Wir kennen alle den Spruch: „Ich habe meine Symptome gegoogelt – es ist ein defekter Keilriemen.“ Klingt witzig, aber bei Patienten kann das Symptome-Googlen große Ängste auslösen. Was also tun?
Ausschläge sind ja so eine Sache: Sie können alles oder nichts bedeuten, treten bei Virusinfekten auf (oder auch nicht), sie jucken (oder auch nicht), sie sind mit einer Blickdiagnose verbunden (oder auch nicht). Besonders liebe ich es, wenn eine weit entfernte Bekannte – zum Beispiel die Mutter von Hieronymus-Luca aus dem Kindergarten, die ich seit acht Jahren nicht mehr gesehen habe – ein Foto via WhatsApp schickt, weil Hieronymus-Luca seit gestern einen flüchtigen Ausschlag am Körper hat und auf diesem Foto nicht mal zu erkennen ist, um welches Körperteil es sich handelt. Da leuchtet mir also ein hellbeiger Bereich entgegen, auf dem vereinzelt rötliche Punkte zu sehen sind. Ob Hieronymus das überhaupt möchte, dass Fotos seines Körpers via WhatsApp verschickt werden? Ob vielen überhaupt klar ist, dass ärztliche WhatsApp-Beratung nicht sinnvoll und in Sachen Datenschutz auch nicht machbar ist?
Fragt doch Google! Google ist immer verfügbar: abends, nachts, sonntags. Google kennt alle Krankheitsbilder und man muss auch nicht vorher so tun, als sei man am Wohlbefinden der Auskunftgeberin interessiert, in dem man ein „Hallöchen, na, wie geht’s? Lange nichts gehört! Du, ich hab mal eine Frage, der Hieronymus hat da so Punkte …“ schickt.
Der kritische Punkt ist (und damit meine ich jetzt nicht Hieronymus Ausschlag), dass man wissen muss, wie man Google benutzt, damit man gute und stichhaltige Informationen bekommt. Wir kennen ja alle den Spruch: „Ich habe meine Symptome gegoogelt – es ist wohl ein defekter Keilriemen.“ Was witzig klingt, hat einen ernsten Kern. Tippt man sein Hauptsymptom in die Suchleiste ein, erscheinen in Sekundenbruchteilen zigtausende Ergebnisse, die einen in ihrer Fülle erst einmal erschlagen können. Da die ersten Suchergebnisse als die besten erscheinen, werden diese Seiten aufgerufen und siehe da: Es ist ein Tumor. Oder Multiple Sklerose. Oder eine seltene, neurologische Erkrankung wie ALS. Der Ausschlag ist ein kutanes T-Zell-Lymphom oder mindestens Lupus.
Und dann kontaktiert mich Hieronymus Mutter wieder, weil sie Angst hat, der Sohn könne Lupus haben. Denn so etwas zu lesen, kann schlimme Ängste auslösen und der Teufelskreis ist abzusehen: Es wird weiter gegoogelt, es werden diverse Onlineangebote durchsucht und dann findet man die gleiche Erkrankung auch auf einer anderen Website. Die Diagnose scheint bestätigt! „Vielleicht nochmal weiter schauen, da ist ja ein weiterführender Link“, denkt man sich. „Vielleicht findet man in diesem Forum ja Informationen, wie andere Betroffene ihre Erkrankung bemerkten? Aha! Da steht’s: Ben97 hatte auch Ausschlag, als sie den Lupus diagnostizierten!“
Verständlicherweise ist folglich die Verzweiflung bei den Googelnden groß. Wenn auf mehreren Seiten die gleiche Diagnose gestellt und in einem Forum bestätigt wurde, dann kann das Angst machen. Diese verzerrte Wahrnehmung nennt sich auch Cornfirmation Bias. Er besagt, dass wir automatisch die auftauchenden Informationen danach filtern, ob sie uns bekannt vorkommen oder nicht. Erscheinen uns die Informationen vertraut, beispielsweise weil wir sie mehrfach gelesen oder schon davon gehört haben, schenken wir ihnen mehr Glauben.
Soziale Netzwerke nutzen unsere psychologische Schwachstelle, indem sie uns gezielt Informationen anzeigen, die immer wieder unsere Glaubenssätze bestätigen. Das findet man gerade rund um alle Corona-Themen, aber auch seit Jahren schon z. B. bei der Homöopathie. Gefangen in der speziellen Blase wird es schwer, hier wieder auszubrechen. Und einmal in einem Forum gelandet, liest man sich fest und findet keinen Absprung mehr. Die eigenen Symptome verstärken sich durch die permanente Fokussierung auf sie teilweise so sehr, dass man nicht mehr zwischen organischem und psychischem Leid unterscheiden kann.
