zu diesem Zeitpunkt bereits 4 Monate krankgeschrieben ist, empfiehlt er außerdem eine psychosomatische Reha.
Da Herr Berg weiterhin über massive Luftnot klagt, überweist seine Hausärztin ihn notfallmäßig an eine Psychiaterin, die allerdings auch keine Depression diagnostiziert, sondern lediglich eine Anpassungsstörung. Daraufhin stellen Herr Berg und seine Hausärztin den Reha-Antrag. Doch es dauert, bis Herr Berg diese antreten kann und er leidet über Monate hinweg unter anhaltender Luftnot. Mitte des Jahres geht er wieder zum Pneumologen, doch dieser bekräftigt, dass Herr Berg sowohl kardiologisch als auch pneumologisch unauffällig ist.
Im Dezember 2023 ist es dann so weit, Herr Berg tritt die Reha an. Zu diesem Zeitpunkt ist er seit einem Jahr krankgeschrieben. Im Januar 2024 wird er dann entlassen – arbeitsunfähig. Die Diagnose lautet depressive Episode mit mittelschwer ausgeprägter Symptomatik. Auch die Luftnot scheint rein psychisch bedingt zu sein. Damit wird bestätigt, was die Hausärztin schon länger vermutet hatte, wofür ihr aber bisher die Bestätigung eines Facharztes fehlte. Die Empfehlung der Reha-Ärzte lautet, mit einer ambulanten Psychotherapie anzuschließen sowie Sport und Entspannungsübungen zu machen – die gleiche Empfehlung wie nach der ersten Reha.
Im Idealfall würde Herr Berg also jetzt eine Psychotherapie beginnen. Doch für diese Plätze gibt es bekannterweise sehr lange Wartezeiten. Dennoch denkt seine Hausärztin, dass dies das Einzige wäre, was ihn langfristig wieder in die Arbeitsfähigkeit bringen kann. In der Zwischenzeit nimmt er am Psy-RENA-Programm der Deutschen Krankenversicherung teil, durch das er acht psychotherapeutische Einzelsitzungen wahrnehmen kann. Zudem nutzt die Hausärztin ihre psychosomatische Grundausbildung, um Herrn Berg so gut wie möglich zu betreuen.
Seine Hausärztin will außerdem nochmal versuchen, ihn zur Teilnahme an einer Herz-Sportgruppe zu bewegen. Sie vermutet, dass der Schock durch das Auftreten der Herzinsuffizienz zu großer Verunsicherung über seine körperliche Belastbarkeit und generelle Gesundheit geführt hat und er wieder Vertrauen in seinen Körper fassen muss. Es sei wichtig für Herrn Berg, zu verstehen, dass seine aktuellen Gesundheitsprobleme eine psychische Ursache haben und demnach anders behandelt werden müssen als eine Herzkrankheit. Sie erklärt ihm, dass er nun an dem Scheidepunkt angekommen sei, auch seine Depression als Erkrankung zu akzeptieren und rät ihm neben einer Psychotherapie auch zu einer psychiatrischen Begleitung mit Medikamentenplan. Herr Berg nahm diesen Rat an und plant dazu eine Wiedereingliederung ab Anfang März.
Rückblickend betrachtet wäre es vielleicht das Beste gewesen, Herrn Berg direkt Ende 2020 auf eine Warteliste für eine Psychotherapie zu setzten. Zu diesem Zeitpunkt war die Herzinsuffizienz ideal eingestellt und es ist – mit der jetzt vorliegenden Diagnose –wahrscheinlich, dass viele seiner dann erlebten Symptome psychische Ursachen hatten. Auch nach der Reha im Juni und Juli 2021 sprachen die Ärzte diese Empfehlung aus, um die psychischen Auswirkungen des Durchmachens einer schweren Erkrankung abzufangen. Selbst mit einer Wartezeit von bis zu 2 Jahren wäre er mittlerweile in Psychotherapie und seine Symptome wären vielleicht gar nicht erst so schlimm geworden.
Den Effekt, den eine recht plötzlich auftretende, schwere Erkrankung hat, sollte man also nicht unterschätzen und den Patienten so gut wie möglich auch psychisch unterstützen. Jedoch liegt diese Verantwortung nicht alleine bei den Hausärzten – sie können die Empfehlung aussprechen und Listen mit Psychotherapeuten aushändigen, doch das Anrufen müssen die Patienten übernehmen. Sind sie nicht gewillt, stoßen auch die besten Hausärzte an ihre Grenzen.
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