Medizinisches Cannabis kann bei Patienten mit chronischen Schmerzen das Risiko für Herzrhythmusstörungen erhöhen. Aber sollten sie deshalb darauf verzichten?
Der Konsum von Cannabis hat in den letzten Jahren über alle Altersgruppen hinweg zugenommen. Eine erhöhte Aktivität des sympathischen Nervensystems bei gleichzeitiger Hemmung der parasympathischen Innervation des Herzens ist Ausdruck der Wirkung von Cannabis. Dies führt zu einer gesteigerten Herzfrequenz, einem Anstieg des myokardialen Sauerstoffbedarfs und einem erhöhten Blutdruck.
Das Risiko bei Cannabis und seiner Wirkung ist das Vorkommen von Herzrhythmusstörungen. Hierzu wurden bereits zahlreiche Case Reports veröffentlicht, jedoch sind die epidemiologischen Daten begrenzt. Das Verständnis der Zusammenhänge zwischen Cannabiskonsum und kardialen Arrhythmien ist jedoch von großer Bedeutung, möchte man die nicht unerheblichen negativen gesundheitlichen Folgen wie Vorhof- und Kammerarrhythmien aufzeigen.
Mit der fortschreitenden Entkriminalisierung und Legalisierung von Cannabis erfolgte eine bessere Dokumentation von Nebenwirkungen sowohl für den medizinischen als auch für den Freizeitgebrauch. Dabei mehren sich zunehmend Belege für einen Zusammenhang zwischen Cannabisgebrauch und dem Auftreten von kardiovaskulären Ereignissen. Eine Studie aus dem Jahr 2022 basierend auf den Daten der Multiethnic Study of Atherosclerosis konnte zeigen, dass ein aktueller Cannabiskonsum gegenüber einem Nichtkonsum mit einem höheren Risiko für atriale und ventrikuläre Arrhythmien verbunden war und dass bei einem häufigen Konsum vor allem ventrikuläre Arrhythmien auftraten.
In diese Studie wurden Probanden zwischen 45 und 84 Jahren in den Jahren 2000 bis 2002 in den USA eingeschlossen, die zu Studienbeginn keine klinischen kardiovaskulären Erkrankungen hatten. Diese wurden für zwei bis sechs Jahre nachverfolgt. Unterschieden wurde zwischen Nicht-Konsumenten von Cannabis, die weniger als 100 Joints in ihrem Leben geraucht hatten und Konsumenten mit mehr als 100 Joints. Ein Konsum von ≥ 3 Joints pro Woche wurde als häufig definiert. Als Endpunkt wurden vorzeitige Vorhofkontraktionen, supraventrikuläre Tachykardien, vorzeitige ventrikuläre Kontraktionen und nicht anhaltende ventrikuläre Tachykardien definiert. Zu beachten ist, dass die Cannabiskonsumenten im Vergleich zu Nicht-Konsumenten häufiger männlich und jünger waren, zudem hatten sie ein höheres Körpergewicht und es bestand öfter ein aktueller oder ehemaliger Nikotinkonsum. Eine andere Studie konnte zeigen, dass Marihuana-Konsumenten, die wegen einer Herzrhythmusstörung im Krankenhaus behandelt werden mussten, ein fast fünffach erhöhtes Sterberisiko hatten im Vergleich zu denen ohne Arrhythmien.
Bei einer steigenden Relevanz chronischer Schmerzerkrankungen in der Gesellschaft und des zunehmenden Einsatzes von medizinischem Cannabis rückt nun noch ein anderes Patientenkollektiv in den Fokus. Die Datenlage zu kardiovaskulären Nebenwirkungen im Zusammenhang mit dem Gebrauch von medizinischem Cannabis zur Behandlung von chronischen Schmerzen ist bislang spärlich. In einer aktuellen Studie von Holt et al. von der Universität Kopenhagen aus dem Jahr 2024 erschienen im Fachblatt European Heart Journal wurden Zusammenhänge zwischen dem Gebrauch von medizinischem Cannabis zur Behandlung chronischer Schmerzen und einem erhöhten Risiko für Arrhythmien festgestellt.
Die Forscher nutzten untereinander verlinkte nationale dänische Gesundheitsregister für die Auswahl von Fällen und Kontrollen. Als Fallgruppe definierten sie Patienten, die im Zeitraum von 2018 bis 2021 eine Diagnose bezüglich chronischer Schmerzen erhalten hatten und denen während dieser Studienperiode erstmals medizinisches Cannabis rezeptiert wurde, ohne dass vorherige Arrhythmien in ihrer Anamnese dokumentiert waren. Diese Patientengruppe wurde dann im Verhältnis 1:5 mit einer Kontrollgruppe verglichen, die keine Cannabisexposition aufwies.