Ich kann aus eigener Erfahrung sprechen: Als ich mit 24 Jahren von meiner Veranlagung für schwere Herzrhythmusstörungen erfuhr, verschwand ich tagelang in speziellen Foren und suchte nach Informationen, wie ich mich verhalten und was mir passieren könne. Das tat mir nicht gut. Ich schaffte es aber schließlich, diese Foren nicht mehr zu besuchen. Als mir schließlich nach Jahren ein Defibrillator implantiert wurde, beschäftigte ich mich bewusst nicht weiter mit ihm. Natürlich habe ich als Ärztin einen anderen fachlichen Blick auf mein kleines Gerät, aber gleichzeitig war (und bin) ich auch Patientin und musste mich regelrecht zwingen, nicht nach Komplikationen und Erfahrungsberichten zu lesen. Hätte ich das ausgiebig getan, würde ich jetzt wahrscheinlich nicht mehr schwimmen, mit dem Mountainbike durch den Wald düsen oder 15 km joggen.
Im schlimmsten Fall können Patienten eine Cyberchondrie entwickeln. Sie bezeichnet eine dauerhafte Beschäftigung mit den Symptomen und möglichen, schweren Erkrankungen durch intensive Onlinerecherche. Manchmal dreht sich das gesamte Leben der Betroffenen darum, im Internet nach Symptomen, Behandlungsmöglichkeiten und Prognosen zu suchen, was die Symptome durch die andauernde Beschäftigung mit ihnen wiederum verstärken kann. Auch der Nocebo-Effekt spielt eine Rolle, wenn man in Erwartung der Symptome oder Nebenwirkungen eines Medikaments ebenjene auch auftreten.
Aber Morbus Google ist nicht nur schlecht: 52 % der Nutzer sind zufrieden mit den Möglichkeiten, die sich durch die Internetrecherche bieten. Viele nutzen den Dienst, um sich auf Arztgespräche vorzubereiten oder nach dem Termin eine Art Zweitmeinung zu erhalten. Das Gerücht, dass wir Ärzte die Onlinesuche hassen, bestätigt sich nicht. Etwa 80 % der Ärzte haben kein Problem damit, wenn Patienten vorab gegoogelt haben, schließlich sind informierte Patienten wichtig für unsere hausärztliche Arbeit. Ein Arbeiten auf Augenhöhe mit dem Patienten sollte heutzutage der Standard sein. Die veraltete Ansicht der Götter in Weiß, auf die der Patient ohne Widerspruch hören muss, hat ihren Platz in der Medizin verloren.
Dennoch möchte ich an dieser Stelle ein paar Ratschläge zur Onlinerecherche auf den Weg geben, die ihr mit euren Patienten teilen könnt, damit weder der Keilriemen noch der vermeintliche Lupus oder gar ein Hirntumor Verzweiflung auslösen.
Letztlich kann Google auch helfen, die Diagnose des Arztes zu überprüfen und sich weitergehend über die Therapie zu informieren. So wie eine junge Patientin, die einst bei mir in der Sprechstunde war: Sie hatte Flecken am gesamten Stamm. Sie juckten etwas, aber nicht so sehr. Sie fühlte sich nicht beeinträchtigt, hatte kein Fieber, keine neuen Waschmittel verwendet, nichts Neues gegessen und keine Medikamente eingenommen. Von einer allergischen Reaktion ging ich also nicht aus, von einem Arzneimittelexanthem ebenfalls nicht.
Ich bat sie, den Oberkörper freizumachen und sah multiple runde bis ovale, leicht schuppige Flecken, keine Bläschen, kein konfluierender Ausschlag.
„Hat der Ausschlag mit einem Fleck angefangen?“, fragte ich sie.
Sie nickte: „Mit dem hier! Und dann wurden es immer mehr!“
„Das ist eine Röschenflechte“, erklärte ich ihr. „Eine nicht ansteckende Hauterkrankung, die recht lange dauern kann und wahrscheinlich von einem Herpesvirus ausgelöst wird.“ Ich schob noch schnell hinterher: „Also nicht von den bekannten Herpesviren, die Lippenherpes auslösen. Eine Verbindung mit Stress wird vermutet, oder auch mit Allergien.“
Sie nickte nachdenklich: „Ja, Stress hatte ich einigen …“
Ich verschrieb ihr eine leichte Cortisonsalbe und sie verließ mein Zimmer. Als ich gerade das Rezept unterschrieben hatte, rief sie durch die halbe Praxis – mit dem Handy in der Hand in meine Richtung winkend: „Sie hatten recht. Es ist die Röschenflechte. Ich hab’s gegoogelt!“
Ich musste lachen. Da war ich aber froh, dass ich von Google verifiziert worden bin. Die Patientin war erleichtert und verließ zufrieden die Praxis.
Fazit ist: Dr. Google ist besser als sein Ruf. Wer aber an einer Angsterkrankung leidet oder wen die Onlinerecherche belastet, sollte sich besser von ihr fernhalten und den Hausarzt des Vertrauens suchen.
Bildquelle: Christin Hume, Unsplash