Als primärer Endpunkt wurde eine neu auftretende Arrhythmie definiert, die zu einer Krankenhauseinweisung führte oder bei einer ambulanten Vorstellung als Vorhofflattern, Vorhofflimmern, Überleitungsstörungen, paroxysmale Tachykardien oder ventrikuläre Arrhythmie diagnostiziert und codiert wurde. Die Patienten wurden von der ersten Verordnung von medizinischem Cannabis zur Behandlung chronischer Schmerzen bzw. die Kontrollen von einem hierzu korrespondierenden Datum bis zum primären Endpunkt, dem Tod, dem 31. Dezember 2021 oder nach Vollendung der prädefinierten Beobachtungsperiode von 180 Tagen nachverfolgt. Zusätzlich wurde als einer der sekundären Endpunkte die Inzidenz eines akuten Koronarsyndroms definiert.
Die Studienkohorte umfasste ca. zwei Millionen Patienten mit chronischen Schmerzen, die den Einschlusskriterien entsprachen. Von diesen wurden 5.391 als neue Nutzer von medizinischem Cannabis identifiziert und mit einer Kontrollgruppe bestehend aus 26.941 Personen verglichen. Die Cannabispatienten erhielten unterschiedliche Präparate. Zu nennen sind THC, THC/CBD-Kombinationen und CBD. Die Applikationsformen beinhalteten Inhalatoren, Sprays, Lösungen und Tabletten.
Während des 180-tägigen Beobachtungszeitraums wurden bei den Cannabisnutzern vermehrt Arrhythmien beobachtet. Die Daten zeigten, dass bei Patienten, die medizinisches Cannabis erhielten, ein Risiko von 0,8 Prozent bestand, innerhalb von 180 Tagen nach der Einnahme von Cannabis die Diagnose einer Herzrhythmusstörung zu bekommen, die überwacht und möglicherweise behandelt werden musste. Im Vergleich zu Nicht-Nutzern war der Gebrauch von medizinischem Cannabis mit einem erhöhten Risiko für neu auftretende Arrhythmien verbunden, wobei insbesondere Patienten mit Krebs oder kardiometabolischen Erkrankungen ein höheres Risiko aufwiesen.
Die Studie ergab keine signifikanten Unterschiede zwischen den verschiedenen Cannabispräparaten hinsichtlich des Risikos für Arrhythmien. Zudem konnte kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem erhöhten Risiko für ein akutes Koronarsyndrom und dem Cannabiskonsum festgestellt werden. Die beobachtete erhöhte Inzidenz des akuten Koronarsyndroms im Zusammenhang mit dem Freizeitgebrauch von Cannabis könnte eventuell auf das Rauchen als gängige Konsumform zurückzuführen sein, postulieren die Autoren der Studie.
Auch wenn das absolute Risiko für kardiale Arrhythmien im Zusammenhang mit der Behandlung von chronischen Schmerzen mit medizinischem Cannabis relativ gering ist, empfehlen die Autoren, das kardiovaskuläre Risikoprofil bei der Verschreibung dieser Therapie zu berücksichtigen. „Ich glaube nicht, dass diese Studie Patienten mit chronischen Schmerzen dazu bringen sollte, von medizinischem Cannabis Abstand zu nehmen, wenn andere Behandlungen unzureichend waren. Diese Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass zunächst eine verbesserte Überwachung ratsam sein könnte, insbesondere bei Patienten, bei denen bereits ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen besteht“, erläutert der Hauptautor der Studie. Die Wissenschaftler weisen zudem darauf hin, dass es sich um eine Beobachtungsstudie handelt. „Wir brauchen viel mehr Forschung in diesem Bereich. Bevor wir zu einer Schlussfolgerung kommen, sollten die Ergebnisse dieser Studie in anderen Ländern und Umgebungen wiederholt werden“, betont Holt.
Robert L. Page II, Professor für klinische Pharmazie an der Universität Colorado, schreibt in einem die Studienveröffentlichung begleitenden Kommentar, ebenfalls erschienen im European Heart Journal: „Die Befunde legen nahe, dass medizinisches Cannabis bei bestimmten medizinischen Konditionen keine therapeutische Option für alle ist, sondern im Kontext von Komorbiditäten und potenziellen Anfälligkeiten für Nebenwirkungen des Patienten betrachtet werden muss.“ Auch wenn weitere Studien benötigten werden, legen die verfügbaren Daten nahe, dass das Arrhythmie-Risiko von Cannabis sowohl beim Freizeitgebrauch als auch bei der Behandlung von chronischen Schmerzen nicht aus den Augen verloren werden darf und die Patienten dementsprechend gescreent werden sollten.
Quellen:
Harding et al. Self-reported marijuana use and cardiac arrhythmias (from the Multiethnic Study of Atherosclerosis). American Journal of Cardiology, 2022. doi: 10.1016/j.amjcard.2022.05.004
Thangjuiof S et al. Burden of arrhythmia in hospitalized patients with cannabis use related disorders: analysis of 2016-2018 national inpatient sample. EHRA-Kongress, 23. bis 25. April 2021
Holt et al. Cannabis for chronic pain: cardiovascular safety in a nationwide Danish study, European Heart Journal, 2024. ehad834, doi: 10.1093/eurheartj/ehad834
Page: Cannabis by any name does not smell as sweet: potential cardiovascular events with medical cannabis, European Heart Journal, 2024, ehad848, doi: 10.1093/eurheartj/ehad848
Bildquelle: Ahmed Zayan, Unsplash